10.Kapitel

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Eigentlich sollte man im Alter von siebzehn Jahren die Reife besitzen, warten zu können. Aber eigentlich müsste gälisch auch sowas wie meine zweite Muttersprache sein. Von daher war es vollkommen in Ordnung, dass meine Ungeduld mich überwältigt hatte und ich mir in Folge dessen mein Fahrrad geschnappt hatte und durch den strömenden Regen zu dem kleinen Haus am Rande der Innenstadt von Howth. Doch auch hier hatte ich kein Glück. Hinter den Fenstern brannte kein Licht und es drangen auch keine dröhnenden Beats nach draußen.

Trotzdem klingelte ich an der Tür. Nichts geschah. Niemand öffnete. Ich seufzte und strich mir das klatschnasse Haar aus der Stirn. Meine Sweatshirtjacke war komplett durchnässt, die Bluse darunter fühlte sich nicht besser an.

Es wäre vernünftig gewesen jetzt einfach nach Hause zu fahren. Doch ihne darüber nachzudenken schwang ich mich wieder auf mein Fahrrad und trat in die Pedale.

Wenig später bremste ich vor einem pittoresken Altbau am Ende einer der Siedlungen im Süden von Howth.

Das letzte Mal war ich hier in der siebten Klasse gewesen, allerdings zusammen mit Rebecca.

Ich lehnte mein Rad an dem schmiede eisernem Gartenzaun an und schwang mich mit einem Satz darüber. Der Kiesweg der zur Vortreppe führte knirschte unter meinen Füßen. Alles sah ihr nahezu perfekt aus. In dem Brunnen neben der Treppe befand sich nicht die kleinste Alge, die Buchsbüsche waren perfekt gestutzt und die Blumen streckten sich trotz des enormen Regens immer noch gerade gen Himmel.

Kopfschüttelnd sprang ich die Stufen hoch und betätigte die Klingel, über der ein aufwendig gestaltetes Namensschild hing, auf das in schnörkeliger Schrift der Name Hale geprägt war.

Ich war noch ganz in die Betrachtung des filigranen Schildes vertieft, dass ich kaum bemerkt hatte, das Anabel mir die Tür geöffnet hatte. Erst ein knackendes Geräusch holte mich in die Realität zurück.

"Äh hi Anabel".

Ausdruckslos sah Anabel mich an. "Was gibt's?", begrüßte sie mich desinteressiert und biss Geräuschvoll von einem Cracker ab. (Bestimmt kein normaler Cracker, sondern irgendwas aus Dinkel oder Dreikorn. Also total gesund.)

"Ist Benjamin da?".

Anabel ließ sich Zeit zu antworten. Während sie mich taxierte biss sie ein weiteres Mal von ihrem Cracker ab.

"Du bist nass", sagte sie dann und ein beinahe höhnisches Grinsen umspielte ihre makellos perfekt geschminkten Lippen.

"Ich weiß und stell dir vor erst regnet", schoss ich zurück. "Also ist Benjamin nun da oder nicht?".

"So schon mal gar nicht", erklärte sie spitz und wollte mir schon die Tür zu schlagen als eine weitere Stimme erklang.

"Abby bist du das?".

"Jaaa", rief ich, wobei meine Lippen sich zu einem Lächeln verzogen. Anabel sah aus als hätte sie in eine Zitrone gebissen. Sie gab ein genervtes Geräusch von sich, was fast so unmelodisch klang wie das Geräusch, dass ihr Cracker beim Kauen machte, und verdrehte genervt die Augen. Unterdessen hatte Benjamin sie ein Stück zur Seite geschoben und sich neben sie in den Türrahmen gedrängt.

"Hi Abby", er musterte mich amüsiert. "Willst du reinkommen?".

"Ich dachte das werd ich hier nie gefragt", erwiderte ich an ihn gewandt, worauf er grinste und Anabel schnaubend davon rauschte. Erleichtert trat ich ein. Erst jetzt realisierte ich, wie nass ich wirklich war. Ich sah aus als wäre ich gerade Wegs der Irischen See entstiegen.

"Ist die heute gut gelaunt", kopfschüttelnd sah Benjamin seiner Cousine hinter her.

"Noch ein Stückchen besser und sie würde Feuer spucken", erwiderte ich leise und schlüpfte aus meinen Schuhen.

Ghosts of EleoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt