Officium #Wattys2016

By Sorcca

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Alainn, das Mädchen mit dem Feuerhaar, wünscht sich eigentlich nichts sehnlicher, als ihre heilige Pflicht al... More

Prolog * aktualisiert
Lupus ad mortum* aktualisiert
Eaque creatura* aktualisiert
Daemones Maledictio * aktualisiert
Quae est verum * aktualisiert
Seductione * aktualisiert
Quaerere* aktualisiert
In Abscondito *aktualisiert
Maledicto mortis *aktualisiert
Meine Nominierung
Dei Gratio*aktualisiert
Nolite timere* aktualisiert
Immortalis*aktualisiert
Praenuntius* aktualisiert
Sollicitus* aktualisiert
Dicendum*aktualisierst
Corvus*aktualisiert
Insignis*aktualisiert
Amara Memorias*aktualisiert
Renuntiarent *aktualisiert
Nox*aktualisiert
Facere Iudicium*aktualisiert
Somnium*aktualisiert
Luctus*aktualisiert
Sacrificium*aktualisiert
Princeps*aktualisiert
Decipi*aktualisiert
Trade*aktualisiert
Venenum*aktualisiert
Brighid *aktualisiert
Revelation*aktualisiert
Revelation 2*aktualisiert
Pugna*aktualisiert
Paenitebit*aktualisiert
Necessitudines*aktualisiert
Mortem*aktualisiert
Pretium*aktualisiert
Consultatio*aktualisiert
Alliance*aktualisiert
Aktualisiert: es geht weiter
Semper
Sororibus
Iudicium
Fuga
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44

Tenebris *aktualisiert

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By Sorcca

21.

Fluchend und mit rudernden Armen versuchte Alainn, dass Gleichgewicht wieder zu erlangen, als ihr Fuß beinahe auf einer nassen Moosflechte den Halt verlor.

„Dieses dämliche Drecksloch!", brummte sie entnervt und sah sich mit zusammen gezogenen Augenbrauen um. Es fing bereits an zu dämmern. Dicke Nebelschwaden zogen vom Boden auf und hüllten die Stadt in einen gespenstigen Ort. Es war kälter geworden und Alainn fröstelte für einen Augenblick und zog ihre Jacke enger um sich. Die Straßen waren ausgestorben. Stille lag über den Ort. Unruhig sah Alainn sich um.

Rechts von ihr verlief der Teil einer alten Mauer. Zwischen den Steinen ragten Moos und Flechten hervor. Linker Hand von ihr standen verlassene Häuser mit vor Staub beschlagenen Fenstern und bröckeligen Fassaden. Die Stille lag wie der Nebel über den Gassen, setzte sich in jeder Ritze fest. Suchend drehte sich das rothaarige Mädchen um ihre eigene Achse. Dieser Teil der Stadt war ihr unbekannt. Irgendwo in dem Labyrinth der Stadt war sie falsch abgebogen, als sie den gestikulierenden Händen der Bibliothekarin gefolgt war, die ihr ausführlich Bericht über Allisons Weg nach dem Besuch in der Bibliothek erstattet hatte. Eine merkwürdige Frau befand Alainn, als sie sich an den hypnotisierten und an ihren, alles ergebenden Blick erinnerte. Neugierig war sie der Wegbeschreibung der Frau gefolgt. Und jetzt stand sie hier. Im schwachen Schein der untergehenden Sonne, umgeben von dicken Nebelschwaden und verlassenen Gassen, die im verschwinden des Lichts näher zusammen zu rücken schienen. Wütend knüllte sie den Stadtplan zusammen und warf ihn achtlos zu Boden.

„Verdammt, verdammt!", brüllte sie und schlug mit der Faust gegen die Mauer. Leise rieselten kleine Steinchen und weißer Mörtel herunter und der Boden gab ein dumpfes Grummeln von sich, das tief aus dem Inneren des Berges zu kommen schien. Sofort trat Alainn einige Schritte zurück. Wartete. Doch anstatt sich in Luft aufzulösen oder in sich zusammen zu fallen, blieb die Mauer stehen.

„Toll, und was mache ich jetzt?!" Das Krächzen eines Rabens schreckte Alainn auf und ihr Blick wanderte zu dem nahe gelegenen Wald. Wie eine unsichtbare Mauer umschloss er die Stadt, wobei Alainn nicht sagen konnte, ob sie die Menschen in der Stadt einsperrte oder die Gestalten in dem Wald aus. Ein mulmiges Gefühl machte sich in ihrem Magen breit. Der Rabe flog krächzend über sie hinweg, setzte sich dann auf die Mauer und sah sie aus Kohleaugen an.

