𝟚 - Unvollständig

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Wie ich schon vorausgeahnt hatte, holten mich nicht nur meine Eltern, sondern auch Tom und Miriam vom Flughafen ab. Ich musste dabei zugeben, dass mir tatsächlich ein paar Tränen gekommen sind, als ich die kleine Gruppe in der großen Halle stehen sah. Das Heimweh und das Vermissen kam mit solch einem heftigen Schlag zurück, dass es mich beinahe von den Füßen riss. Gut, dass ich gleich zwei schwere Koffer an meiner Seite hatte, die mir genügend Halt und Gleichgewicht schenkten. Die riesigen Plakate, auf denen mein Name in Glitzerschrift stand, hätten dennoch nicht sein müssen - die belustigten Blicke der anderen Passagiere waren mir mehr als unangenehm. Dies war jedoch schnell vergessen, als Miriam einen kindlichen Schrei von sich gab, die dünne Pappe im hohen Bogen zu Boden warf und auf mich zu gerannt kam. Die leichte Panik vor dem Aufprall ließ mich in der Bewegung innehalten, bis sie mich auch schon erreichte und in eine feste Umarmung schloss. Während ich grinsend nach Luft rang, folgten die anderen Miriams Beispiel, nur im gemächlichen Gang. "Da bist du endlich!" rief meine beste Freundin und drückte ihre rostbraunen Locken noch mehr in mein Gesicht. "Miri, ich kriege keine Luft." ächzte ich und lachte, als sie mich mit einem anklagendem Blick losließ. "Ich hasse diesen Spitznamen, das weißt du genau."

"Wie in guten alten Zeiten." unterbrach uns Tom und grinste schief. Er war noch immer ein gutes Stück größer als ich, was tatsächlich auch nicht schwer war. Mit meinen 1,67 m schlug ich jedoch wenigstens die durchschnittliche Körpergröße der weiblichen Bevölkerung. Er zog mich ebenfalls in eine warme Umarmung, die ich zu gern erwiderte. Es fühlte sich beinahe so an, als wäre die Clique wieder fast vollständig - es fehlten nur Robin und Gab. Bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, erreichten mich auch meine Eltern. Während bei meiner Mutter schon die Tränen liefen, versuchte es mein Dad weitestgehend noch zu unterdrücken. Die trügerische Nässe in seinen Augen verrieten jedoch sofort seine Gefühlslage, die mich sogleich ansteckte. Mal ehrlich, wer konnte nicht sofort anfangen mit zu heulen, wenn die Eltern emotional wurden? "Hey, Mom. Hey, Dad." sagte ich und schloss beide in eine Umarmung, die ich dringend gebraucht hatte. Ich hatte schon immer ein gutes Verhältnis zu den beiden gehabt und würde es auch nie übers Herz bringen, mich von ihnen abzuwenden. Selbst zu der Zeit in London hatten wir regelmäßig telefoniert oder geschrieben. "Endlich bist du wieder Zuhause." sagte meine Mom, bevor Dad mir auch schon einen der Koffer abnahm und wir uns zum Ausgang begaben. Das Einfamilienhaus meiner Eltern lag nur ein paar Autominuten vom Flughafen entfernt, daher erreichten wir es relativ zügig. Der große Opel meines Vaters fasste sowohl die Koffer, als auch uns Beifahrer und brachte uns Heim. Meinen Führerschein hatte ich schon vor meiner Abreise bestanden, daher müsste ich mir nur noch selbst ein Auto zulegen - sobald ich eine eigene Wohnung gefunden hatte. Leider sah es nämlich so aus, dass ich die erste Zeit wieder in mein altes Zimmer ziehen musste, bis ich was eigenes gefunden hatte. Einen Job hatte ich bereits, da ich mich online im Voraus schon bei diversen Firmen beworben hatte. Sobald ich die Bewerbungen abgeschickt hatte, ging es tatsächlich auch ziemlich zügig und ich hatte ein paar Gespräche per Zoom oder FaceTime. Keiner schien ein Problem damit zu haben, mich nicht persönlich anzutreffen - die Probezeit würde schon früh genug zeigen, wie ich arbeitete. Nervös dachte ich an Montag und meinen ersten Arbeitstag. Zwar hatte ich in London einen Nebenjob in einem süßen Café, um meine Miete zu finanzieren, doch dies war etwas gänzlich anderes als in Vollzeit in einem Büro zu arbeiten. Langsam wirst du erwachsen, Eve.

"Wir haben dein Zimmer schon vorbereitet, du kannst sofort alles ablegen. Will jemand Kaffee?" fragte Mom, als sie die Haustür aufschloss und uns eintreten ließ. Sofort umfing mich der bekannte familiäre Duft, der mich wohlig aufseufzen ließ. Zuhause.

"Gerne, Susan. Und mach es dir nicht zu gemütlich, Eve. Wir haben heute noch etwas vor." sagte Miriam verschwörerisch und grinste frech. Sofort sank meine Laune wieder. "Ich bin total kaputt, Miriam. Eigentlich will ich nur in Ruhe ankommen, ins Bett und..."

Damals wie HeuteWhere stories live. Discover now