Ghosts of Eleo

By FraeuleinJung

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"Abigail du kannst sehen", so hatte Abbys Großmutter es einige Stunden vor ihrem Tod ausgedrückt. Seit dem A... More

1.Kapitel
2.Kapitel
3.Kapitel
4.Kapitel
5.Kapitel
6.Kapitel
7.Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10.Kapitel
11. Kapitel
12.Kapitel
14. Kapitel
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18. Kapitel
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21.Kapitel
22.Kapitel
23.Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
Epilog

13. Kapitel

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By FraeuleinJung

How we invoked a ghost in the detention room and tryed to formulate a farewell letter.

"Abigail? Bist du das?", rief Mum, kaum hatte ich die Haustür aufgeschlossen.
"Ja".
"Hast du denn Hund dabei?".
Den Hund dabei? Das Klang als wäre Murphy eine Handtasche und kein Lebewesen.
"Ja". Huch, meine Antworten waren ja irre kreativ. Ich beugte mich herunter und löste den Haken der Leine von Murphys Halsband.
"Lass sie bloß nicht ins Wohnzimmer", wies sie mich an. Ihr Tonfall klang verdächtig nach Grandma Victoria oder Tante Caren.
"Äh, warum?", ich stellte meine Schuhe ab und hängte die Hundeleine auf.
"Weil meine verbliebenden Kataloge noch hier legen", rief Mum aus dem Wohnzimmer "Und ich sauer auf den Hund bin", setzte sie hinzu. Unterdessen war Murphy geradewegs ins Wohnzimmer getrippelt.
"Raus hier", herrschte Mum sie an und schob die fiepende Hündin förmlich zurück in den Flur.
"Mum, du benimmst dich als wärst du fünf".
Mit gereizt funkelnden Augen sah sie mich an: "Sie hat meine Kataloge zerbissen".
"Murphy ist ein Hund, natürlich kaut sie auf Sachen herum", erwiderte ich und pellte mich aus meiner Jacke.
Mum drehte sich auf dem Absatz um, entgegnete nichts und zog die Tür zum Wohnzimmer hinter sich zu. Verständnislos starrte Murphy auf die verschlossene Tür und winselte.
Diese Diskussion war abwegig und dumm. Kopfschüttelnd lief ich die Treppe hoch. Das leichte Trippeln hinter mir, verriet mir, dass der Hund mir folgte. Allerdings legte sie sich Oben im Flur direkt vor Dannys Tür.

In meinem Zimmer tauschte ich die Jeans gegen eine ausgeleierte Jogginghose und streifte dicke Socken über meine Füße. Mit einem Seufzen betrachtete ich den Stapel Hausaufgaben auf meinem Schreibtisch. Ich kam ja nicht drum herum.
mit einem noch tieferen Seufzen ließ ich mich auf den Schreibtischstuhl fallen und zog meinen zerfledderten Lyrikband und meinen Block heran.