„Tsch!", machte das Mädchen und wedelte mit den Armen. Der Rabe blieb.

„Heute hatte ich eindeutig genug Aberglaube!", dachte Alainn und bedachte das Tier mit einem entnervten Blick. Mit schief gelegtem Kopf sah sie der Rabe aus klugen Augen an. Fast hypnotisierend wirkten sie. Auch wenn Raben längst Teil der Menschenwelt waren, gehörten sie doch ursprünglich in ihre Welt. Die magische Welt. Die Welt der Mythen und Legenden, in denen Raben stets Boten zwischen den Welten gewesen waren. Die ersten Seher dieser und jeder anderen Welt. Alainn unterdrückte ein Erschaudern, als die Krähenaugen sie ansahen. Ein Blick in die Seele, schoss es dem Mädchen durch den Kopf. Schritte. Sohlen, die über Steine schabten. Erschrocken wendete sie sich wieder der Gasse zu. Spähte in den Nebel. Erkannte nur die schwachen Umrisse einer Person. Sie huschte an die Hausmauer und drückte sich fest an sie. Kalt schmiegte sich die Hauswand an ihren Rücken. Leise griff sie nach einer rostigen Eisenstange. Finger um Finger umfassten die Stange lautlos. Die Schritte kamen näher. Es war bloß ein leises Geräusch, kaum wahrnehmbar. Die Schemen verdichteten sich zu schwarzen Umrissen, die mit jedem Schritt an Größe und Schärfe gewannen. Nur noch wenige Sekunden. Alainn hielt die Luft an. Ihr Herz pochte aufgeregt. Adrenalin rauschte durch ihre Adern. Die Stange traf die Gestalt an der Schulter. Ein überraschter Schmerzenslaut hallte durch die Gasse. Sie wich dem Schlag aus, der abwehrend von der Gestalt ausgeführt wurde. Bückte sich einfach unter ihm hindurch und schlug erneut zu. Die dünne Stange vibrierte leicht, als sie den weichen Körper erneut traf. Summend bebte sie in ihrer Hand.

Die Gestalt taumelte leicht zurück und hob schützend die Hände.

„Was zur Hölle?", schrie Kiran und sah das Mädchen wütend an. Alainn hielt in der Bewegung inne, die gerippte Stange noch immer erhoben. Überrascht sah sie Kiran an, der sich die Schulter rieb. „Wieso schleichst du dich auch an?", keifte sie und bohrte ihm das Metallende der Stange in die Brust.

„Lass das!", zischte der Junge wütend.

„Also, verfolgst du mich?", noch fester bohrte sie ihm das Ende in die Brust. Seine starken Hände umschlossen das Ende und zogen es mit einem Ruck nach hinten. Damit hatte sie nicht gerechnet. Die Luft wurde aus ihren Lungen gequetscht, als sie gegen den schwarzhaarigen Jungen prallte. Der Geruch von Zimt und Harz umhüllte sie kurz. Blitzschnell löste sie sich von ihm und funkelte ihn wütend an: „Geht's dir noch gut?"

„Mir?", brüllte Kiran sie an, „Du bist doch die Verrückte mit der Eisenstange, die auf unschuldige Menschen los geht!" Alainn schnaubte zornig: „Dann hättest du mich nicht verfolgen sollen!"

„Ich. Habe. Dich. Nicht. Verfolgt!", knurrte Kiran und gestikulierte wild durch die Luft. Mit seinen schwarzen Augen fixierte er sie wütend. Die scharfen Falten in seiner Stirn ließen ihn wild und unbeherrscht wirken. Sie bildeten eine perfekte Linie mit seinem Nasenrücken. Für einen Moment betrachtete Alainn ihn und fragte sich, wie er es schaffte, dass sein Gesicht immer genau seine Stimmung widerspiegelte. Wütend, wirkte es hart und kantig.

Doch wenn er lachte, dann sprühten seine Augen warme Funken. Zu gegeben, wirklich oft, hatte sie ihn noch nicht lachen sehen. Wild und gefährlich gefiel er ihr eigentlich auch viel besser. Denn wenn er sich so benahm, dann konnte sie das erst recht.

„Und was machst du dann hier, wenn du mich nicht verfolgst hast?"

„Ich habe gesehen, wie du falsch abgebogen bist!"

