17 Jahre zuvor

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17 Jahre zuvor

Ich hatte gedacht. es könnte nicht noch schlimmer kommen, doch da kannte ich Richard noch nicht. Es war kein Wunder, dass unsere Mutter wenige Monate nach dem Verschwinden unseres Vaters, einen neuen Typ mit anschleppte. Im Nachhinein, muss ich sogar zugeben, dass die zwei perfekt zueinander passten. Sie, die Säuferin, die sich jeden Tag ins Delirium trank und er ein faules, aggressives Arschloch, das sich einen Dreck um sie schert. Ja, sie hatte ihm nichts bedeutet, aber sie hatte Geld, konnte die Kneipentouren finanzieren und ihm auch noch ein Dach über dem Kopf bescheren. Na gut, auf die zwei Anhängsel hätte er wahrscheinlich nur allzu gerne verzichtet. Denn mehr waren mein Bruder und ich nicht für ihn.

Bis heute habe ich keine Ahnung, wie er es schaffte unsere Mutter zu überreden nach Stuttgart zu gehen. Obwohl, wenn ich so recht überlege, dann war sie doch sowieso nicht mehr zurechnungsfähig. Da begann die Qual erst richtig. Weg von alldem Bekannten, hin zu einer Stadt in der alles fremd war. Noch dazu in einer Bruchbude von Wohnung, wo ich mich wirklich fragte, wer dafür Geld bezahlte. Doch auch die Geldreserven meiner Mutter hielten halt nicht ewig. Warum Richard ihrer nicht überdrüssig wurde, wusste ich nicht. In dieser schimmligen Stadtwohnung, teilten Sebastian und ich uns nur ein kleines verdrecktes Zimmer. Doch auch dort bemerkte niemand unsere schreckliche Lage, denn Richard war der geborene Schauspieler. Nach Außen hin waren wir seine perfekten Stiefsöhne, die nur leider das Pech mit einer chronisch kranken Mutter hatten. Ja, sie war krank, doch sie war eine Alkoholikerin, keine depressive, arme Frau.

Eines Abends lag sie kaum noch atmend im Wohnzimmer. Hilflos stand ich vor ihr und hoffte, dass es noch nicht zu diesem Tag gekommen war. Dem Tag, wenn sie es endgültig übertrieb und nicht mehr aufwachen würde. Jedes Mal wollte ich Hilfe holen, wollte dass wir sie ins Krankenhaus brachten, doch Richard ließ das nicht zu. Er stieg über sie hinweg, wie als wäre sie ein nutzloses Möbelstück in seinem Weg. Als Sebastian das sah, rastete er völlig aus. Er schrie ihn an, dass er unsere Mutter nicht so behandeln kann, dass wir etwas tun müssen. Doch Richard sah in ihr nichts anderes als jemanden, der ihn aushielt. Wenn sie sich dabei so zu saufen wollte, dann war ihm das herzlich egal. Ich weiß gar nicht, was er sie machen ließ, um an Geld zu kommen und ich glaube, dass will ich auch gar nicht wissen, aber so lief das. Sie war immer mehrere Stunden weg und kam dann mit einem Geldbatzen und total im Delirium nach Hause. Dieses Mal eskalierte es nur noch mehr, weil sie es eben nicht mehr bis in ihr Zimmer schaffte, sondern hier im Wohnzimmer halbtot auf dem Boden lag. Desto mehr Sebastian Richard an diesem Abend an den Kopf warf, umso wütender wurde unser Stiefvater. Mein 12-jähriger Bruder schickte mich ins Badezimmer und ließ mich die Tür verriegeln. Ich konnte alles hören, jeden Aufprall der harten Faust von Richard, jeden Schrei meines Bruders und das laute Hämmern an der Badezimmertür. Ich hatte jedes Mal schreckliche Angst. Meine Knie schlotterten und die Tränen rannen mir unaufhörlich über die Wangen. Die Sorge um meinen Bruder war riesig und auch die Wut auf diesen scheußlichen Mann und meine Mutter, die das zuließ. Oft saß ich mehrere Stunden hinter der verschlossenen Tür, bis ich mir sicher war, dass er nicht doch noch davor lauerte. Danach suchte ich voller Verzweiflung meinen Bruder. Er war meistens grün und blau und musste oft sogar ins Krankenhaus, doch nie ließ er mich sehen, wie verletzt sein Inneres war. Er redete mir nur gut zu und erzählte mir von unserer Zukunft wenn wir hier raus wären. Er hatte immer Hoffnung in der Stimme.

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