Eine viertel Stunde später war ich verzweifelt. Hatte Shakespeare den ganzen Kram nur geschrieben um Schüler im 21.Jahrhundert zu ärgern? Frustriert beugte ich mich über eins der tausend Sonette, dass ich analysieren sollte und in meinen Augen so gar keinen Sinn ergab.
Ein weiterer lauter Seufzer entfuhr mir, diesmal so laut, dass Danny von drüben herüber rief: "Was ist los?". Er klang minimal entnervt. Vielleicht hatte ich ein paar Mal zu oft wehklagende Geräusche von mir gegeben?
"Shakespeare ist los", brüllte ich zurück.
"Wenns nur das ist", antwortete er in normaler Lautstärke, was mich dazu veranlasste aufzustehen. Ablenkung gesucht, Ablenkung gefunden.
Murphy hatte sich keinen Zentimeter vom Fleck bewegt. Aus müden Kulleraugen sah sie zu, wie ich über stieg und mich in Dannys Zimmer schob.
Wie zu erwarten, lümmelte Danny sich auf seinem Bett, die Nase in ein Buch gesteckt. Sein Zimmer war wie immer beeindruckend aufgeräumt. Jedes Buch in dem imposanten Regal hatte seinen eigenen Platz. Nicht einmal eine einzelne Socke lag herum. Im Vergleich zu meinem Zimmer war das hier einfach nur deprimierend.
"So schlimm?", wollte Danny wissen ohne von seinem Buch aufzublicken.
"Schlimmer", schwungvoll ließ ich mich auf die Matratze fallen.
Da er nun bemerkt hatte, das ich nicht sofort wieder verschwinden würde, legte er das Buch bei Seite, setzte sich gerade hin und beobachtete mich mit diesem Blick, der mir den Eindruck vermittelte durch leuchtet zu werden.
"Warum bist du wirklich hier?", kam er mit unnachahmlicher Direktheit auf den Punkt.
Ich seufzte: "Smalltalk war noch nie so deins".
Danny grinste schief und zog seine Beine an, sagte aber nichts.
"Du hast mir doch mal von diesem... Mädchen aus deiner Klasse erzählt oder?", angestrengt verkniff ich mir das Wort unheimlich.
Danny nickte: "Celina Cavanaugh".
"Schlank, lange blonde Haare und gebräunte Haut?".
Ein weiteres Nicken.
"Ich glaub ich hab ihre Schwester kennen gelernt", fuhr ich fort und zwirbelte an der Naht der Bettdecke herum. Ich neigte meinen Kopf zur Seite und beobachtete meinen jüngeren Bruder scharf. Hätte ich nicht jahrelange Übung darin, seine augenscheinlich unbewegte Mimik zu entschlüsseln, wären mir die winzigen Regungen kaum aufgefallen. Für einen sehr kurzen Moment, sah ich das Erstaunen und die Furcht in seinen hellen Augen aufblitzen.
"Und wo?", hakte Danny mit betont lässiger Stimme nach. Ich schluckte. Auf einmal fühlte ich mich unwohl. Die Feinen Härchen auf meinen Armen stellten sich auf und ein bitterer Geschmack breitete sich in meinem Mund aus.
"Sie ist die Neue beim Surfen und...", wieder musste ich schlucken, bevor ich das offensichtliche aussprach: "Und sie macht mir Angst. Ihre bloße Anwesenheit, sorgt dafür, dass ich die Kontrolle verliere und ich weiß auch nicht... ich mich fühle als würde ich ertrinken", flüsterte ich.

Ich will nicht behaupten, dass ich wüsste wie es ist zu ertrinken, denn immerhin lebe ich noch. Aber wenn man einen großen Teil seines Lebens auf oder im Wasser verbringt, ist es eine logische Konsequenz, dass man mal länger unter der Oberfläche bleibt als man möchte. Dass einem die Luft ausgeht, die Lungen sich zusammen ziehen und man kämpft überhaupt wieder nach Oben zu kommen.

Danny ließ die Worte auf sich wirken. Sehr lange. Viel zu lange.
"Danny? Noch da?".
Als hätte ich ihn aufgeweckt fuhr er zusammen und sah mich kurz desorientiert an: "Ich hab nur nachgedacht", erklärte er halbherzig.
"Also hast du irgendeine Theorie, was diese Mädchen sind?".
"Nö", eine schmale Falte bildete sich zwischen seinen Augenbrauen.
"Am besten halten wir uns einfach von denen fern", er war noch kurzangebundener als gewöhnlich. Er griff wieder zu seinem Buch und blätterte nach der Seite, die er gelesen hatte, bevor ich ihn in ein Gespräch verwickelt hatte.

Ich stand auf, diese Unterhaltung brachte mich genau so weit wie Shakespeare: "Na dann, lass ich dich mal wieder allein". Danny erwiderte nichts und als ich sein Zimmer verließ, hatte er die Nase schon wieder in sein Buch gesteckt.