„Woher willst du das wissen? Vielleicht wollte ich ja hier hin!", zischte Alainn und stemmte ihre Hände in die Hüften. „Du kannst nicht einfach in die tote Stadt laufen!", Alainn schnaubte abfällig: „und wie ich das kann"

„Dieser Teil der Stadt ist seit Jahrzehnten nicht mehr bewohnt, weil hier alles brüchig und Einsturz gefährdet ist."Jetzt sah auch Alainn sich besorgt um. Das Grummeln der Mauer kam ihr in den Sinn, dennoch setzte sie zu einer scharfen Bemerkung an. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass Kiran einen anderen Grund hatte ihr zu folgen, als seine Besorgnis. Vielleicht war es seine Abwehrhaltung. Vielleicht die Worte, die er wählte, während er ihr auswich. Oder es war etwas in seinem Blick, dass ihr gewohntes Misstrauen weckte.

„Lass uns hier einfach verschwinden", forderte Kiran sie auf. Er griff nach ihrem Handgelenk und zog sie in die Richtung des Nebels. Alainn trat ihm gegen das Schienbein. Fluchend lies er ihr Handgelenk los.

„Was soll das?"

„Gibt es keinen anderen Weg?" Stirnrunzelnd sah sie in das weiße Feld aus Nebelschwaden. Sie konnte kaum ein paar Meter weit sehen und nachdem sie wusste, dass jemand auf der Suche nach Opfern war, wollte sie nicht unbedingt durch eine undurchdringliche Wand laufen. „Müssen wir durch den Nebel?" Besorgt sah das Mädchen wieder in die Wand aus weißem Rauch.

„Hast du etwa Angst?", Kirans Miene erhellte sich und er lachte leicht. Wütend sah Alainn ihn an: „Nein! Hab ich nicht! Ich mag es nur nicht von dir an der Hand geführt zu werden, wie ein kleines Kind!"

„Man wird nur so behandelt, wie man sich auch verhält!"

„Was willst du damit sagen?"

„Willst du den ganzen Bericht oder nur die wichtigsten Stichpunkte?"

„Ich will vor allen Dingen, das du die Klappe hältst!"

„Sehr erwachsen. Du könntest dich ruhig mal bedanken!"

„Bedanken? Wofür?", kreischte Alainn. Ihre grünen Augen funkelten gefährlich und das rote Haar bauschte sich im Wind auf.

„Du könntest dich zum Beispiel bedanken für meine selbstlosen Fürsorge und die Geduld eines Engels, mit der ich dich behandel?", in Kirans schwarzen Augen blitze es. Alainn runzelte die Stirn, aber wieder einmal erkannte sie nicht die Botschaft zwischen den Worten. Sie schnaubte abfällig: „Ich habe dich NIE um irgendetwas gebeten, wenn es dir nicht passt, wie ich bin, dann geh doch!", trotzig verschränkte sie die Arme.

„Sehr erwachsen, wirklich Alainn! Gott, jetzt wiederhole ich mich schon wieder. Ich bin jedesmal überrascht- obwohl, nein, dass ist das falsche Wort. Ich bin... schockiert. Schockiert über dich! Schockiert über das was du nicht sagst und das, was du sagst. "

„Warum bist du mir gefolgt?", wieder machte sich das dumpfe Gefühl in ihr breit. Eine schreckliche Vorahnung wuchs aus dem Gefühl und wurde von einem keimenden Samen zu einer großen, hässlichen Blüte der Erkenntnis.

„Kiran?", ihre Stimme zitterte leicht. Sie sah ihn mit ihren moosgrünen Augen an. Er atmete schwer und ein dunkler Schatten lag auf seinem Gesicht. Ein bitterer Zug um seinen Mund, die Augen grimmig auf sie gerichtet, mit schwerem Atmen hob sich seine Brust.

„Kiran?", sie sah ihn fest in die Augen, „hast du mich verfolgt, weil du geglaubt hast, ich habe etwas mit Allisons Tod zu tun?" Sie hatte erst gewusst, dass sie dies dachte, als sie es aussprach.

„Haben wir das nicht alle?", seine Stimme klang rau und bitter. Als sie ihn ansah, war da nur Erschöpfung und Grimmigkeit in seinem Blick. Es war wie ein Schlag in den Magen. Die Erkenntnis, dass sie richtig lag, verletzte sie. Verletzte sie tiefer, als sie es für möglich gehalten hatte. „Ich habe sie nicht umgebracht!", sagte sie tonlos. Alainn klammerte sich mit letzter Kraft an ihre Maske. An ihre Mauer. Ihre einzige Rettung vor den Tränen, die sich schmerzhaft in ihrer Kehle stauten.

„Ich weiß", sagte Kiran.

„Weil du nachgeforscht hast, deswegen wolltest du auch nicht mit in die Bibliothekt!", es war eine Feststellung. „Sie ist gestorben, als wir uns draußen im Garten gestritten haben, an dem Tag, als du Alec operiert hast!"

„Ich habe ihn nicht operiert!", presste sie zwischen zusammen gebissenen Zähne heraus, „ich habe ihm das Leben gerettet!", sie spuckte die Worte aus, als wären sie etwas fauliges, „Etwas, was du nicht von dir behaupten kannst!"

„Ich werde mich nicht dafür entschuldigen!", er schüttelte den Kopf. Seine Mimik eine Maske tiefer Entschlossenheit: „Nicht dafür. Das war nichts persönliches!"

„NICHTS PERSÖNLICHES?", sie schrie ihn an. Gestikulierte wie eine Furie durch die Luft, gleichzeitig wanderten ihre Augen wirr und wild umher. Ihre Haare schlängelten sich um ihr Gesicht, so als hätten sie ein Eigenleben und Kiran fühlte sich instinktiv an Medusa und ihre Schlangenhaare erinnert. Rote Flecken bildeten sich auf Alainns Porzellanhaut, während sie nur mühsam ihren Zorn beherrschte. „Du solltest das nicht so persönlich nehmen. Es ging hier um Allison. Und ich werde mich nicht dafür entschuldigen!"

Sie lachte. Er sah ihren Hals, wie er sich unter ihren vibrierenden Stimmbändern bewegte: „Nein!", sie lachte noch immer: „DU entschuldigst dich NIEMALS, Kiran Graham! Denn DU bist ja ohne Fehler. Ohne Makel. Du bist der Held in strahlender Rüstung. Und wir sind nur deine Fußsoldaten, mit denen du tun und lassen kannst, was du willst!"

„Das sagst gerade du!", zornig bohrten sich seine Augen in ihre.

„Die kleine Rühr-mich-nicht- an vertraut niemand, aber wenn man ihrem Beispiel folgt, nimmt sie es gleich als Beleidigung auf. WERDE ENDLICH ERWACHSEN!"

Ihr Gesicht veränderte sich. Als er sie ansah, war der wirre Blick verschwunden, ebenso die roten Flecken. Sie sah perfekt aus. Wunderschön. Hinreisen. Perfektion in all seiner Grausamkeit.

„Ich hatte nur diese einzige Regel in meinem Leben!", sie hob einen Finger zur Verdeutlichung. Seine Nackenhaare stellten sich auf, als er ihre gurrende Stimmlage erkannte. Die gleiche wie das Mädchen in seinem Traum. Genauso perfekt. Genauso verführerisch. Genauso grausam. „Vertraue niemanden. Und du bist der Grund, warum ich mich auch in Zukunft daran halten werde! Aber keine Sorge!", sie lächelte ihn an, „Es ist nichts persönliches!"

„Du verstehst es einfach nicht!", schrie er sie an. Wutentbrannt. Alainn zuckte zusammen. Sein Gesicht verriet die Raserei, die in seinem Inneren herrschte: „Es ging hier nicht um dich. Es ging um Allison. Ich habe sie im Stich gelassen. Ich habe es ihr geschuldet. Und ich werde suchen. Und ich werde jeden kontrollieren. Jeden hinterfragen. Egal wie nahe er mir steht. Ich. lasse. sie. nicht. noch. einmal. im Stich. Niemals. NIEMALS!" Er war auf sie zu gekommen, während er schrie. Alainn war erstarrt. Sie konnte seinen heißen Atem auf ihrem Gesicht spüren. Sie sah in seine Augen. Diese tiefschwarzen Augen, die die gleiche Farbe wie Obsidian oder Onyx hatten. Und die sie eigentlich nur von Raben kannte. Später hätte Alainn nicht genau sagen können, wie lange sie so nah beiander standen. Mit wild pochenden Herzen und heftigen Atem. Sie konnte nur sagen, dass es keine Wut, kein Zorn gewesen war, den sie in Kirans Augen gelesen hatte. Sie hatte Verzweiflung, Schuld, Hilflosigkeit und Trauer gelesen. Dann drehte sie sich auf dem Absatz um. Ihr Herz pochte gegen ihre Rippen. Das Brennen in ihrer Hand hatte wieder eingesetzt. Sie hatte wenige Meter hinter sich gebracht, als sie es hörte. Metall schliff über Stein. Dann schritte. Knirschende Steine. Das Brennen in ihrer Hand warnte sie. Summte ihr eine bedrohliche Melodie vor. Furcht bahnte sich durch das Gefühlschaos seinen Weg. Das Summen in ihrem Inneren wurde stärker. Sie rannte zurück. Kiran sah sie verstört an. „Wir müssen von hier verschwinden!", wisperte sie. „Was?"

