24. Kapitel

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Even Hagrid is more accurate than Benjamin.

"Okay, wie wollt ihr das gleich machen?", Rebecca zog sich ihre Kapuze tiefer ins Gesicht, um sich vor dem kalten Wind zu schützen. Der Regen, der nach dem Aufstehen lediglich ein schwaches Nieseln gewesen war, hatte sich innerhalb einer knappen Stunde in einen ausgewachsenen Wolkenbruch verwandelt.

Zusammen mit zwei älteren Raucherinnen quetschten Rebecca und ich uns unter das Vordach der einzigen Turnhalle in Howth. Zwar unterhielten sich beide Raucherinnen lautstark über die verschiedenen Macken, die die Turnanzüge ihrer Töchter aufwiesen (Von abfallendem Glitter bis hin zu schlecht verarbeiteten Nähten, alles ein einziger überteuerter Graus), dennoch sprachen Rebecca und ich mit gesenkten Stimmen, während wir auf Benjamin und Scott warteten-.

Ich zog die Stirn kraus und vergrub die Hände in den Jackentaschen. "Um ehrlich zu sein hab ich mir noch keine Gedanken darüber gemacht", gab ich zu.
"Aber du weißt doch schon, seit Montag, dass wir heute hier sind", empörte Rebecca sich flüsternd.
"Ich weiß", gab ich mit zusammen gebissenen Zähnen zurück.
Rebecca verdrehte die Augen, sie hasste es unvorbereitet zu sein.
"Wir kriegen das schon irgendwie hin, schließlich werde ich ja nicht allein auf die Mädchen losgelassen".
Rebecca lachte leise: "Wenigstens etwas positives". Nun war es an mir die Augen zu verdrehen, obwohl ich wusste, dass sie Recht hatte. Denn die Sache ist die: Ich kann nicht mit Kindern. Keine Ahnung warum. Ich bin vermutlich einfach unfähig.
"Hast du denn wenigstens an den Brief gedacht?", fragte Rebecca. Ich nickte und machte eine Bewegung in Richtung meiner Handtasche.
"Wo bleiben die beiden denn?", ich sah auf die Uhr, es war zehn nach neun und kalt. Rebecca spähte die Zufahrt der Turnhalle entlang, doch abgesehen von übereifrigen Eltern und Mädchen im Alter von sieben bis vierzehn mit Sporttaschen, die größer waren als sie selbst, war niemand zu sehen.
"Sieht ihnen doch sonst nicht ähnlich", murmelte Rebecca mehr zu sich selbst als zu mir.
Ich begutachtete ein Mädchen mit überdimensionaler rosa Schleife im Haar, die ihr befremdliche Ähnlichkeit mit einem Zirkuspferd verlieh und mutmaßte: "Wahrscheinlich haben sie nur verschlafen. Scott steht doch am Wochenende eh nicht früher als halb elf auf".
"Aber uns drangsalieren, um neun hier zu sein", beschwerte Rebecca sich und vergrub die von der Kälte geröteten Finger in den Taschen ihrer Jacke.
Wir harrten weitere Minuten in der Kälte aus, in denen die zwei korpulenten Raucherinnen ihre Zigaretten in dem blau lackierten Standascher ausdrückten und sich nacheinander nach drinnen begaben, mit der Bemerkung, dass der Markt für Turnanzüge vor allem von chinesischer Billigware überschwemmt sei.
"Wow, ich glaub das war garantiert das interessanteste Gespräch das ich heute mitbekommen hab", spottete Rebecca und versuchte das Klappern ihrer Zähne zu unterdrücken.
"Wie? Hast etwa nicht mit Punktabzügen zu kämpfen, wenn die Säume deiner Unterwäsche sich durch den Stoff drücken?", gab ich mit gespieltem Entsetzten zurück.
Rebecca lachte:"Wer sagt denn hier, dass ich Unterwäsche tr-", sie unterbrach sich, allerdings nur um Scott und Benjamin, die gerade über die Zufahrt kamen zuzurufen: "Na? Aus dem Schönheitsschlaf erwacht?".
Mit quietschenden Bremsen hielt Scott sein Fahrrad an und kettete es an den Zaun.
" Beccs, also langsam solltest du gelernt haben, dass ich sowas wie Schönheitsschlaf überhaupt nicht nötig hab", erwiderte er herrlich selbstironisch.
"Außerdem ist es gar nicht meine Schuld, sondern seine", mit einer nachlässigen Handbewegung deutete er auf Benjamin, der sein Fahrrad bereits abgeschlossen hatte. Dieser grinste entschuldigend: "Reifen war platt".