*

Schwache Sonnenstrahlen kämpften sich einen Weg durch die massive Wolkendecke, die Howth im Herbst fast durchgängig verhüllten.
Charlotte fuhr auf ihrem rostigen Fahrrad neben mir her und fluchte über ihre Mathehausaufgaben, die sie angeblich die halbe Nacht gekostet hatten.
Ich hingegen hatte meinen Tag zusammen mit Shakespeare verbracht und schließlich aus Verzweiflung bei Rebecca angerufen, von der ich gnädiger Weise hatte abschreiben dürfen.
„Naja aber Vektoren sind nicht das schlimmste", erklärte ich und umrundete einige Drittklässler, die auf der schmalen Zufahrt zu den Fahrradständern, meinten unbedingt nebeneinander gehen zu müssen.
"Das sagst du so leicht, Abby. Aber erklär mir doch mal wofür ich einen verdammten Vektor brauche!", wütete Charlotte und schob ich Fahrrad mit etwas zu viel Kraft in den Fahrradständer.
"Ähm ja. Da hast du wohl Recht aber mal angenommen du wolltest eine Linie zwischen-", mit kalten Fingern machte ich mich an meinem Fahrradschloss zu schaffen.
"Ich will aber keine Linien berechnen, wenn ich wissen will, wie lang etwas ist, dann seh ich halt nach!", entrüstete sie sich. Zach Coden und James Maxwell, die in diesem Moment an uns vorbei gingen, brachen augenblicklich in Gelächter aus. Während James durch die Zähne pfiff, rief Zach: "Dich würde ich sogar nachsehen lassen". Prompt änderte Charlottes Gesichtsfarbe sich von normal zu der Farbe einer überreifen Tomate und Ich konnte mir ein kleines Grinsen nicht verkneifen.
"Du weißt wie ich das meine", murmelte Charlotte immer noch peinlich berührt.
Es kostete mich einiges an Disziplin, um zu nicken und süffisant zu erwidern: "Aber natürlich, was denkst du denn von mir?".
Augenverdrehend schulterte Charlotte ihre Tasche und lief mir voran am Schulhof der Grundschüler vorbei.
Kaum hatten wir unseren Hof betreten, fiel mein Blick auf sie. Christina. Mit ihren silberblonden Haaren, fiel sie unter den einzelnen Schülern beinahe sofort auf.
Lässig an einen alten Baum gelehnt unterhielt sie sich mit einer großen Brünetten. Ganz normal. Was war mein Problem mit ihr?
Charlottes Blick war meinem gefolgt:" Sie kommt übrigens wieder, meinte Daniel".
Mein Herz rutschte mir in die Hose, denn ein winziges bisschen hatte ich zu hoffen gewagt, dass sie keinen Spaß am surfen hatte.

Ein überaus freundlicher siebtklässler hielt mir die Tür auf. Scheinbar war er noch nicht in der von Hormonen beeinflusste Phase, anderenfalls hätte er uns eher die Tür vor der Nase zugeschlagen.
"Was hast du jetzt?", erkundigte Charlotte sich und blieb vor der Treppe zu den naturwissenschaftlichen Räumen stehen: "Geschichte".
"Na dann", verabschiedete Charlotte sich und stapfte die Treppe hinauf.
Scott war wie üblich einer der erste im Raum. Nachlässig hatte er seine Jack über die Lehne seines Stuhles geworfen, Buch und Ordner auf den Tisch geschmissen und kippelte nun gedankenverloren mit dem Stuhl.
"Eines Tages brichst du dir den Hals", begrüßte ich ihn und ließ meinen Rucksack geräuschvoll auf den Tisch fallen. Scott zuckte zusammen, schwankte bedrohlich aber fing sich im letzten Moment wieder.
"Wenn du so weiter machst, dann schon", maulte er.
Lustlos zog ich meinen Block und das Geschichtsbuch hervor und ließ mich auf den Stuhl neben ihm gleiten.
"Erst fängt Jasmine mich ab, weil ich als einziger aus dem Jahrgang den Teilnahmeschein für den Sponsorenlauf noch nicht abgegeben habe und dann kommst du und bringst mich fast um. Das wird wirklich ein toller Tag", er seufzte übertrieben und ließ den Kopf auf sein Buch sinken.
"Und dann auch noch Geschichte in der ersten Stunde".
Scott gähnte ausgiebig: "Das ist nur halb so schlimm".
"Viel schlimmer ist, dass ich noch keine Ausrede hab, am Sponsorenlauf nicht mitzumachen".
"Was ist denn so schlimm daran? Du kannst auch gehen", argumentierte ich und kramte in meinem Rucksack nach meinem Federmäppchen, fand es aber nicht. Vermutlich hatte ich es gestern bei Rebecca vergessen. Apropos Rebecca, der Stuhl vor mir war immer noch unbesetzt. Aber da sie mir geschrieben hätte, wenn irgendetwas gewesen wäre, ging ich davon aus, dass sie einfach nicht aus dem Bett gekommen war oder ihr Fahrrad einen Platten hatte.
"Außerdem macht Rebecca auch mit und da kannst du ja schlecht kneifen", nahm ich das Gespräch wieder auf und ignorierte geflissentlich die Tatsache, dass Mrs.Allgory den Raum betreten hatte.
"Das macht es noch schlimmer", murmelte Scott und richtete sich langsam auf. Als Liebling von Mrs Allgory hatte er schließlich einen Ruf zu verlieren.
"Und außerdem ha-", fuhr ich fort, doch wurde von Umbridge höchst persönlich unterbrochen: "Auch Ihnen einen guten Morgen Abigail", ihre Stimme war schneidend und ihre Augen funkelten bösartig. Okay, das war übertrieben aber Fakt war: Diese Frau stand Dolores Jane Umbrigde in Nichts nach.
Mehrere Jahre Erfahrung hatten mich gelehrt Mrs Allgory nicht unnötig zu provozieren, also lächelte ich so süß, dass ein Diabetiker bei meinem Anblick allein, einen Zuckerschock erlitten hatte und antwortete: "Den wünsch ich Ihnen auch".