„Sei leise!", zischte sie ihm zu.

„Ich nehme keine Befehle von..", Alainns Hand schoss vor und drückte sie auf seinen Mund. Dann drängt sie ihn gegen die Mauer. Der Duft von Lindenblüte umwehte sie.

„Spar dir deine Beleidigungen für einen anderen Ort!", flüsterte sie leise und sah zu der weißen Nebelschicht.

„Was ist denn ?", murmelte er, während er automatisch ihre Tonlage adaptierte. Sie ging einige Schritte zurück und hob die Eisenstange auf. Sie bewegte sich vorsichtig. Wie ein Jaguar auf der Jagd. Kein Geräusch verursachten ihre Bewegungen durch die Gasse. Lautlos flogen ihre Füße über die Steine. Da war nur das leise Rascheln von Stoff. Beinahe hätte Alainn das Geräusch für den Wind gehalten, der durch die Blätter fährt. Geräuschlos lief sie zu Kiran zurück, der sie verwundert ansah.

„Komm!". Ihre Stimme war kaum mehr als ein Hauch. Sie winkte ihn mit der Hand zu. Eine Geste, die ihm befahl, ihr zu Folgen. Er runzelte die Stirn über die Autorität, mit der sie ihn anwies. Ihr Gesicht glich einer angespannten Maske hinter, der sie ihre freudige Aufregung verbarg. Kiran sah ihre Augen funkeln. Sah, wie das Gold strahlte und ihre Bewegungen immer mehr einem Raubtier, als einem Menschen ähnelten. Ihre raubtierhafte Attitüde war effektiv und routiniert, als hätte sie dieses Szenario schon hundertmal erlebt. Steine knirschten und ihr blasses Gesicht drehte sich vorwurfsvoll zu ihm um. Etwas in ihrem Gebaren weckte eine Erinnerung in ihm. Eine tief, verborgene Erinnerung. Er sah spitze Zähne, einen leuchtenden Vollmond und einen blitzenden Dolch, der sich in eine fellbezogene Seite bohrte und dann sah er eine schmale Hand, die sich durch eine Brust arbeitete und ein blutiges, pochendes Herz herausholte. Er schüttelte den Kopf, verdrängte die Bilder, die in ihm aufstiegen. Konzentrier dich, sagte er sich, während er eine Stimme hörte, die sagte: „Gib es zu. Du hast von ihr schon lang bevor sie nach Wolfsbach gekommen ist, geträumt!"

„KIRAN!", Alainn zischte so geräuschlos und wütend, wie es ihr möglich war. Der glasige Blick verschwand aus den geschliffenen Onyxen. Kiran wollte sich entschuldigen, aber es war zu spät. Sie waren da. Die schwarzen Umhänge bauschten sich auf, als sie über die Mauer auf die Gasse sprangen. Der Nebel spuckte sie aus. Eine Mauer aus schwarzen Gestalten. In einer synchronen Bewegung zogen alle Gestalten ihre Schwerter. Langschwerter mit breitem Heft und einer scharfen Schneide. Die beiden Jugendlichen schluckten schwer. Alainns Blick flog abwechselnd zu den Langschwertern und dann wieder zu ihrer Eisenstange.

Sie hatten keine Chance. Es waren mindestens 12 von ihnen. Trotzig hob Alainn die Eisenstange. Ihr Herz pochte laut. Die Gestalten sagten kein Wort. Sie konnten kein Gesicht, keine Haut sehen. Da waren nur die schwarzen Umhänge, die alles verdeckten. Alainn biss sich auf die Lippe und rang ihre aufsteigende Angst nieder. Neben ihr konnte sie Kirans Herz schlagen hören. Ihre Schultern berührten sich leicht. Ihre Blicke trafen sich

„Kiran,", wisperte Alainn.

Der Rabe flog krächzend seine Runde über ihren Köpfen.

„Kiran, lauf!", schrie sie und griff nach seiner Hand. Wie schwarze Schatten folgten sie ihnen. Das Rascheln der Umhänge wurde zum Hintergrundgeräusch, während ihre Schritte durch die leeren Gassen halten. Schlitternd rannten sie um die Ecken. Steine schabten unter den Sohlen.

Polternd rannten sich durch Gassen, Alainns Haare flogen wie eine Fahne hinterher. Die Schritte ihre Verfolger waren leise. Kiran konnte sie nur hören, wenn er sich darauf konzentrierte. Ansonsten nahm er nur den Wind in seinem Gesicht war. Das knirschende Pflaster unter seinen Füßen. Und Alainn neben sich. Alainn. Ihre Augen leuchteten und ein Ausdruck höchste Konzentration lag auf ihrem Gesicht. Aber sie sah nicht ängstlich aus. Vielmehr berauscht. Sie war schneller als er.

