Ja bitte?

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Die Haustür ist offen, weswegen ich beschließe erst oben bei Harry zu klingeln.
Mühsam schleppe ich meinen Koffer von Etage zu Etage und verfluche dieses Haus dafür, dass es keinen Fahrstuhl hat. Warum muss er auch ganz oben wohnen?
Schnaufend komme ich im Dachgeschoss an, atme mehrere Male tief durch und versuche meine Nervosität damit gleichzeitig ein wenig auszublenden.
Mein ganzer Körper kribbelt und als ich meinen Finger auf die Klingel lege, zittert dieser so sehr, das ich beim ersten Versuch abrutsche und erneut einen Versuch starte bei meinem Freund zu klingeln.

Das Geräusch der Klingel ertönt und unbewusst halte ich meinen Atem an.
Doch es passiert nichts.
Ich klingele noch ein zweites Mal, aber wieder bleibt es ruhig in der Wohnung hinter der dicken Tür.
Vielleicht ist er wirklich nicht zu hause?
Alle guten Dinge sind Drei, weshalb ich einen letzten Versuch starte und tatsächlich sind wenig später Geräusche aus dem Inneren der Wohnung zu hören.
Meine Hände beginnen zu schwitzen und meine Beine fühlen sich an wie Brei, als sich die massive Eichentür öffnen und - ein mir vollkommen fremder Mann vor mir steht.
Aber nein, nicht nur ein fremder Mann, er ist auch noch nackt. Zumindest bis auf das Handtuch, welches er um seine Hüften trägt.
Was zum... - "Ja bitte?".
Ich sehe den Typen an. Habe ich mich vielleicht an der Wohnung geirrt? Nein, Harry wohnt oben unter dem Dach und hier ist weiter keine Wohnung. Außerdem war ich doch jetzt schon oft genug hier, um die Wohnung zu kennen.
Das hier ist definitiv Harrys Wohnung.
"Kann ich Ihnen helfen?", möchte der Typ wissen und sieht mich etwas unsicher an. Natürlich tut er das, denn ich starre ihn vermutlich wie ein Geisteskranker an.
"Wo ist Harry?".
Der Fremde kräuselt seine Stirn und mustert mich. "Arbeiten."
War ja eigentlich klar. Es ist mitten am Tag. Natürlich ist er arbeiten.
"Was machen Sie in seiner Wohnung?". Irgendwas gefällt mir an dem Typen nicht. Er sieht mich so komisch an.
"Wer sind Sie und warum wollen Sie das wissen?", stellt er mir eine Gegenfrage und macht mich langsam wütend. Was verdammt hat ein nackter Mann bei meinem Freund zu suchen?
Wut breitet sich in mir aus und ein Gedanke taucht auf, den ich nicht haben will. Ich versuche ihn zu verdrängen, in die hinterste Ecke meines Hirns zu schieben, aber er flackert immer wieder auf. Kämpft sich an die Oberfläche und schreit mich quasi an, dass es ja wohl offensichtlich ist.
"Was machen Sie in Harrys Wohnung?", wiederhole ich meine Frage und klinge nicht mehr so freundlich wie vorhin.
Der Fremde verdreht seine Augen und stöhnt genervt auf, ehe er mir antwortet und mich damit aus den Socken haut.
"Ich wohne hier".

Ich weiß nicht, wie viele Minuten ich diesen Mann anstarre und kein Wort meine Lippen verlässt.
Er wohnt hier.
Er wohnt bei Harry.
Scheiße, seit wann das denn bitte?
Wohnt er etwa schon die ganze Zeit da und ich habe ihn nur nie gesehen, weil er verreist war? Oder ist er erst vor kurzem eingezogen? Aber das hätte Harry mir doch erzählt.
Und wo bitte schläft er?
Harry hat kein Gästezimmer und - scheiße, der Gedanke breitet sich immer mehr aus.
Was ist, wenn...wenn dieser Mann dort...also wenn, wenn das Harrys Freund ist?
Vielleicht ist Harry schon lange vergeben und ich war immer nur hier, wenn der Typ da auf Geschäftsreise war?
Nein, das kann nicht sein. Dann hätten mich ja auch Gemma, Niall und alle von Harrys Freunden anlügen müssen. Und irgendwie kann ich das nicht glauben. Irgendjemand hätte ihn doch mal erwähnt. Irgendwo wären Fotos. Zumindest in der Wohnung.

"So, können Sie mir jetzt mal sagen was das Theater hier soll? Oder wollen Sie mich weiterhin wie ein Idiot anstarren?".
Der Fremde wird ebenfalls langsam wütend und ich kann es ja irgendwie verstehen.
"Wann kommt Harry wieder?".
Der Typ verdreht seine Augen erneut, murmelt etwas unverständliches und schüttelt seinen Kopf.
"Irgendwann heute Abend. Soll ich ihm was ausrichten? Zum Beispiel wer verdammt Sie sind?".
Energisch schüttele ich meinen Kopf, drehe mich um und will die Treppen herunter, als mir mein Koffer wieder einfällt und ich den Fremden erneut ansehe. Vermutlich denkt er ich bin irgendein Spinner, der aus einer Psychiatrie ausgebrochen ist.
"Kann ich meinen Koffer hier stehen lassen?". - "Was-" - "Danke!".

Eilig renne ich die Stufen des alten Hauses herunter und stoppe erst wieder auf der Straße.
Scheiße, da wohnt jemand in Harrys Wohnung. Ein Mann. Ein hübscher Mann.
Ich hole mein Handy aus meiner Hosentasche und rufe meinen Freund an, doch leider geht dieser nicht ran. Natürlich nicht, er arbeitet und macht sicherlich gerade Fotos.
Warum hat er mir nicht erzählt, dass jemand bei ihm wohnt?
Unsicher sehe ich mich auf der Straße um. Vielleicht sollte ich mich einfach in irgendein Café setzen und auf meinen Freund warten. Oder ich - "Das glaub ich ja nicht!".
Erschrocken zucke ich zusammen, als mich jemand stürmisch an sich zieht und ich deshalb aufschreie. Voller Panik drücke ich den Verrückten von mir, bereit um mich zu schlagen, als ich Nialls Lachen höre und den Iren erkenne, der abwehrend seine Hände hebt. "Ruhig, Louis, ich bin es nur".
Gott, will die Menschheit mich heute umbringen?
Mein Herz rast noch immer, als Niall mich erneut umarmt und mich so voller Freude anstarrt, dass ich mich ein wenig besser fühle.
"Was macht du denn hier? Harry hat gar nicht erzählt, dass du vorbei kommen willst". Lächelnd mustert er mich, wuschelt mir einmal durch meine Haare, weshalb ich ihm grinsend seine Hand wegschlage. "Er weiß es nicht. Es ist eine Überraschung". Nialls Augen werden groß und das Lächeln auf seinem Gesicht wird nur noch breiter. "Na da wird er aber Augen machen."
Mein Blick gleitet die Fassade des Hauses hinauf, dann wieder zu Niall, dem die Freude wirklich ins Gesicht geschrieben ist. "Er ist arbeiten", erkläre ich und spiele nervös an meinem Finger herum.
"Ja, er hat momentan wirklich viel zu tun. Immerhin hier in der Stadt und nicht verstreut auf der ganzen Welt." Erneut gleitet mein Blick sie Fassade hinauf, ehe ich unsicher zu Niall schaue.
"Da...da ist jemand in seiner Wohnung. Ein Mann und...und er meinte, er wohnt dort".

Amor manet.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt