Die Abreise

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„Er war hier? Warum hast du nichts gesagt? Ich hätte ihn weggeschafft, ich hätte dafür gesorgt, dass er hier nicht nochmal auftaucht." David biss die Zähne zusammen und ich konnte die erneut entfachte Wut in seinem Blick nur allzu genau erkennen.

„Er hat meinen Brief mit der Verlängerung des Visums verschwinden lassen, das wollte er mir erzählen und sich dafür entschuldigen." Kopfschüttelnd grub David die Finger in den massiven Holztisch im Büro und musterte mich ungläubig.

„Ich kann es nicht fassen! Ich kann es einfach nicht fassen! Wie kann man nur so ein Arsch sein?" Ich legte meine Finger auf seine verkrampften Hände und löste sie sanft von dem schönen antiken Tisch, um sie mit meinen zu umschließen.

„Reg dich nicht auf, er ist es nicht wert und jetzt ist es sowieso zu spät. In ein paar Stunden bin ich oben in der Luft und so gut wie in Deutschland. Daran ist nichts mehr zu ändern." David atmete tief durch, versuchte sich zu beruhigen, aber die Wut saß tief.

„Das ist auch der einzige Grund, warum ich diesem..." Er schüttelte nochmal empört den Kopf. „...nicht hinterhergehe. Ich lasse mir von ihm bestimmt nicht auch noch die letzten Stunden mit dir nehmen."

„Das sollst du auch gar nicht. Komm hilf mir die Koffer herunterzubringen und vergiss ihn einfach." Er war überhaupt nicht begeistert, unter seiner Haut brodelte es und er hielt es nur mit äußerster Beherrschung zurück. Die Eskalation war vorherzusagen, doch es waren unsere letzten Stunden. Ich konnte ihn verstehen. Noel war dreist nochmal hier aufzutauchen und erst recht völlig bescheuert es auch noch mit diesem Geständnis zu tun. Wenn David ihn nicht verpasst hätte, dann wäre es eskaliert, so viel war sicher. Doch es war nochmal friedvoll abgelaufen und ich musste dafür sorgen, dass David sich jetzt nicht noch kurz vor unserem Aufbruch in Schwierigkeiten brachte. Denn egal was er mit Noel alles vorhatte, es würde uns schaden, ihm schaden.

Er atmete mehrmals tief durch und schien sich vor Gedanken zu führen, dass uns nicht mehr so viel Zeit bliebt. So erlangte er die Kontrolle über seine Entrüstung, aber sprach kein Wort mehr als wir hoch zu unserem Zimmer liefen. Gerade als ich nach dem ersten Koffer greifen wollte, brach er sein beherrschtes Schweigen.

„Lass, der ist zu schwer." In seiner Stimme lag eine leichte Sorge um mich und die tiefe Trauer über den baldigen Abschied, nichts von der schrecklichen Wut, die noch vor wenigen Minuten durch seine Adern geflossen war. Bei diesem Blick, bei der Intensität die er mir entgegenbrachte, verzog sich schmerzlich mein Herz. In wenigen Stunden war ich weg, Kilometer von ihm entfernt, von meinem Zuhause. Die Einsicht darüber steigerte sich schon seit Tagen, auch wenn ich es zu verdrängen versuchte. Aber diese Koffer vor uns, so gut wie im Auto, Davids nun nicht mehr wütender, sondern trauriger Blick und mein Herz das immer schwerer wurde, ließen das nicht mehr zu.

„David?" Er sah vom Griff des Koffers zu mir auf. Das Bernstein in seinen Augen schien zu pulsieren. Dieser Abschied würde so hart werden. Ich konnte spüren wie meine Augen sich mit Tränen füllten, doch ich hielt sie zurück.

„Was ist los?" Sein eh schon sorgenvoller Blick wurde noch drückender, als er den Griff losließ und auf mich zukam. Seine Hände umfassten meine, ganz gefühlvoll, während seine Augen mich mit einem sanften Ausdruck musterten. Ich wollte so viel sagen, wie sehr ich ihn vermissen würde, auch wenn es nur ein paar Tage waren, wie sehr ich ihn liebte, wie leid mir unser letzter Streit tat und noch so viel mehr.

„Ich... Es..." Ich hasste es so sehr, dass ich es nicht einfach in die richtigen Worte gefasst bekam, doch er sah weiterhin liebevoll auf mich herunter und zog mich dann voller Hingabe fest an seine Brust. Seine Wärme durchströmte mich, sein Geruch nach Sonne und Meer umgab mich wie eine Wolke und ich wollte nichts anderes als einfach in diesem Moment verharren.

An Island awayWo Geschichten leben. Entdecke jetzt