„Komm!", zischte sie ihm zu, als sie schon eine Weile keine Schritte mehr hörten. Sie standen in einer Gasse, die umringt von verlassenen Häusern war. Sie zog eine Spange aus ihren Haaren und drückte sie in das Schloss einer Haustür.

„Was machst du?", knurrte Kiran und sah sich hektisch um. Doch nichts.

„Reiß dich zusammen!", murmelte sie und biss sich auf die Lippe, während sie sich weiter an dem Schloss der Tür zu schaffen machte.

„Die Häuser hier sind am instabilsten", informierte er sie. Das Schloss knackte. Grinsend drückte das Mädchen die Tür auf. „Komm!"

Sie ignorierte seine besorgten Blicke und verschwand im Inneren. Kiran zog die Tür zu. Es war still im Haus. Und dunkel. Es roch muffig und staubig. Modernes Holz umgab sie, dass sich mit dem Geruch von abgestandener Luft und zerfallenden Steinen vermischte.

Durch die beschlagenen Fenster drang kein Licht in die Räume.

„Alai..." Sie hielt ihm wieder mit der Hand den Mund zu.

„Sei still! Und folge mir." Leise umschiffte sie den Schutt, der im Flur des Hauses lag. Alainn ignorierte die hölzerne Treppe, die erschreckend altersschwach wirkte. Sie lief durch die Räume, auf die entgegengesetzte Seite des Hauses. An einem der beschlagenen Fenster stoppte sie. Ihre Hand umschloss lautlos den Griff und drückte ihn nach oben. Langsam. Abwartend. Es knarrte leise und Kiran und sie verharrten beide einige Sekunden erschrocken, während ihre Herzen laut gegen ihre Brustkörbe pochten. Alainn konnte nicht umhin, sich ein wenig benebelt von dem Adrenalin zu fühlen, dass in hohen Dosen durch ihren Körper jagte. Vorsichtig öffnete sie das Fenster einen Spalt breit und lugte auf die Straße nach unten.

„Leer!", informierte sie Kiran. Mit großen Augen sah er ihr dabei zu, wie sie durch das Fenster kletterte und ihn mit einem auffordernden Blick ansah.

„Was ist?"

„Das ist ganz schön hoch! Glaubst du, du schaffst das?"

Er lugte über den Rand des Fensters, an dem das Mädchen schon hing. Genervt stöhnte sie auf: „ Sei kein Feigling!"

„Um mich mach ich mir keine Gedanken!", erwiderte Kiran, „ich schaff den Sprung locker!"

Alainn verdrehte die Augen: „Ich auch!" Dann ließ sie sich fallen.

Es entstand ein leises platschendes Geräusch, als ihre Füße auf das Pflaster trafen. Besorgt sah Kiran sie an, sie verdrehte nur wieder die Augen und machte eine schnelle Handbewegung.

„Na los!"

Er spähte über den Rand. Das Fenster war mindestens drei Meter über den Boden. Für einen Moment fragte er sich, wie ein Mensch den Sturz so unbeschadet meistern konnte, dann hörte er wieder das Rascheln. Sowie seine Füße den Boden berührten, griff Alainns kleine Hand schon nach seiner und zog ihn mit. Diesmal rannten sie nicht so schnell, sondern waren bedacht langsam zu laufen. Sie drückten sich an eine Mauer und lauschten. Leise Stimmen.

„Was sagen sie?", wisperte Alainn neben ihm.

„Es ist irgendeine fremde Sprache..."

„Wiederhole die Worte einfach!" Ungeduldig sah sie ihn an.

„Suscipe ab eis!", wiederholte er leise.

„Sie sollen uns suchen!", Alainn zog an seinem Ärmel und sie liefen gebückt an der Mauer entlang. Sie warteten auf sie. In einer Reihe aufgestellt beobachteten sie, wie sich die Kinder langsam aufrichteten. Als die Beiden in die Entgegengesetzte Richtung laufen wollten, kam die andere Hälfte der Umhänge ihnen entgegen. Sie waren umzingelt. Rücken an Rücken standen sie da.

„Wie gut bist du in Selbstverteidigung?", wisperte Alainn Kiran zu.

„ich hab mich ein paar Mal geprügelt..."