Auf ihr missbilligendes Kopfschütteln, folgte eine Lawine von Anweisungen, die durch ein zögerliches Klopfen an der Tür unterbrochen wurden.
"Herein", befahl Umbridge mit ihrer hohen Stimme.
Wie zu erwarten betrat Rebecca das Klassenzimmer, murmelte eine Entschuldigung von wegen Kette rausgesprungen und huschte an ihren Platz. Im vorbei Gehen lächelte sie Scott und mir kurz zu und tat dann das was sie am besten konnte, sich unsichtbar machen. So zu tun, als hätte sie schon die ganze Zeit hier gesessen und Mrs Allgorys Aufgaben mitgeschrieben.
Die Stunde war zäh wie Sirup, sodass sich die neunzig Minuten zogen, als wären sie der gesamte Vormittag.

In der Pause drängten wir uns mit den anderen in den Aufenthaltsraum. Zusammen mit Samuel und Charlotte saßen wir um einen der Tische mit aufgedruckter Holzmaserung.
Scott kaute auf seinem reichlich belegten Sandwich herum und diskutierte mit Samuel über mögliche Ausreden, um nicht am Sponsorenlauf teilnehmen zu müssen. Rebecca und Charlotte waren in ein Gespräch über ein Buch vertieft, das ich nicht kannte. Währenddessen sah ich mich nach Benjamin um. Ich musste unbedingt mit ihm sprechen, die Frage nach Christina brannte mir unter den Nägel und von der Sache mit Phillip hatte ich ihm auch noch nicht erzählt. Als ich Benjamin dann schließlich im Gedränge entdeckte, winkte ich hektisch zu ihm herüber. Er sah mich, grinste, kam aber nicht herüber. Auf den zweiten Blick sah ich auch warum. Anabel, zu recht gemacht wie eh und je, stand neben ihm und schien sie über irgendetwas aufzuregen. Sie gestikuliert wild mit ihren Händen und man kann den verkniffenen Zug um ihren Mund trotz der Entfernung von mehreren Metern erkennen konnte.
Während ich meinen Joghurt löffelte beobachtete ich, wie Anabels Gesichtszüge sich von Sekunde zu Sekunde veränderten. Erst sah sie tierisch wütend aus, dann fast verzweifelt. Nun war es an Benjamin ununterbrochen auf sie einzureden. Augenscheinlich beruhigte Anabel sich. Sog schließlich scharf die Luft ein und ließ sich dann demonstrativ auf den freien Platz neben Jasmine Connery fallen, die nicht sonderlich begeistert aussah. Benjamin hingegen, sorgte dafür, dass er so schnell wie möglich aus der Reichweite seiner Cousine kam.
"Meine Güte", murmelte er zu Begrüßung, quetschte sich neben Scott auf die Bank und ließ seinen Rucksack auf den Boden sinken.
"In zwei Tagen können wir ausziehen", fügte er hinzu, bevor noch irgendjemand etwas sagen konnte.
Mitfühlend lächelte Rebecca: "Worum gings denn?".
Benjamin verdrehte die Augen: "Um Nichtigkeiten. Sie und ihre Schwester haben sich gestritten und dann hab ich halt für Angelina Partei ergriffen".
"Und Anabel kann es nicht Leiden, im Unrecht zu sein", sinnierte Scott und biss von seinem Sandwich ab. Benjamin nickte: "Total idiotisch und hirnverbrannt".
"Anabel war halt schon immer besonders", erklärte Samuel süffisant grinsend zwischen zwei Bissen seines Brotes. Scott lachte und begann davon zu erzählen, wie Anabel in der sechsten Klasse einen Aufstand gemacht hatte, weil James Maxwell seine Schokomilch unabsichtlich auf ihre Bluse geschüttet hatte.

