𝟙𝟠 - Touché

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Die Nacht war kalt, der Wind zog ungünstig um die Häuserecken und es war nur eine Frage der Zeit, bis der nächste Regenschwall herunterkommen würde. Nichtsdestotrotz konnte ich mich in diesem Moment auf nichts anderes als auf Gabriel Thiel konzentrieren. Seine Lederjacke lag schwer auf meinen Schultern und schirmte mich vor den schlimmeren Windzügen ab - der herbe Duft nach Rauch und Gab vermischte sich wunderbar mit dem Geruch des Leders. Noch einmal atmete ich unauffällig tief ein und genoss das aufkommende heimische Gefühl. Dass Gabriel mir doch tatsächlich nachgelaufen war, ließ mich noch immer grübeln. Hatte er etwa Gewissensbisse bekommen? Taten ihm seine harschen Worte leid? Oder hatte Sasha ihn dazu überredet, mir hinterherzurennen? Dies würde mir alles andere als gefallen. Schließlich würde das bedeuten, dass er noch immer nicht mit mir sprechen wollte und demnach nur gezwungenermaßen den Heimweg antrat. Diese Stille machte mich zudem verrückt - warum sagte er kein Wort?

"Also..."

Gabriel sah endlich zu mir herüber, während wir nebeneinander den Gehweg entlangliefen. Er hatte seine Hände tief in den Hosentaschen vergraben und kurz tat es mir leid, dass er mir seine Jacke abgegeben hatte. Es war deutlich zu sehen, dass er fror; sein kurzes T-Shirt ließ nun mal jegliche Kälte hindurch und verteilte eine unangenehme Gänsehaut auf den Armen.

"Also?"

"Sasha scheint nett zu sein." begann ich und biss mir augenblicklich auf die Zunge. Mit Sasha wollte ich eigentlich gar nicht anfangen, doch es war mir rausgerutscht. Oder vielleicht auch nicht, schließlich interessierte sich ein gewisser Teil in mir wirklich für sie - und vor allem, wie sie Gab kennengelernt hatte. Dieser schenkte mir nur einen kurzen Seitenblick, bevor er seine Augen wieder auf den Weg vor uns richtete. "Ja, ist sie. Meistens, zumindest."

"Wie lange arbeitet ihr schon zusammen?"

"Sie hat schon dort gearbeitet, als ich angefangen habe. Also seit ein paar Jahren, schätze ich. Max ist ihr Onkel." Dies erklärte auch die vertraute Art, mit der sie ihren Chef und Onkel begrüßt hatte. Zudem drückte er wohl aus diesem Grund immer ein Auge zu, wenn Sasha zu spät zu ihrer Schicht erschien - als Familienmitglied hatte man wohl einen kleinen Vorteil. "Sie war auch diejenige, die mich dann eingearbeitet hat." fügte er hinzu. Verstehe.

"Ihr scheint euch ziemlich nahe zu stehen." sagte ich leise und mehr zu mir selbst, doch er hatte es dennoch gehört. Peinlich berührt räusperte ich mich, als Gab mich daraufhin wieder ansah. "Ich meine, man konnte sehen, dass ihr schon lange zusammenarbeitet."

"Hm-m."

Abermals umschloss uns diese verheißungsvolle Stille, für die ich mich gerade verfluchte. Wieso hast du ihn auch auf Sasha angesprochen? Jetzt dachte er wahrscheinlich, du wärst hochgradig eifersüchtig. Doch dazu hatte ich keinen Grund, richtig? Warum sollte ich denn eifersüchtig auf eine Frau sein, die die letzten Jahre an Gabriels Seite war, als ich es nicht konnte? Vielleicht war sie auch diejenige gewesen, die ihm in schweren Zeiten wieder aufgeholfen hatte. Ich müsste ihr demnach eher dankbar sein, dass sie ihn unterstützt hatte. Warum verschwand also dieses flaue Gefühl nicht, dass sich bei ihr automatisch bildete? Warum missfiel mir die Vorstellung, wie die beiden stundenlang ihre abendlichen Schichten absolvierten und sich näher kamen? Wohlmöglich standen die beiden sich momentan sogar näher als Gab und ich. Dieser Gedanke ließ mich schwer schlucken.

"Ähm, tut mir leid, dass sie...dich vorhin verwechselt hatte."

"Huh?"

"Na, du weißt schon. Dass sie dachte, du wärst..." Gabriel lachte unecht auf und fuhr sich einmal durch die Haare, die durch den Wind eh wieder hin- und herflogen. Es war offensichtlich, dass es ihm unangenehm war und ich fragte mich ernsthaft, warum.

Damals wie HeuteWhere stories live. Discover now