"Oh wow. Das wird uns helfen!", zischte sie sarkastisch. Er konnte förmlich hören, wie sie ihre Augen verdrehte und genervt seufzte. Einer der Umhänge trat hervor. Der Gestalt nach zu urteilen war es ein Mann. Groß, breitschultrig, gefährlich. Seine Hände steckten in fingerlosen Handschuhen. Die Gleichen, die auch Alainn trug. Er hob den Kopf und sah sie an. Kiran schob Alainn hinter sich und trat ihm entgegen: „Was wollen Sie von uns?" Die Gestalten machten einen Schritt auf das Mädchen und den Jungen zu. Der Kreis wurde enger.

„Was wollen Sie?", fragte Kiran noch einmal und sah die Gestalten mit tief dunklen Augen an. Täuschte sich Alainn oder konnte sie ein Feuer in seinen Augen sehen?

Er würde sich doch nicht etwa verwandeln? Mit einer raschen Bewegung zog sie die Eisenstange aus ihrem Gürtel, die sie dort befestigt hatte.

„Hier!", knurrte sie und drückte sie in Kirans Hand.

„Das verbessert nicht gerade unsere Lage!", sagte er und starrte das Stück Metall an.

„Aber es verschlechtert sie auch nicht!", murmelte das Mädchen und zog ihren versteckten Dolch aus dem Schuh. Sie hatte ihn vollkommen vergessen. Kiran hob eine Augenbraue.

„Sie könnten das, als kriegerische Handlung sehen!"

„Das hoffe ich, doch sehr!"

„Wir können vielleicht mit ihnen reden! Wir haben schließlich nichts getan .." Aus den Augenwinkeln heraus sah Alainn, wie der Mann das Schwert hob und es auf Kiran nieder schoss. Blitzschnell schoss sie hervor. Das Schwert verhakte sich an dem Griff des Dolches. Für einen Moment konnte Alainn menschliche Augen erkennen. Es war kein rotes Glühen. Kein unheimlicher, unbekannter Gegner, sondern Menschen. Feinde, die Alainn kannte. Ihre Furcht nahm ab und verwandelte sich in eine spielerische kampfeslustig. Ihre Arme zitterten unter der Wucht.

„Komm schon, Hüterin!", zischte der Mann auf Lateinisch. Ihr Tritt kam schnell. Präzise. Der Tritt ließ ihn zurücktaumeln, sodass er von seinen Komparsen aufgefangen werden musste. Er stöhnte und hielt sich den Bauch. Zwei Weitere eilten auf sie zu. Kiran zog Alainn gerade noch rechtzeitig weg, bevor eine der Schwerter sie erwischen konnte. Wütend grummelte es in seiner Kehle. Es klang wie ein Knurren, doch Alainn war zu sehr damit beschäftigt, den Schwerter auszuweichen, als das sie sich darum Gedanken machen konnte. Die Männer waren schnell und sie waren in der Überzahl. Zwei Umhänge stürzten vor auf den Jungen. Der Eine wich Kirans orientierungslosen Schlägen aus, während der Andere die flache Seite des Schwertes auf die Hand des Jungen fahren ließ. Fluchend ließ Kiran die Stange los und schlug nach dem anderen Umhang. Dann hatte er schon die Spitze des Schwertes an seinem Hals. Kiran hatte noch nie mit Waffen gekämpft. Er war ein Fenriswolf. Er brauchte keine Schwerter. Bloß seine Fänge. Aber Alainn stand direkt neben ihm und das Geheimhaltungsgesetz verbot es ihm, auch wenn er es sich in diesem Augenblick mehr, als alles in der Welt wünschte, dem Knurren in seinem Inneren stattzugeben. Unwillkürlich zeigte er dem Umhang seine Zähne. In seinen Augen brannte es zornig. Er versuchte die Gestalt zu treten und auszuweichen. Die Folge war, dass die Umhänge den Kreis enger schlossen. Kiran sah zu Alainn hinüber. Ihre Augen funkelten. Sie zeigte keine Angst, aber ein hohes Maß an Besorgnis. Alainn erging es am Ende wie Kiran. Sie war schneller und geübter. Und wich den ersten Schlägen gut aus. Verteilte Tritte und Schläge, stach mit ihrem kleinen Dolch zu. Doch ihre Reichweite war begrenzt und am Ende stand sie umkesselt da. Fünf kalte Klingen auf ihren Körper gerichtet.

Mit der Wand im Rücken sahen die beiden, wie die Umhänge auf sie zu schlichen. Langsam. Genüsslich, als kosteten sie jede ihrer Bewegungen aus.

„Hast du einen Plan?", fragte Alainn und sah mit großen Augen auf die bewegten Stoffe.

„Bin noch in der Entwicklungsphase!"