Ich wollte unbedingt mit Benjamin über Phillip und Christina sprechen aber hier ging das schlecht. Das Scott und Rebecca da waren, war nicht das Problem. Allerdings wussten weder Samuel noch Charlotte von meinen Fähigkeiten und so sollte das auch bleiben.
Also warf ich Benjamin einen Blick zu, der hoffentlich genug sagte und deutete unauffällig auf die Tür des Pausenraumes.
"Ich muss mal eben meine Bücher hohlen", entschuldigte ich mich. Rebecca warf mir einen Blick zu, der eindeutig genug war. Sie wusste, dass ich mit Benjamin allein sein wollte, um in Ruhe zu reden.
"Ich komm mit", kam es prompt von diesem.
Überstürzt verließ ich den Raum, den leicht verwirrten Benjamin auf den Fersen.
"Was gibts?", fragte er kaum hatten wir einige Meter zwischen uns und den Aufenthaltsraum gebracht.
"Also ich war am Wochenende bei meiner Tante und da-", hastig fasste ich die Ereignisse des Samstagabends zusammen.
"Oookay", er zog das Wort in die Länge und lehnte sich gegen einen der mintgrünen Spinde.
"Du hast also einen Auftrag erfüllt. Ist doch gut", er lächelte und setzte eine aufmunternde Miene auf: "Aber das ist doch nicht alles oder?".
Einen Moment sah ich ihn mit schief gelegtem Kopf an. War das so offensichtlich?
"Warum... Woher?"
Er zuckte mit den Schultern und ich lehnte mich neben ihn an die Spinde.
"Du siehst aus als hättest du naja... einen Geist gesehen".
Das Wortspiel war so schlecht, dass ich tatsächlich doch lachen musste: "Sag das bitte nie, nie wieder".
Benjamin grinste: "Ich überlegs mir. Aber, was ist denn jetzt noch?".
Ich seufzte und sah auf meine Hände: "Beim Surfen ist dieses Mädchen und wenn ich sie sehe, ist da nichts als blanke Angst und Panik. Ich verliere die Kontrolle über du weißt schon und-", ich kam ins Stocken.
"Und ich weiß nicht warum", schloss ich leise.

Ich drehte den Kopf, um Benjamin anzusehen. Seine Stirn war gerunzelt.
"Weiß du was da falsch läuft? Christinas Schwester ist in der Klasse meines Bruders und ihm ergeht es mit ihr genauso".
Eine lange Pause folgte. So lang, dass ich irgendwann bezweifelte, dass ich überhaupt noch eine Antwort bekommen würde.
"Weißt du, warum wir hier her gezogen sind?", fragte er mit rauer Stimme, den Blick stur auf den Boden gerichtet.
"Deine Eltern haben sich getrennt?", riet ich. Ich meinte mich dunkel zu erinnern, dass er einmal davon erzählt hatte.
"Ja das und weißt du warum wir ausgerechnet hier hin, nach Howth gezogen sind?".
"Wenn du so fragst, dann ist die Antwort sicherlich nicht, dass ihr hergekommen seid, weil Anabel hier wohnt. Ihr habt hier Familie".
"Genau", er nestelte an dem Saum seines Hemdes herum, dass unter seinem Sweatshirt hervor lugte.
"Wir sind nach Howth gekommen, weil hier kaum Menschen wohnen und die Kriminalität hier gegen null geht und die einzigen zwielichtigen Gestalten die sich nach acht Uhr hier auf der Straße rumtreiben, alte Damen mit ihren Dackeln beim Gassi gehen sind".
"Okay die Behütetheit in Howth in allen Ehren aber was hat das mit Christina zu tun? Du willst mir doch nicht erzählen, dass sie eine Serienkillerin ist oder sowas?", ich musste beinahe lachen. Benjamin allerdings nicht und das beunruhigte mich.
"Also, lass es mich so erklären", seufzte er und fuhr sich durch die Haare.
"Es wurde zu gefährlich. Wir- ich, wurde von bestimmten Leuten verfolgt, die anders sind. Anders als wir. Leute die Ziele verfolgen, deren Meinungen im krassen Gegensatz zu unseren Auffassungen stehen".
"Also während wir versuchen, Geistern zu helfen, versuchen sie das zu verhindern?", überlegte ich.
Ein Nicken: "Ziemlich genau".
"Echt?".
Wieder ein Nicken: "Ich weiß, klingt wie aus einem schlechten Film."
"Ziemlich. Und einer der Nebeneffekte von ihrem Auftreten, ist das mit dem Kontrollverlust".
Klang ja ganz logisch, wenn auch ziemlich abgedroschen.
"Sorg einfach dafür, dass sie nichts über dich und deine ähm... Fähigkeiten heraus findet".
Diesmal war es an mir zustimmend zu nicken.

