S I E B E N U N D V I E R Z I G

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November 

Die Wochen vergingen wie im Flug. Nach meiner Aussprache mit Aurora wurde die Stimmung in der Villa wieder allmählich besser. Mittlerweile weiß jeder über meine Beziehung zu Rafael bescheid und bis auf Chiara, die beinahe Freudentränen vergossen hat mit den Worten "ich habe immer gewusst das Rafael zu Vernunft kommt", war es für die anderen nicht sonderlich überraschen. Trotzdem haben sie sich für uns gefreut.

Gerade liegen Rafael und ich eng beieinander gekuschelt in seinem Bett. »Du bist so schön« flüstert er mir zu während er meine Schultern und meine Wange sanft küsst. Und auch wenn ich voll und ganz auf seine Nähe und Berührungen konzertieren will da ich es wirklich genieße, kann ich es nicht. Noch immer geistern die Worte von Aurora in meinem Kopf herum; 

Er hat uns beinahe ruiniert, nicht umsonst wurde er nach Kanada geschickt.

Was hat Rafael getan dass er nicht den Mut aufbringt es mir zu erzählen? Und was meint Aurora mit ruiniert? Ich habe so viele Fragen und langsam halte ich es nicht mehr aus auf die Antworten zu warten. Ich habe doch die Wahrheit verdient. Alle wissen es, nur ausgerechnet ich darf von diesem Geheimnis nichts erfahren. 

Mich ziehen all diese Gedanken so sehr runter, dass ich es nicht mehr vor Rafael verbergen konnte, da er inne hielt und mich kritisch beäugte. »Ist alles in Ordnung mit dir Principessa?« »Ja alles gut, ich bin nur etwas müde. Die Schule hat mich heute wieder ganz schön geschlaucht« versuchte ich abzulenken und es so beiläufig wie möglich klingen zu lassen. »Du weißt, wenn dich etwas belastest kannst du mit mir reden. Immer« murmelte er mir mit einem besorgtem Unterton zu und zieht mich näher zu sich. Nun fühle ich mich schlecht, weil ich mich ihm gegenüber gerade sehr kühl verhalte, andererseits ist er doch dafür verantwortlich.

Am nächsten Morgen hielt ich es nicht mehr aus. Ich wollte Klarheit. Nach unserem kurzen Wortwechsel bin ich zehn Minuten später in mein Zimmer gegangen mit der Ausrede, das ich am nächsten Tag früh aufstehen müsse. Doch in meinem Bett bekam ich kein Auge zu, die ganze Nacht schwirrten Fragen in meinem Kopf auf die ich schnellstmöglich eine Antwort benötige. Und heute werde ich ihn darauf ansprechen. Ich habe nun lange genug gewartet.

Entschlossen schminke ich meine Augenringe weg, damit ich nicht mehr ganz wie eine Leiche aussehe. Anschließend nahm ich mir eine schlichte Bluejeans und einen dicken, violetten Pulli.  Ich mag die Farbe und sie passt super zu meinen weißen Chucks, in die ich ebenfalls hineinschlüpfe. Auf dem Weg in die Küche, schnappe ich mir noch meine Schultasche die ich beinahe vergessen hätte. 

»Guten Morgen Süße, Rafael kommt gleich.« Chiara schenkt mir eine Tasse frischen Kaffee ein und übergibt sie mir zusammen mit meinem Mittagessen, da sie weiß wie sehr ich das Kantinenfutter hasse. »Grazie Zia« bedankte ich mich bei meiner Tante und gab ihr ein Kuss auf die Wange. »So wir können, sorry ich hab meine Schlüssel oben vergessen«. Rafael betritt die Küche und begrüßt mich mit einem Kuss »Guten Morgen« raunte er mir mit seiner morgen Stimme zu, was mich alles andere als unberührt lässt. Es ist beinahe erschreckend was für eine Wirkung er auf mich hat. In seinem grauen Hemd und der schwarzen Stoffhose sieht er mal wieder atemberaubend aus. »Guten Morgen« wisperte ich und widerstehe dem Drang ihn erneut zu küssen. Ich kann nämlich für nichts garantieren und ungern würde ich Chiara eine Show liefern. Außerdem möchte ich ihn ein wenig zappeln lassen, immerhin wartet noch ein Gespräch auf uns auch wenn Rafael noch nichts davon weiß. »Na los Kinder, bevor ihr noch übereinander herfallt.« scheuchte uns Chiara lachend aus der Küche. Zu meinem Glück, denn ihn von mir fernhalten klappt leider nicht so wie ich das möchte. Vor allem da er weiß, was für eine Wirkung er auf mich hat. »Ist ja gut, wir sind ja schon weg« erwidert Rafael grinsend und führte mich an der Taille hinaus. 