"Können wir jetzt endlich mal rein gehen", drängte Rebecca, deren Zähne immer noch klapperten. "Mir ist kalt", beschwerte sie sich.
Benjamin hielt uns die Tür auf, sodass wir einer nach dem anderen in die Halle schlüpfen konnte. Die Luft war warm und stickig, der Geruch verschiedenster Deos und Haarsprays vermischte sich mit dem in Sporthallen allgegenwärtigen Muff.
"Ganz schön voll hier", bemerkte ich und sah mich um. Kritisch beäugte Benjamin die Tribüne, von den sechs Reihen waren vier belegt.
"Spar dir den Atem", sagte ich und knuffte ihn in die Seite. Er lachte: "Ich sag ja nichts".
Scott führte uns die Treppe hinunter zu den Tribünen, damit wir in einer der Reihen Platz nehmen konnten, die nicht von Müttern, Großmüttern oder vor Haarschleifen, Turnanzügen und Tape überquellenden Sporttaschen bevölkert wurden.
Unterhalb der Tribüne waren die einzelnen Geräte bereits aufgebaut, eine Bodenbahn, ein Balken und ein Reck. Mehr passte nicht auf die Fläche. In der Halle verteilt standen kleine Mädchengruppen, in zueinander passenden Turnanzügen und waren damit beschäftigt sich aufzuwärmen. Allein vom zusehen schmerzten mir der Rücken, war es natürlich, dass das Zirkuspferdmädchen von vorhin sich nach hinten über beugen konnte und danach soweit runter gehen konnte, dass ihr Hände ihre Fersen von hinten berührten.
"Ach du Schande", murmelte ich.
"Hat die denn gar keine Knochen?", während Benjamin seine Jacke verstaute, war sein Blick starr auf das Mädchen gerichtet, dass offensichtlich ohne Rückgrat geboren war.
"Vermutlich nicht", erwiderte ich und sah fasziniert zu, wie das Mädchen die Hände so platziert, dass sie in der Brücke war, danach schwang sie ihre Beine einfach nach hinten und stand, als wäre es das leichteste der Welt, wieder auf beiden Füßen.
"Das muss doch weh tun", bemerkte Rebecca. "Dann guck erst mal genauer hin, wenn die Spagat machen, dass muss unheimlich schmerzhaft sein", mutmaßte Scott und zog eine Grimasse, während er die Menge scannte, offensichtlich auf der Suche nach seiner Tante und Cousine.
"Ich geh mal eben Hallo sagen", sagte er, kaum hatte er den blonden Zopf seiner jüngeren Cousine Louisa, erspäht.
"Ben?", wandte Rebecca sich an eben diesen:"Erzähl mir bitte, dass du einen Plan hast, wie ihr gleich vorgeht".
Eine Spur verlegen fuhr Benjamin sich durch die Haare: "Ähm, ja... der Plan".
Etwas in Rebeccas Augen flackerte. "Das darf doch nicht wahr sein", entrüstete sie sich. "Ihr habt keine Ahnung, was ihr gleich macht?!".
"Ganz ruhig, Beccs. So schwer wie du dir das vorstellst ist das gar nicht. Wir improvisieren einfach ein bisschen".
Ich nickte wild und bestätigend, das war auch mein vager Plan gewesen. Rebecca sah allerdings immer noch nicht überzeugt aus.
"Sieh mal Beccy, sich Worte zu Recht zu legen, hat keinen Sinn, weil es sowie so nicht so kommt, wie man es plant", setzte ich hinzu und spähte aus dem Augenwinkel zu Benjamin. Rebecca biss sich auf die Unterlippe, ein klares Zeichen für Nervosität. "Aber eins dieser Mädchen ist eure einzige Chance Henry zu retten, bevor diese blöde Kuh und ihre Geschwister ihm sonst was an tun", zischte sie und echte Verzweiflung mischte sich unter ihre mühevoll unterdrückte Wut.
Etwas unbeholfen legte ich den Arm um meine beste Freundin: "Hey, es wird schon funktionieren. Wir finden gleich raus, welche der Schwestern die Gabe hat und werden dann mit ihr reden und sie wird einwilligen, uns oder viel eher ihrem Bruder zu helfen", flüsterte ich ihr zu und strich ihr beruhigend über den Rücken. Sie atmete tief ein und aus. Eigentlich besaß Rebecca eine unüberwindbare innere Ruhe aber wenn ihr etwas nahe ging, neigte sie dazu diese innere Ruhe von jetzt auf gleich über den Haufen zu werfen und auszurasten.
"Aber was wenn nicht?", schniefte sie und wischte sich mit dem Handrücken ungestüm eine Träne aus dem Gesicht. Benjamin reichte ihr ein Taschentuch.
