𝟛𝟞 - Blackout

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Es war wohl noch nicht allzu lange her, als ich mit einem ähnlichen Gefühl aufgewacht war. Wenn mich meine Erinnerung nicht betrog, so hatte ich erst vergangenes Wochenende genau denselben Gedanken und Entschluss gefasst, den ich gestern Abend rigoros gebrochen hatte: Nie. Wieder. Alkohol. Warum hielt man sich nicht an seine eigenen guten Vorsätze? Warum vergaß man das vergangene Ich, welches die gleichen Qualen bereits durchlebt hatte und einen nur vorwarnen wollte? Soweit ich mich erinnern konnte, hatte ich jedoch wenigstens einen guten Grund dafür gehabt: Ich musste meinen Frust wegspülen. Nur weshalb nochmal?

Brummend versuchte ich, meine trägen Augenlider zu heben. Man könnte meinen, jemand hätte sich einen Spaß erlaubt und diese mit Sekundenkleber fixiert. Nach genauerer Überlegung wäre das allerdings wohl eher ein Fall für den Notarzt gewesen. Vorsichtig hob ich meine schweren Hände und rieb mir den übrigen Schlaf aus den Augenwinkeln, während mir wieder einfiel, warum ich mich gestern so besinnungslos auf den Alkohol gestürzt hatte. Haley. Haley, die sich an Gabriel  rangeschmissen hatte, als wäre sie eine läufige Hündin und er der einzige Rüde weit und breit.

Wie kam ich bitte auf solch einen abstrusen Vergleich? Ich musste definitiv noch angetrunken sein.

Grelles Licht erreichte mich, als ich vorsichtig die Augen aufschlug und es sogleich bereute. Ich hatte beinahe vergessen, dass man sich in einen Vampir verwandelte, sobald man einen Kater hatte. Automatisch erreichten mich die Kopfschmerzen und brachten mich dazu, einmal gequält aufzustöhnen. Verdammt. Durch das heftige Pochen an den Schläfen konnte ich mich kaum konzentrieren, gar einen festen Gedanken bilden. Was war gestern noch passiert? Mühsam versuchte ich, die Erinnerungsstränge beisammen zu halten, doch vergebens. Aus irgendeinem Grund löste sich der gestrige Abend immer weiter auf, je mehr ich versuchte, die Geschehnisse zusammenzutragen. Da der Presslufthammer in meinem Kopf immer schlimmer wurde, je mehr ich versuchte nachzudenken, ließ ich es zügig bleiben. Die Erinnerungen würden sicherlich stückchenweise von allein zurückkehren, sobald ich wieder ein normaler Mensch wurde. Bisher fühlte ich mich nämlich wie ein Häufchen Elend.

Blinzelnd kämpfte ich gegen die Sonnenstrahlen an und öffnete endlich die Augen. Meine Zimmerdecke kam sofort in meinen Blick, sodass ich schon mal erleichtert aufseufzen konnte. Da ich keine Ahnung hatte wie ich nach Hause gekommen war, war dies schon mal ein guter Anfang. Zumindest hatte ich es irgendwie geschafft, sicher mein Heim zu erreichen. Auch wenn ich mir sicher war, dass meine Freunde immer ein Auge auf mich gehabt hätten, selbst wenn ich plötzlich betrunken mit einem Fremden geflirtet oder gar heim gehen wollen würde. Was sicherlich nie der Fall wäre, da ich einfach nicht der Typ Mensch dafür war. Doch dieses leise, männliche Schnarchen neben mir verursachte sofortige Zweifel an meiner gestrigen Zurechnungsfähigkeit. Geradezu vorsichtig drehte ich meinen Kopf zur Seite, wobei ich mich schon seelisch darauf vorbereitete, irgendeinen Fremden neben mir vorzufinden. Der Fakt, dass wir uns ausgerechnet in meinem Bett befanden, machte es nicht wirklich besser. Wenigstens hatte ich noch Klamotten an, doch ich konnte mich beim besten Willen nicht daran erinnern, mich umgezogen zu haben. Das Shirt und die Leggings gehörten zwar mir, doch die Unsicherheit blieb. Was war, wenn ich...die Nacht mit einem fremden Typen verbracht hatte? War ich etwa so betrunken gewesen, dass ich mich tatsächlich auf einen One Night Stand eingelassen hatte? Gott, warum hatte Miriam mich denn nicht aufgehalten? Oder sonst irgendwer? Gabriel hätte das sicherlich verhindert...

Gabriel.

Als ich seinen dunklen Haarschopf auf dem Kissen wiedererkannte, fiel mir ein regelrechter Stein vom Herzen. Die Befürchtung, mich betrunken doch tatsächlich auf einen Wildfremden eingelassen zu haben, verpuffte augenblicklich. Automatisch bildete sich ein leichtes Schmunzeln auf meinen Lippen, als abermals ein leises Schnarchen ertönte und er sich im Schlaf zu mir umdrehte. Erstarrt blieb ich in meiner Position liegen, in heller Erwartung, dass er die Augen aufschlug und mir ein verschlafenes Guten Morgen wünschte. Stattdessen schlief er seelenruhig weiter und ich nutzte die Chance, ihn zu betrachten. Es war eine gefühlte Ewigkeit her, dass wir ein Bett geteilt hatten und die Nacht beieinander verbrachten. Wo wir im Kindesalter beinahe tagtäglich bei dem jeweils anderen geschlafen hatten, reduzierte sich das mit den Jahren immer mehr. Durch den jahrelangen Abstand hatte es schlussendlich ganz aufgehört. Umso mehr umgab mich nun ein leicht flattriges Gefühl, ihn jetzt wieder bei mir zu wissen. Auf der einen Seite war ich erleichtert und beruhigt, doch auf der anderen Seite fühlte ich mich seltsam aufgedreht und hibbelig. Mein Herz schlug ungewohnt schnell, als ich mich leicht aufsetzte und seine Gesichtszüge studierte. Selbst im Tiefschlaf sah er gut aus - der Mund war leicht geöffnet und blies immer wieder warmen Atem aus, bevor das altbekannte Schnarch-Geräusch ertönte. Seine Augenlider waren vom dichten Kranz der Wimpern umschlossen, auf die ich schon damals neidisch gewesen war. Warum hatten Männer eigentlich meist die besseren Exemplare als Frauen? Seine Augenbraue zuckte leicht, als würde er etwas bestimmtes träumen. Vorsichtig hob ich eine Hand und schob eine verirrte dunkle Strähne aus seiner Stirn, die ihm direkt ins Gesicht hing. Meine Fingerspitzen strichen über seine Haut und verstärkten das vorige kribbelige Gefühl in mir, welches mich unterbewusst innehalten ließ. Es war so anders, jetzt neben ihm zu liegen. Möglicherweise lag es an unserer Auszeit oder dem fortgeschrittenen Alter, doch irgendwie fühlte es sich viel privater und intimer als sonst an.

Damals wie HeuteWhere stories live. Discover now