"Und was heißt das jetzt?", meine Frage wurde fast von dem Gong übertönt, der das Ende der Pause ankündigte. Langsam machten wir uns auf den Weg zurück in den Aufenthaltsraum, in dem immer noch unsere Taschen standen.
Benjamins Miene verfinsterte sich: "Wir sollten Henry so schnell wie möglich von hier weg bekommen. Bevor diese Mädchen von ihm Wind bekommen".

*

Um Henry zu helfen, so hatte Benjamin es mir in Geografie im Flüsterton erklärt, mussten wir seine Aufgabe erfüllen. So weit so gut. Und dieser lautete, dass er die Sachen, die er vor seinem Tod angestellt hatte (Der Streit mit seinen Eltern, die Brandstiftung für den man jemand anderen beschuldigte) richtig zu stellen. Und damit das funktionierte, musste Henry den Brief selbst formulieren. Und dafür, mussten wir logischerweise mit ihm sprechen.
"Logisch", hatte ich geflüstert und Benjamin fuhr fort. Wir mussten Henrys Geist beschwören. Eigentlich kein Problem, da Benjamin scheinbar wusste wie das ging.
"Und das geht nur an einem Ort an dem er schon mal war. Am besten einer an dem er sich oft aufgehalten hatte, damit die "Verbindung" stabil blieb und länger als zwei Minuten hielt.
Das war schon eher ein Problem. Der Ort an dem er vermutlich die meiste Zeit seines Lebens verbracht hatte, war sein zu Hause. Allerdings konnten wir schlecht bei den Flemmings klingeln und sie beten uns auf Grund einer Geisterbeschwörung in das Zimmer ihres verstorbenen Sohnes zu lassen. Einbrechen kam auch nicht in Frage. Also brauchten wir einen anderen Ort.

Und so kam es, dass Scott, Rebecca, Benjamin und ich uns in der Mittagspause in das Zimmer stahlen, indem an den Dienstag- und Donnerstagnachmittagen das Nachsitzen stattfand.
"Das ist schon fast makaber", bemerkte Rebecca als sie sich auf dem Pult niederließ und die Haare in einem unordentlichen Dutt zusammen fasste.
"Naja so makaber auch wieder nicht", Scott lümmelte sich bereits auf einem der Tische."Immerhin war Henry hier öfter als der durchschnittliche Schüler", setzte er hinzu.
"Makaber wärs, wenn wir auf einem Friedhof stünden oder im Krematorium", erklärte ich. Ich hatte mich im Schneidersitz auf einen der Tische gesetzt, die in ordentlichen Reihen auf gestellt waren.
Scott sah auf die Uhr: "Wir sollten uns beeilen, die Mittagspause geht nur noch eine halbe Stunde und danach ist Mrs. Lankford mit ihrem Debattierclub hier drin und denen muss ich echt nicht begegnen".

Benjamin lachte: "Wenn das so ist, dann beeilen wir uns natürlich. Nicht das Mrs. Lankford dich noch dazu breitschlägt dem Debattierclub beizutreten".
Scott seufzte theatralisch und zog seine Butterbrotdose hervor, wofür er sich einen bösen Blick von Rebecca einhandelte: "Was?", fragte er mit vollem Mund. Angeekelt wandte ich mich ab.
"Meinst du nicht, dass ist ein bisschen unpassend?", fragte sie spitz. „Ja Scott, das ist eklig", ergriff ich Partei allerdings schien Scott mich nicht zu hören.
Mit entnervtem Ausdruck sah Scott Rebecca an: "Becs, wenn du meinst, nur weil die beiden einen Geist beschwören, müssten wir das passende Ambiente schaffen, dann kannst du gerne Kerzen aufstellen und Drudenfüße zeichnen aber ich werde mein Brötchen essen".
Rebecca seufzte und warf mir einen Blick zu, der in etwa bedeutete: "Manchmal hat er einfach keine Ahnung".

