-10. Kapitel-

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Bild: Bettelende Hände und angezogene Sterne

Nur noch zwei Stunden und dann ist der Schultag, der sich seit der dritten Stunde wie elendes Kaugummi vor sich her zieht, endlich zu Ende. Die ersten beiden Stunden gingen gut rum. Auf meiner Kamera sind einige spitzen Bilder entstanden, was mich das Missgeschick von gestern wenigstens etwas vergessen lässt.

„Éva!", kreischt Ril wie aus dem Nichts neben mir los und beginnt durch die Schülermengen in den Fluren zu rennen. Gemächlich schlendere ich hinterher. Mit Sicherheit möchte ich nicht von allen blöd angegafft werden, weil ich wie eine Irre durch die Schule sprinte.

„Hi", lächele ich Éva an, als ich die beiden wenig später im Treppenhaus erreiche, wo sie dem Anschein nach auf mich gewartet haben. Laut Évas Gesichtsausdruck hat Ril ihren Willen bereits ausgesprochen.

„Bitte! Éva, du musst mir helfen. Ich bin eine Nichtskönnerin in Kunst. Dann male mir nur die Skizzen und ich vervollständige es dann." Aufgelöst steht Ril zwischen uns und blickt Éva mit ihrem Hundeblick an, den sie echt gut drauf hat. Ihre braunen Augen beginnen dann immer unheimlich zu leuchten. Ihre Unterlippe schiebt sich ein Stück nach vorne und sie gibt einen Seufzer von sich, der einem zeigt wie sehr sie es wünscht. Da kann man echt nicht anders als ihr den Gefallen zu erfüllen. Leider muss ich zugeben, dass ich selbst oft genug darauf reinfalle. Selbst Zach macht manchmal exakt das Gleiche und es funktioniert bei ihm genauso gut. Muss in der Familie liegen.

Auch bei der Französin scheint dieses Vorgehen zu klappen, denn sie seufzt ergeben: „Na gut... Was stellst du dir denn so vor?"

Jubelnd reißt Ril Éva in eine stürmische Umarmung: „Dankeeeeeee. Du bist echt die Beste." Mit ihrem Armen könnte sie die ganze Welt auf einmal an sich drücken.

„Oui, je sais", grinst Éva und tätschelt Riley den Rücken. Ich stehe kopfschüttelnd daneben und muss bei dem Anblick vor mich hin lächeln. Man kann im Leben alles bekommen, wenn man es sich holt. Es ist in Griffweite. Nur manchmal will man es nicht wahrhaben oder man ist zu faul, um sich zu bedienen.

„Ich hatte an zwei Sterne gedacht, die man anzieht. Der eine bin ich und der ist richtig stylisch und der andere ist Zach. Der bekommt Sportklamotten", berichtet Ril ihr überzeugt, was sie sich vorgestellt hat.

„Das ist nicht dein Ernst oder?", entfährt es Éva, die Riley von sich drückt, um sie skeptisch ansehen zu können. „C'est un peu difficile. Wie lange hast du Zeit?"

„Vielleicht einen Monat", schreite ich ein, da Riley mich hilfesuchend ansieht. Es wurde nicht genau gesagt wie lange wir Zeit haben, aber ich schätze vier Wochen wird sie uns dafür schon geben.

„Okay... Ich sehe, was sich tun lässt", nickt Éva und geht die Treppen runter. „Am Wochenende helfe ich in der Kirche bei einer Veranstaltung aus. Kinderschminken und sowas. Wollt ihr nicht mal vorbeisehen?"

„Willst du mich schminken oder was?", spaßt Riley und hält die Tür auf, damit wir hindurch schlüpfen können. Ich mag es Zeit mit kleinen Kindern zu verbringen. Sie sind unschuldig. So unerfahren im Leben und tragen eine Lebensfreude mit sich, die man leider im Laufe der Jahre Stück für Stück etwas verliert.

„Peut-être." Ich kann etwas Französisch, da wir es drei Jahre lang in der Schule hatten. Ich mochte diese Sprache. Sie war so anders als unsere und das liebte ich an ihr.