"Dann müssen wir uns einen Plan C überlegen, das wird schon funktionieren. Wir lassen nicht zu, dass Christina Henry vor uns in die Finger bekommt", er schenkte Rebecca ein warmes Lächeln. Sie schluckte schwer, straffte sich dann aber und wischte sich mit dem Taschentuch die wenigen Tränen vom Gesicht. Als Scott zurück kam, sah Rebecca aus, als wäre nichts gewesen.
Scott ließ sich verkehrt herum auf die Bank unter uns sinken, zog die Beine in den Schneidersitz und sah zu uns hoch: "Also Tante Loreen meint, dass die Mädchen nach Altersklassen antreten. Die jüngsten zuerst und die ältesten zuletzt".
"Das kommt uns ja ganz entgegen", überlegte ich. Scott nickte: "Ja, ich hab auf Loreens Teilnehmerliste nach gesehen, die Mädchen sind acht, zehn und dreizehn. Sie dürften also nie zur gleichen Zeit bei den Geräten sein".
Benjamin nickte: "Das ist wirklich gut".
"Und wann ist Louisa dran?", erkundigte Rebecca sich. "Ich glaub so gegen zwölf, also nach Alisha und Sarah aber noch vor Kira".
Ich sah auf die Uhr, die jüngste der Flemming Schwester war Alisha mit acht Jahren. Die jüngste Turnierteilnehmerin war sechs Jahre alt, demnach hatten wir noch etwas Zeit, ehe die Flemming Schwestern hier überhaupt eintreffen würden.
Wir vertrieben uns die Zeit bis zur Eröffnung des Wettkampfes mit etwas sinnvollen, naja jedenfalls fast. Während Rebecca mich also in Englisch abfragte, warfen Scott und Benjamin immer wieder unqualifizierte Kommentare ein.
"Der erste "Deine Mutter" Witz ist auch von Shakespeare", warf Scott ein, gerade als ich versuchte den groben Inhalt von Hamlet wieder zu geben.
"Sei leise Scott, das hier ist wichtig", fauchte Rebecca.
Doch Scott dachte gar nicht daran aufzuhören: "Hamlet wurde auch ins klingonische übersetzt", fügte er hinzu. Ich seufzte: "Super, wahrscheinlich ist das das einzige woran ich mich in dem Test erinnern werde".
Benjamin lachte und setzte dann ein scheinheiliges Lächeln auf: "Wusstest du auch, dass Shakespeare vermutlich ein Kiffer war?".
"Nein aber jetzt werd ich es nie wieder vergessen", murrte ich und streckte mich, wobei ich bei Weitem keine so gute Figur machte, wie die Mädchen unten auf den Matten.
"Vielleicht kann ich ja darüber den Test schreiben", überlegte ich und fasste meine Haare in einem unordentlichen Knoten am Hinterkopf zusammen.
"Ja, wenn du nicht weißt, was Hamlet im ersten Akt in Szene zwei in der vierten Zeile sagt, dann drehst du das Blatt um und schreibst einfach was auf die Rückseite", flachste Scott, worauf Rebecca die Augen verdrehte.
Lachend formulierte Benjamin: "Lieber Mr Wittly, leider hab ich nicht vernünftig gelernt aber dank meiner wunderbaren, charmanten und gut aussehenden Freunde, weiß ich, dass Shakespeare vermutlich ein Kiffer war, was seine literarischen Ergüsse erklären würde. Des Weiteren war er seiner Zeit sehr voraus, da-", seine Stimme brach abrupt.
"Da er als Schöpfer der Deine Mutter Witze betrachtet werden kann", beendete Scott meinen fiktiven Englischaufsatz. Doch Benjamin reagierte nicht, den Blick auf die Tür gerichtet. In dem Moment spürte ich es auch, ein Kribbeln im Nacken, ein leichtes Ziehen in der Magengegend. Ich streckte meine Hand ein Stück vor mir aus, um sie besser sehen zu können. Das vertraute Glimmen war wieder da und mit ihm auch der Geistermodus.
"Sie sind da, oder?", fragte ich und versuchte mich nicht allzu auffällig in der Halle umzusehen.
"Die Flemmings?", hakte Rebecca überflüssigerweise nach. Synchron nickten Benjamin und ich.
"Vermutlich sind sie in den Umkleiden oder so, schließlich haben sie noch eine knappe viertel Stunde bis der Wettkampf wirklich beginnt", mutmaßte Scott, verrenkte aber dennoch seinen Hals.
Benjamin ließ sich zurück auf die Bank sinken:"Dann müssen wir wohl warten".

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