"Wär zwar überflüssig aber wenn es dich glücklich macht, kannst du das gerne machen", Benjamin lächelte amüsiert und setzte dann: "Abby, nimm mal deine Kette ab".
Er setzte sich auf den Tisch gegenüber und zog seine Beine in den Schneidersitz. Unterdessen nestelte ich am Verschluss meiner Kette herum. Seit der Enthüllung ihres "Geheimnisses", trug ich sie beinahe immer.
"Okay und was kommt jetzt? Hokuspokus? Abrakadabra?", ich konnte den spöttischen Tonfall in meiner Stimme nicht unterdrücken. Benjamin grinste trotzdem und streckte die Hand nach der Kette aus. Ich ließ sie hinein gleiten.
"Also nein, keine Zauberei", seine Finger fuhren die Linien der eingravierten Buchstaben nach.
"Und was dann?", hakte Scott nach und beugte sich interessant vor.
Benjamin schmunzelte als würde er überlegen, wie er das folgende erklären sollte.
"Es ist ein bisschen so wie Meditation", sagte er dann. "Hast du schon mal meditiert?".
Ich schüttelte den Kopf und vermied es auf jeden Fall Rebecca anzusehen. Sie hatte mir von ihrem abgedrehten Meditationskurs auf ihrem letzten Rheumaseminar erzählt. Offensichtlich dachte Rebecca das gleiche. Angestrengt biss sie sich auf die Lippe und starrte auf das graue Linoleum.
"Also du nimmst den Anhänger gleich in die Hände und Konzentrierst dich dann auf Henry. Auf Dinge die du über ihn weißt, die du mit ihm verbindest. Verstanden?"
"Und dann taucht er einfach so auf? Kein Nebel? Keine sich von selbst rückenden Gläser?", eine Spur Enttäuschung schwang in Scotts Stimme mit.
"Tut mir leid dich zu enttäuschen".
"Na dann", murmelte ich und nahm die Kette wieder entgegen.
"Rebecca hast du was zu schreiben?"
Zur Bestätigung wedelte Rebecca mit ihrem Block und einem rosa Kuli in der Luft herum.
"Also gut". Ich schloss die Augen und überlegte, doch bevor ich richtig nachdenken konnte, schoss mir eine Frage in den Kopf: "Warum muss ich das eigentlich machen?"
Ich schlug meine Augen wieder auf: "Ich fühl mich schon was dämlich so und du hast das bestimmt schon öfter gemacht. Bei dir sollte also nichts schief gehen".
"So siehst du überhaupt nicht aus", beteuerte Scott umgehend mit vor Ironie triefender Stimme.
Ich ignorierte ihn und wandte mich wieder an Benjamin: "Also, warum kannst du das nicht machen?".
"Ich hab Henry nie kennen gelernt also wäre es viel schwerer", erklärte er und blickte auf die Uhr. Scheinbar hatten wir nicht mehr allzu viel Zeit.
Also gut. Was verband ich mit Henry? Angestrengt schloss ich die Augen. Schlechte Witze, lautes Lachen, wie er in der Dritten Klasse mit Pommes um sich warf, die Tatsache, dass er auf Partys dafür sorgte, dass alle Becher immer gut gefüllt waren, wie er auf dem Abschlussball in der neunten Klasse mit mir getanzt hatte und mir dabei ständig auf die Füße getreten war, sein Grinsen, wenn er wusste, dass er Mist gebaut hatte, sein aufmüpfige Art gegenüber Lehrern. Kurz um. Ich erinnerte den Jungen, den ich gekannt hatte. Mit dem ich zwar nie besonders viel zu tun hatte aber mit dem ich trotzdem aufgewachsen war (Und diese unheimlich Tatsache galt für beinahe alle Bewohne Howth zwischen 15 und 20 Jahren).
Ich spürte wie meine Hände zu kribbeln begannen. Vermutlich war ich voll im Geister-Modus, doch ich wagte nicht die Augen zu öffnen. Eine unbestimmte Angst versagt zu haben, machte sich in mir breit.
Erst die Äußerung: "Okay, damit hab ich jetzt nicht gerechnet", brachte mich dazu die Augen aufzureißen.
"Henry", quiekte ich vor Freude. Einmal weil ich es geschafft hatte und einmal weil ich mich ehrlich freute ihn zu sehen.