„Was heißt das?", hakt Ril nach, die französisch so schnell es ging, abgewählt hatte.

„Vielleicht", kläre ich sie auf und lasse mich auf eine Bank in der Pausenhalle fallen. Eine halbe Stunde haben wir Pause, die ich voll und ganz ausnutzen muss. Danach haben wir zwei Stunden Mathe und dann Schluss.

„Ich hoffe, dass das Wetter gut wird. Wenn es regnet, müssen die Kinder in dem Aufenthaltsraum spielen, was unser Vorhaben einschränkt." Éva hockt sich neben mich auf die Bank und kramt aus ihrem Rucksack einen Block mit einem Bleistift heraus.

„Was habt ihr denn vor?" Neugierig luke ich zu ihr rüber. Ich war ewig nicht mehr auf solchen Veranstaltungen. Dabei liebte ich es früher, das Lachen der Kinder hören zu können und das Blitzen in ihren Augen zu sehen, wenn sie sich freuten. Es zeigt einem, dass es doch noch schöne Sachen auf dieser Welt gibt.

„Wir wollten Süßigkeiten draußen verstecken, die die Kinder dann suchen können. Wer am Ende am meisten hat, bekommt einen Preis." Sie beginnt auf ihrem Block Skizzen von zwei Sternen zu machen. Allein anhand ihrer ersten Striche sieht man wie begabt sie in Sachen zeichnen ist.

„Hört sich cool an", nicke ich und hole meine Brotdose aus meinem Rucksack. Ich würde auch gerne so zeichnen können. Dieses Talent liegt leider aber nicht in unserer Familie. Jacob konnte auch nie zeichnen. Wir waren beide grottenschlecht darin.

„Soll ich mir meine Nägel lang oder kurz machen lassen?", wechselt Ril plötzlich das Thema und streicht sicher über ihre jetzigen, die meiner Meinung nach noch voll in Ordnung sind. Sie glänzen wie Glitzersteine, die von der Sonne, dem Mond, allen Sternen und allen Lampen der Welt gleichzeitlich angestrahlt werden.

„Wieso willst du dir schon wieder neue machen? Die sind doch noch schön", kommentiere ich. Von sowas habe ich relativ wenig Ahnung, da ich mir weder Nägel machen lasse, noch Schminke auftrage. Meine Haut würde das Zeug auf Dauer bestimmt nichtmal vertragen und dann hätte ich Pickel so groß wie Ätna, der wenn er explodiert mehr Schaden anrichtet als man sich vorstellen kann. Da lasse ich es lieber komplett weg und lasse die Menschheit in Ruhe leben.

„Nope. Die wachsen schon raus." Sie blickt Éva über die Schulter, die die letzte Zacke des zweiten Sternes beendet. Für diese Skizze hätte ich mindestens ein Jahr gebraucht und es würde nicht ansatzweise so aussehen. Es muss toll sein ein Talent zu haben. Worin meine Gabe liegt, habe ich noch nicht herausgefunden. Im Zeichnen ist es allerdings nicht.

„Ich finde lange viel schöner. Von kurzen hat man doch kaum was", gibt Éva ihre Meinung ab. Sie lackiert sich ihre Nägel, wenn schon selbst. Oft machen, tut sie es aber nicht. Vielleicht elf Mal in einem Jahrzehnt.

„Ich an sich auch. Was sagst du Ky?"

„Ich find kurz schöner. Dann sind sie nicht so unnatürlich." Mit langen Nägeln kann man sich bestimmt gar nicht richtig betuen. Mich zumindest würden die stören.

„Mm... Ich glaube, ich nehme lange", grübelt sie vor sich hin.

„Es muss dir gefallen", teile ich ihr mit und beiße in mein köstliches Brot, das mit Käse belegt ist. Eigentlich ist es mir auch vollkommen egal, was sie mit ihren Nägeln macht. Ich muss sie nicht mit mir rumschleppen.

„Und welche Farbe?"

Die Rose eines Lebens Where stories live. Discover now