𝟙𝟟 - Sasha

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Die erste halbe Stunde nach meinem Auftauchen schaffte es Gabriel tatsächlich, sich nicht mit mir in ein Gespräch verwickeln zu lassen. Stattdessen tat er alles, um möglichst nicht am Tresen bei mir stehen zu müssen. Einmal schickte ihn Max - der dickliche kleine Kerl, dem offenbar die Kneipe gehörte - sogar nach hinten, um einen Unfall auf dem Klo zu bereinigen, wenn er denn ein neue Aufgabe haben wollte. Auch wenn ich deutlich an seiner Miene ablesen konnte, dass er alles andere als begeistert darüber war, ging er dennoch ohne einen Mucks. Ich wusste nicht, ob ich verletzt darüber sein sollte, dass er mir so offensichtlich aus dem Weg ging. Schließlich hatte ich um nichts anderes als ein banales Gespräch gebeten. Wobei das Thema mit seinen Eltern alles andere als banal und einfach war. Vielleicht ahnte er auch schon, worauf das Ganze hinauslaufen würde und ging der ganzen Sache deswegen aus dem Weg. Wahrscheinlich wollte er einfach nicht darüber sprechen. Verübeln konnte ich es ihm nicht, doch die traurigen Gesichter von Dani und Chris gingen mir einfach nicht mehr aus dem Kopf. Wenn ich angeblich schon die Schuld an der ganzen Misere besaß, musste ich wenigstens versuchen, alles wieder hinzubiegen. Wenn auch nur soweit, dass Gabriel wieder mit seinen Eltern sprach und Kontakt aufnahm.

Ich schlürfte abermals an meinem Bierglas und starrte auf die große, hölzerne Uhr hinter dem Tresen. Es war wirklich nicht gerade spannend, wenn man alleine an einem Tresen saß und sich niemand mit dir unterhielt. Zudem musste ich ein ziemlich trauriges Bild abgeben - wohlmöglich dachten die anderen Gäste, ich wurde von meiner Verabredung sitzengelassen und musste daher meinen Frust wegsaufen. Den wahren Grund, warum ich in einem blassblauen Kleid auftauchte, würde ich nur zu gern erklären. Doch ich hatte das starke Gefühl, dass es gerade die Männer weniger interessierte.

"Sasha, da bist du ja!" erschreckte mich Max, welcher das Handtuch, mit welchem er gerade ein Glas poliert hatte, empört auf den Tresen schmiss. "Deine Schicht hat vor einer halben Stunde angefangen!"

Perplex drehte ich mich zum Eingang und entdeckte eine hübsche junge Frau, vielleicht etwas älter als ich. Ihre Kurzhaarfrisur glänzte in einem dunklen Violett und erinnerte mich stark an meine damalige Haarfarbe, die ich abgöttisch geliebt hatte. Ihr Erscheinungsbild trug zu ihrem frechen Grinsen bei - ihre dünnen Beine steckten in einem schwarzen Lederrock und karierten Strumpfhosen, während ihr lockeres T-Shirt eine mir unbekannte Metal-Band ankündigte. Sie war das perfekte Pendant zu Gabriel, nur ohne Piercing im Gesicht - stattdessen konnte ich einige Tattoos ausmachen. Als sie sich lächelnd hinter die Theke stellte und ihre Tasche irgendwo unterhalb meines Sichtfeldes versteckte, konnte ich sie von Nahem begutachten. Ihre Augen waren zwar stark geschminkt, doch wirkten weder unordentlich noch verwischt. Ihr Eyeliner war so perfekt gezogen, dass mich automatisch der Neid umfasste. Ich hatte einmal versucht, mit diesen Teufelswerkzeugen umzugehen - leider hatte ich letztendlich selbst den Pandas aus dem Zoo Konkurrenz gemacht und meine Mutter hatte einen heftigen Lachanfall bekommen. Seitdem machte ich einen großen Bogen um die dünnen Pinsel, die eine ruhige Hand benötigten. Es war eh ein Wunder gewesen, dass ich nicht aus Versehen mein Auge ausgestochen hatte.

"Max!" begrüßte die Kurzhaarige derweil ihren Chef und zog ihn in eine ungewollte Umarmung. Jedenfalls sah es stark danach aus, denn er verzog seine Miene zu einer genervten Grimasse. "Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du pünktlich sein sollst!" meckerte er weiter und löste sich aus ihren Armen. Sasha schien es nicht zu stören, denn ihr Grinsen rutschte kein Stück weg. "Ja, ja, ich weiß. Doch jetzt bin ich ja da." Der kleine Mann grunzte nur, schien aber mit seiner Standpauke fertig zu sein. Gerade, als ich mich wieder meinem Getränk widmen und nicht mehr lauschen wollte, wurde abermals meine Aufmerksamkeit geweckt.

"Wo ist Gabriel? Ist der Depp schon abgehauen?" frage Sasha, als Max sich gerade auf dem Weg zu einem Hinterzimmer machte - vielleicht ein Büro oder Aufenthaltsraum für Mitarbeiter? "Der putzt die Klo's."

Damals wie HeuteOù les histoires vivent. Découvrez maintenant