"Na siehst du gar nicht so schlimm", murmelte Benjamin und musterte Henry eingehend. Mir fiel auf, dass auch von Benjamins Händen das verräterische Glimmen ausging, genau wie von dem Bereich um die Iris herum. Überhaupt war es seltsam und faszinierend zugleich seine Augen länger zu beobachten. Herumwirbelnde graue Massen, ständig wechselnde Forme, wie das Meer an einem stürmischen Wintertag.
"Okay das ist mal ne Begrüßung, Abby", lachte Henry und unterbrach meinen Gedankengang bezüglich des Leuchtens von Körperteilen.
"Ich kann meine Begeisterung auch zurück schrauben", erwiderte ich trocken.
"Leute, was geht hier gerade ab?", mischte Scott sich ein. Aus seinem und Rebeccas Blickwinkel musste das ganze ziemlich seltsam wirken.
Bereitwillig strecke Benjamin seine Hände aus, die Scott und Rebecca sogleich ergriffen.
"Ach du heilige Scheiße", entfuhr es Scott.
"Meine Fresse Flemming, siehst du übel aus".
"Scott", zischte Rebecca.
"Ist schon okay Rebecca, ich hab mich dran gewöhnt, wie die Typen von The Walking Dead auszusehen", kam es von Henry, der sich gegen die Wand lehnte.
"Also, warum bin ich hier".
Scott schob sich die Brille ein Stück höher auf die Nase: "Du musst uns helfen dir zu helfen".
Henry legte den Kopf schief, als verstünde er nicht ganz also fuhr Rebecca fort: "Damit auch alles ähmm... so ablaufen kann, damit du hier für immer verschwinden kannst, musst du uns sagen, was in deinem Brief stehen muss."
"Denn sonst läufst du Gefahr deine Chance zu verpassen", ergänzte Benjamin.
Langsam nickte Henry: "Verstehe. Aber nur mal eben so. Wer bist du? Du warst noch nicht auf der Schule als ich noch gelebt hab oder?".
Bei der lässigen Erwähnung seines eigenen Todes zuckte Rebecca unmerklich zusammen.
"Nope, bin erst vor zwei Wochen hergezogen", sagte Benjamin.
"Also gut, lasst uns zum wichtigen kommen", drängte Rebecca. Mit der rechten Hand umklammerte die die von Benjamin, während sie in der linken ungeduldig mit dem Kugelschreiber spielte.
"Henry, es ist wichtig, dass du jetzt ehrlich bist, denn sonst funktioniert das nicht. Und am besten formulierst du auch selbst, um das ganze glaubhafter erscheinen zu lassen".
Er und Henry wechselte einen Blick voller Ernsthaftigkeit.
"Also gut, gebt mir zwei Minuten".
Diesmal war es wieder an Scott einen Blick auf die Uhr zu werfen: "Wir haben noch fünfzehn Minuten".

Henry raufte sich das von Blut verklebten Haar: "Okay, bist du bereit zu schreiben?", wandte er sich an Rebecca. Diese nickte und setzte den Kugelschreiber auf das Papier.
"Liebe Mama, Lieber Papa. Liebe Alisha, Kira und liebe Sarah. Wenn ihr das hier lest, wisst ihr bereits-", er stockte. "Klingt das zu abgedroschen?", beinahe schon verlegen strich er sich die Haare aus der Stirn und legte eine breite Platzwunde frei.
"Nein, nein, so lang es deine Worte sind ist es okay", beruhigte Benjamin ihn. "Mach einfach weiter".
"Dann wisst ihr bereits, dass ich große, große Scheiße gebaut habe".
Rebeccas Kugelschreiber kratzte über das Papier und hinterließ eine blaue Spur auf dem Papier.
"Was ich gesagt habe tut mir aufrichtig leid. Ich wollte-", wieder hielt er Inne. Plötzlich wurde sein Blick glasig.
"Henry?", besorgt beugte ich mich ein Stück zu ihm hin. Doch es war zu spät. Henry hatte sich einfach so in Luft aufgelöst.
"Was ist passiert?", erschrocken sprang Scott auf. Im selben Moment flog die Tür zum Nachsitz-Raum auf.

"Oh, sorry, stör ich?", fragte eine leicht verlegene Stimme. Ich hob den Blick von der Stelle an der Henry gestanden hatte und sah zur Tür. Dort stand ein Mädchen mit silberblonden Haaren und einer verblüffenden Ähnlichkeit zu Christina Cavanaugh. Ohne Zweifel, ihre jüngere Schwester Celina.
In dem Versuch sein Zähneknirschen zu unterdrücken sah Benjamin zur Tür: "Nein überhaupt nicht, wir waren gerade fertig".

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