-22. Kapitel-

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Bild: Aufgeschlagener Kalender mit einem schwarzen Kreuz am 11.11.

11. November 2016

Der Wecker, den ich mir trotz des freien Tages gestellt habe, holt mich am Morgen des 11. Novembers aus meinem tiefen Schlaf. Es ist halb sieben - um diese Uhrzeit stehe ich nur an extrem wichtigen Tagen oder wenn ich in die Schule muss auf. Mum und Dad werden nicht mitkommen, weshalb ich sie schlafen lasse. Ich kann es besser genießen, wenn ich allein dort bin.

Etwas verschlafen hänge ich meine Beine über die Bettkante und reibe mir meine Augen. Für Jacob würde ich jeden Tag so früh aufstehen, könnte ich ihn dann wiedersehen. Das Leben ist hart, sowas wird nicht passieren.

Im Bad mache mich allgemein etwas - nicht viel - schicker als sonst. Ich welle mir meine schulterlangen Haare zu leichten Locken und putze meine Zähne etwas weißer als sonst. Sie sollen strahlen, dass jeder darüber staunt.

In der Küche bereite ich mir ein kleines Frühstück vor, damit ich etwas im Magen habe, bevor ich das Haus verlassen werde, doch bevor es dazu kommt, muss ich einen Brief schreiben, denn heute ist es genau sieben Jahre her und dieser Tag wird nie wieder kommen.

Hey Jacob,
ich hoffe, dass es dir gut geht, da wo du bist. Dass die Jahre bei dir vielleicht nicht so schnell vorüber gehen oder dass du sie zumindest besser genießen kannst.

Die Erde ist ohne deine Seele eine andere. Mit dir war sie einfach viel liebevoller. Sie schien nicht so ungerecht, hart oder gefühlskalt. Sie schien lebendig, voller Lebensfreude und versteckten Ereignissen.

Ich wünsche mir aufrichtig, dass ich dich irgendwann, irgendwie wiedersehe, Jacob. Deine Gerüche verlassen das Haus langsam. Dein Lachen hallt leiser von den Wänden wieder und dein Einfluss auf andere ist längst verschollen.

Du wirst in meinem Herzen bleiben, Jacob. Okay? Die Jahre können vergehen wie sie wollen. Es kann sich ändern, was sich ändern soll, aber du wirst deinen Platz in meinem Herzen für immer behalten. Kein anderer wird ihn dir nehmen können. Bodyguarts beschützen ihn mit all ihren Kräften, obwohl niemand darum kämpft.

Oft habe ich mir Gedanken gemacht, wenn ich hätte letzte Worte zu dir sagen können, sodass du sie hörst, welche es gewesen wären. Vielleicht hätte ich dir aus Panik vorgehalten, was du falsch gemacht hast, dass es so weit kommen konnte. Oder ich hätte unser ganzes Leben aufgezählt oder ich hätte dir einen Vortrag gehalten, dass alles gut werden würde.

Letzten Endes kann man es nicht ändern. Es ist, wie es ist. Nicht?

Ich werde heute zu der Parade gehen. Du wärst mit Sicherheit auch dort gewesen. Du liebtest es. Ich werde lernen es auch zu tun.

Deine Zwillingsschwester Kyla

Ein letztes Mal - eigentlich sind es sieben letzte Male - überfliege ich die Tinte auf dem Papier. Könnte er es lesen, würde er sich freuen, dass ich mir die Zeit nehme und für ihn da bin.

Meine Hand greift in das Regal neben meinem Schreibtisch. Komischerweise fasst sie ins Leere. Das Fach ist leer. Dabei hatte ich den Ordner genau dort hingestellt. Mit großen Augen lasse ich mich auf die Knie fallen, suche den Boden nach dem blauen Gegenstand ab. Ohne Erfolg. Er ist nicht hier.

Schnell atmend reiße ich die verschiedensten Schubladen auf. Durchwühle alles, schmeiße die Sachen um mich. Ich suche panisch unter dem Bett, auf der Fensterbank, in meinem Rucksack, in sämtlichen Schränken. Alles, ohne es zu finden.

„Er ist weg", wimmere ich verzweifelt. Jemand hat den Ordner genommen. Er wird darin lesen. Ein Messer wird mir direkt in die Brust gehauen und einmal umgedreht. Schluchzend und nicht fähig gerade zu laufen, taumele ich rüber in Jaydens Zimmer. Aus Rache will er mich ärgern. Er hat mir diesen Ordner weggenommen, um mich zu ersticken.

Die Rose eines Lebens Where stories live. Discover now