-3. Kapitel-

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Bild: Geist und dessen Schwester vor dem eigenen Grab

Mal wieder knie ich wie ein armes kleines Mädchen vor dem Grab meines Bruders. Starre den verdammten Grabstein an und könnte einerseits mit einem Ruck und Wut aufspringen, weil das alles so absurd ist, dass es kein Mensch glauben kann. Doch anderseits ist es das einzige, was mich noch mit meinem Bruder verbindet. Hier ist der Beweis, dass er existierte. Die ganzen Erzählungen sind keine Lüge und wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, habe ich nie daran gezweifelt.

Alte Blätter fallen mir vor meine Augen und ich könnte schwören wie ich darauf Bilder von mir und meinem Bruder sehen kann. Sie sinken geräuschlos auf den Boden, wo sie sich zur Ruhe legen.

Mein Blick richtet sich müde der riesigen Eiche neben mir empor. Wer hätte gedacht, dass ich jemals mit nur sechzehn Jahren auf einem Friedhof sitzen würde ohne mich richtig darin zu erinnern, wie es überhaupt dazu gekommen ist.

Reine Leere. Und egal wie sehr ich mich anstrenge, es regt sich nicht mehr als Nichts in den Tiefen meines Gehirns.

Mit einem tiefen Atemzug inhaliere ich die kalte Luft um mich herum. Genieße, wie sie in meine Lungen strömt und lasse sie sobald ich meinen Kopf senke, entweichen.

„Jacob... Es tut so weh, hier zu sein und vergessen zu haben, wer du je warst. Alles beruht auf Erzählungen", beginne ich zu reden. Es ist kein anderer hier, weswegen es auch keiner hören kann wie ich mit einem Toten spreche.

„Ich verfluche mich dafür, dass mein Gehirn nach diesem dummen Unfall einen Aussetzer hatte."

Meine Eltern erzählten mir, dass ich zusammengebrochen seie. Als ich im Krankenhaus aufwachte, konnte ich mich an kaum was erinnern. Ein ganzes Jahr war wie ausgelöscht. 365 Tage, die stattgefunden, aber jegliche Bedeutung verloren haben.

Ich wusste nicht, wer du warst. Wie du die Welt verlassen hast, welche Eigenschaften oder Angewohnheiten du hattest und vor allen Dingen hatte ich vergessen, wer ich selbst war.

Die Verpflichtung verfolgt mich seit diesem Tag. Jede Sekunde muss ich mich auf meine Eltern verlassen, die mir damals versprachen mir alles zu erzählen. Ich würde mich nie fühlen als würden diese ganzen Tage fehlen. Das waren ihre Worte und sie waren falsch.

Nicht nur eine Minute konnte ich die Vermutung aufstellen, dass ich das Gefühl hatte zu wissen, was tatsächlich geschehen war. Nicht, weil ich meinen Eltern keinen Glauben schenkte, sondern weil es Erzählungen waren und mit sowas verbindet man Geschichten. Man muss etwas erlebt haben, um es zu verinnerlichen.

Für mich war alles vergessen. Nichts blieb außer das Grab, das Tag für Tag älter wurde. Moos legte sich auf die Steine. Blumen wurden gewechselt. Alles wurde älter, außer er.

„Würde hier nicht dein Name stehen, würde ich bei meinem Leben schwören, dass du nicht tot sein könntest", flüstere ich und drücke meine Augen zu, um das Weinen zu verhindern. Es würde ihn nicht zurückholen.

Durch eine kalte Hand auf meinem Hals schrecke ich zurück. Reiße meine Augen auf und erkunde meine Umgebung, die vollkommen leer ist. Niemand ist hier. Mit meinen Fingern streiche ich über die Stelle an meinem Hals.

Was war das?

Habe ich bereits Halluzinationen?

„Ich sollte gehen." Meine Knie drücken mich nach oben und ich richte meine Augen ein letztes Mal auf den grauen Grabstein, auf dem ein Schatten liegt, der unmöglich von mir sein kann.

„Es muss an meiner Müdigkeit liegen", beschließe ich und verlasse den Friedhof mit schnellen Schritten. Bevor ich Geister sehe, ist es das beste zu gehen. Riley müsste mich bereits erwarten.

Die Rose eines Lebens Where stories live. Discover now