Während der Autofahrt war es still. Ich hatte nicht das Bedürfnis eine Konversation zu beginnen, da ich zwanghaft versuchte mir eine geeignete Formulierung für meine Frage zu überlegen und auch Rafael schien in seiner Welt voller Gedanken vertieft. Das einzige was die Stille durchbrach, war das Radio welches leise vor sich hin sang. »Ellie?« Ich wendete den Blick ab von den vorbeifahrenden Autos. »Hm?" »Ist wirklich alles in Ordnung mit dir? Habe ich irgendetwas falsch gemacht?« Die Frage überrascht mich ein wenig, weshalb mich zunächst auch keine Antwort darauf weiß. »Ellie, bitte rede mit mir Principessa« ich seufzte und senkte meinen Blick. Jetzt oder Nie. »Ich will die Wahrheit.« »Was meinst du?« »Die Wahrheit, Rafael. Ich will wissen was Angelo dazu gebracht hat dich nach Kanada zu schicken. Ich will wissen was dich glauben lässt ich könnte dann anders von dir denken. Ich will einfach wissen was für eine scheiße du gebaut hast. Alle wissen es, nur ich, deine Freundin darf es nicht wissen. Es macht mich verrückt zu wissen das es ein Geheimnis zwischen uns gibt und doch nicht zu wissen was sich dahinter verbirgt. Es tut mir leid, ich habe wirklich versucht nicht zu fragen und dir Zeit zu geben, aber ich kann es nicht. Es geht einfach nicht.« Ich schaue erneut aus dem Fenster um meine aufkommenden Tränen vor ihm zu verbergen. Rafael hat das Auto bereits vor meiner Schule zu stehen gebracht. Hastig schnalle ich mich ab und sehe dabei noch einmal zu Rafael, doch dieser hat mir nichts zu sagen. Gut, dann nicht. Ich öffnete die Wagen Tür und- »Okay.« Mein Kopf schnellt zur Seite. »Okay. Du bekommst die Wahrheit. Die ganze Wahrheit.«

Ruckartig schließe ich die Autotür wieder und schnalle mich an, wofür ich einen fragenden Blick von Rafael kassiere. »Fahr los. Ganz bestimmt werde ich heute nicht die Schule besuchen.«  kopfschüttelnd und sichtlich überfordert startet er den Motor. »Du bist mir vielleicht eine« murmelte er und fuhr los. »Denkst du allen Ernstes, dass ich mir jetzt acht Stunden die Qualen gebe und dir die Zeit lasse es dir anders zu überlegen? Kannst du vergessen mein Lieber.« versuchte ich in einem lockeren Ton zu sagen um die Stimmung etwas zu lockern, obwohl ich jedes einzelne Wort ernst meinte. Doch Rafael schaut geradewegs auf die Straße. Ihm scheint das ganze wohl sehr nahe zu gehen, denn er sieht äußerst nachdenklich aus. 

Und schon habe ich wieder ein schlechtes Gewissen. Habe ich ihn zu sehr gedrängt? Andererseits ist es doch nur für uns beide von Vorteil. Ich kenne endlich die Wahrheit und er weiß meinen Standpunkt dazu. Wie soll er den jemals meine Meinung dazu herausfinden können, wenn er es mir nicht erzählt? Himmel, ich werde aus dem Kerl nicht schlau.

Auch auf der Rückfahrt sprach keiner von uns eine Wort. Doch diesmal ging das nicht von mir aus. Ich sah Rafael an, das er nervös war und das er sich unwohl fühlt. Doch er hatte gar kein Grund dafür, denn egal was es ist ich würde sowieso bei ihm bleiben. Weil ich ihn brauche, weil ich ihn liebe.

»Wir sind da.« erwähnte er das offensichtliche, als er den Code für unser Tor eingab und die Auffahrt hinauf fuhr.
Kaum kam das Auto zum stehen, schaltete er den Motor ab und sprang förmlich aus dem Auto. Als ich mich gerade abschnallen wollte, war er auch bereits auf meiner Seite und hielt mir die Tür auf. Scheinbar hatte er es eilig.

Er zog mich aus dem Wagen hinein in das Haus. Doch anders als gedacht, gingen wir nicht nach oben sondern das Wohnzimmer entlang Richtung Garten.
Dort angekommen, begegneten wir zwei Kinder im Körper von Anfang Zwanzigern, die nichts besseres zu tun haben als Wasserbomben auf sich zu werfen. Im November. Bei Temperaturen um den Nullpunkt. »Na ihr Turteltäubchen, was macht ihr denn schon hier?« »Halt bitte einfach die Fresse Giuse« »Wow, Raffaello du bist ja heute wieder die Freundlichkeit in Person. Na gut, komm Luca wir gehen auf die andere Seite. Bye Ellie« ich winkte den beiden zu, die bereits ihre "Waffen" eingesammelt haben und abgezogen sind, während ich mich weiterhin von Rafael durch den Garten zerren lasse.
An unserer Schaukel machte er halt, ließ meinen Arm los und deutete mit einer Geste an, das ich mich setzen soll. Ich folgte seiner Anweisung, Rafael hingegen blieb stehen und kramte aus seiner Jackentasche eine Packung Zigaretten hervor. »Du raucht noch?«  »Hab gerade wieder angefangen« stieß er zwischen den Zügen vor. Die Schachtel sieht neu aus, was bedeutet das er tatsächlich seit längerem nicht geraucht hat. Ich nickte nur und senkte meinen Blick auf meine Hände.

»Also schön, du willst es so. Ich erzähle es dir, aber du musst mit versprechen mir eine Chance zu geben. Zu verstehen, warum ich das getan habe. In Ordnung?«

P R O M I S E SWo Geschichten leben. Entdecke jetzt