-2. Kapitel-

53 6 21
                                    

Bild: Das herausstechende Mädchen

Gedankenverloren trotte ich durch die Flure der Schule. Überall bewegen sich Schüler, von denen mir nicht einer Beachtung schenkt. Die Frage, ob ich überhaupt diese Aufmerksamkeit bekommen will, ist nicht zu beantworten, wie so vieles anderes im Leben.

Es gibt abertausende von Fragen, die nicht beantwortet werden können, weil sich entweder keiner damit beschäftigt oder sich keiner traut damit umzugehen. Andere unbeantwortete Fragen können aufgrund fehlendem Wissen nicht mit einer Antwort an die Seite geschoben werden.

„Kyla! Warte auf mich!" Von einer Hand auf meiner Schulter werde ich angehalten. Ich muss mich nicht umdrehen, um zu wissen, wer nach mir ruft. Diese Stimme ist eine der wenigen, die ich zu jeder Zeit an jedem Ort glücklich empfangen würde. Einfach, weil mit diesem Ton vielleicht nicht immer eine Lösung, aber dafür eine Antwort gefunden wird.

„Wie geht's dir?", erkundigt sich Lawrence und deutet mir mit seinem Zeigefinger an, dass er einen Moment zum Luftholen benötigt. Er muss mir hinterhergerannt sein, was mir ein schlechtes Gewissen bereitet, da er mich bestimmt mehr als einmal gerufen hat und ich nicht reagiert habe, weil ich es nicht gehört habe. Ich sollte aufmerksamer durch die Welt gehen.

„Ganz gut." Gleichgültig zucke ich die Schultern und setze langsam einen Fuß vor den anderen. Die nächste Stunde beginnt jede Minute. Ein Zuspätkommen bei den Lehrern an dieser Schule wünsche ich keinem. Jede Behauptung, dass sowas hier mit einem Handwinken nicht bemerkt wird, ist unter aller Würde. Eine Minute ist eine Stunde länger oder ein Gespräch mit den Eltern.

„Ich habe gesehen, wie du mit Jayden und seinen Kameraden geredet hast. Dein Gesichtsausdruck hat mir verraten, dass du nicht so froh warst ihn zu sehen. Habt ihr euch gestritten?", fährt der Junge fort, als er neben mir herläuft und seine runde Brille, die der von Harry Potter unheimlich ähnelt, richtet.

„Nein. Ich würde es nicht gestritten nennen. Vielleicht..." Ich suche ein passendes Wort, das das von vorhin beschreiben könnte.

„Habt ihr eine Auseinandersetzung gehabt? Ihr habt euch gezofft, gezankt oder disputiert? Oder seid aneinandergeraten?", versucht er es weiter und bringt mich damit zum Lachen.

„Ich schätze aneinandergeraten trifft es am besten, Lawrence", entscheide ich mich.

„Magst du ihn eigentlich? Ich frage nur aus reiner Interesse...", murmelt er den letzten Satz vor sich hin.

„Wie kann man jemanden mögen, den man nicht zu mindestens 65% kennt?" Lawrence sagt immer, dass man solche Fragen erst beantworten kann, sobald man die Person gut genug kennt. „Gut genug" umschreibt er mit 65%.

„Das hast du von mir", grinst er verschmitzt in sich hinein und kräuselt seine Nase. „Nagib Mahfuz sagte einmal, ob ein Mensch klug ist, erkennt man an seinen Antworten. Ob ein Mensch weise ist, erkennt man an seinen Fragen."

„Was willst du mir damit sagen? Dass ich dumm bin, weil ich mir meine Antworten von dir abgucke?", lache ich gespielt beleidigt. Lawrence ist bekannt dafür Weisheiten von sich zu geben. Woher er die kennt, würde mich mal interessieren. 

„Ich bitte dich Kyla. Du bist ein kluger Mensch. Sowas würde ich nicht behaupten. Ich wollte dir damit sagen, dass jeder Mensch Fragen stellt und auch jeder Antworten gibt. Aber alleine an Hand des Inhaltes der ausgesprochenen Worte du erkennen kannst, ob jemand weise oder klug ist. Bist du klug, kennst du alle mathematischen Formeln und bist du weise, hast du eine Menge Lebenserfahrung", brabbelt er.

Ganz verstehen, was das mit mir oder der aktuellen Situation zu tun hat, verstehe ich immer noch nicht, aber zum Nachfragen reicht die Zeit nicht.

Die Rose eines Lebens Where stories live. Discover now