„Dann entwickle schneller!", kreischte sie. Der Schlag, den er ihr verpasste, ließ sie aufstöhnen und nach hinten taumeln. Funken sprühten, als das Schwert über die Steinmauer fuhr - dort wo sie eben noch gestanden hatte. Wütend wand sich die Gestalt zu ihr. Sie tauchte unter dem fuchtelnden Schwert ab. Ausweichen, ducken, zurückspringen. Wie wild hackte er auf sie ein. Kirans Klauen bohrten sich in seine Schulter und er wurde zurück geschleudert. Genau auf einige der anderen Gestalten, die dadurch ins Taumeln gerieten. Plötzlich waren da Kirans Hände um Alainns Hüfte.

„Versuch den Sims zu fassen!", zischte er und hob sie im nächsten Moment schon nach oben oben. Alainn streckte sich und griff nach dem morschen Holz. Ihre Fingernägel krallten sich an den überstehenden Holzverstrebungen fest. Sie baumelte mit den Füßen. Das Holz war brüchig und knarrte ächzend unter ihrem Gewicht. Sie bekam eine Strebe weiter oben zu fassen und zog sich hoch. Das Holz knarrte. Dann brach es. Alainn schrie auf. Unter ihr sah sie Kiran. Sie konnte sein Gesicht nicht sehen, aber seine schwarzen Haare waren länger und wirbelten ein wenig wie eine Mähne um ihn herum und seine Hände hatten keine menschlichen Formen. Er war umzingelt. Für einen kurzen Moment überlegte sie loszulassen. Dann mobilisierte sie ihre Kräfte. Sie spürte den Boden in der Gasse. Er fing an zu beben.

Erst leicht, dann grummelte er immer lauter."KIRAN!", schrie sie, während sie sich in das Fenster des Hauses hinein schwang. Die Männer sahen noch immer auf den wackelnden Boden unter sich. Die ersten Steine fielen aus den brüchigen Häusern. Kiran sprang nach oben. Alainn griff nach seiner Hand. Noch immer brodelte die Erde. Polterte. Ihre Hände berührten sich. Rutschten ab. Kiran sprang erneut. Diesmal bohrte Alainn ihre Finger in sein Handgelenk und zog ihn nach oben. Mit vereinten Kräften schafften sie es, dass sich Kiran über den Rand des Fensters fallen ließ. Schwer atmend standen sie einen Moment lang da. Dann fiel der Schuss. Kiran brüllte auf. Blut sickerte aus seinem Ärmel. Erschrocken sah Alainn, wie eine der Männer eine Pistole hielt."Dreckiges Gelump!", schrie er sie auf lateinisch an. Er lud nach. Das Krächzen eines Rabens erfüllte die Luft. Dann explodierten Glasscheiben. Die Scherben sprengten in einem großen Bogen aus dem Fenster über ihnen. Eine Frau sprang auf die Gasse. Sie war ganz in eine schwarze Lederkluft gekleidet, an der Rabenfedern hingen. Das seidige Schwarz schimmerte. Eine Kapuze verhüllte ihr Haar und ihr Gesicht, aber der silberne Stab mit der gebogenen Klinge am Ende blitze leuchtend auf.

„Los, lass uns verschwinden!" Murmelte Kiran und zog an ihrem Arm.„Aber wer ist das?" Wollte Alainn wissen und lehnte sich wieder über das Fenster." Ich weiß es nicht und es ist mir im Moment auch egal. Lass uns einfach von hier verschwinden. Wir können später dankbar sein."

„Aber..."Die Klinge fuhr durch die Luft und Blut spritze. Dann fing der Boden wieder an zu beben. Kiran und Alainn sahen zuerst sich an, dann den bebenden Boden unter ihren Füßen. Das Holz unter ihren Füßen knirschte gefährlich. Staub wirbelte auf."Lauf!", schrie Kiran sie an und packte sie an der Hand. Die Decke bröselte. Staub rieselte herunter. Alainn und Kiran hasteten durch die Etage. Steine fielen von der Decke. Polternd liefen sie die Treppe hinter sich. Holz brach knirschten unter ihren Füßen. Sie waren fast aus dem Haus. Sie konnten die Haustür schon sehen. Zwei Meter, mehr nicht. Die Treppe brach und fiel in sich zusammen. Alainn hustete, als winzige Holzspäne durch die Luft flogen. Ein Meter. Sie konnte schon das Licht durch den Türspalt sehen. Kirans Atem hinter ihr. Der Geruch von Weihnachten, der ihr so vertraut war."Alainn!"Dann fiel das Haus in sich zusammen.

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