Ghosts of Eleo

By FraeuleinJung

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"Abigail du kannst sehen", so hatte Abbys Großmutter es einige Stunden vor ihrem Tod ausgedrückt. Seit dem A... More

1.Kapitel
2.Kapitel
3.Kapitel
4.Kapitel
5.Kapitel
6.Kapitel
7.Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
11. Kapitel
12.Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15.Kapitel
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17.Kapitel
18. Kapitel
19.Kapitel
20.Kapitel
21.Kapitel
22.Kapitel
23.Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
Epilog

10.Kapitel

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By FraeuleinJung

Eigentlich sollte man im Alter von siebzehn Jahren die Reife besitzen, warten zu können. Aber eigentlich müsste gälisch auch sowas wie meine zweite Muttersprache sein. Von daher war es vollkommen in Ordnung, dass meine Ungeduld mich überwältigt hatte und ich mir in Folge dessen mein Fahrrad geschnappt hatte und durch den strömenden Regen zu dem kleinen Haus am Rande der Innenstadt von Howth. Doch auch hier hatte ich kein Glück. Hinter den Fenstern brannte kein Licht und es drangen auch keine dröhnenden Beats nach draußen.

Trotzdem klingelte ich an der Tür. Nichts geschah. Niemand öffnete. Ich seufzte und strich mir das klatschnasse Haar aus der Stirn. Meine Sweatshirtjacke war komplett durchnässt, die Bluse darunter fühlte sich nicht besser an.

Es wäre vernünftig gewesen jetzt einfach nach Hause zu fahren. Doch ihne darüber nachzudenken schwang ich mich wieder auf mein Fahrrad und trat in die Pedale.

Wenig später bremste ich vor einem pittoresken Altbau am Ende einer der Siedlungen im Süden von Howth.

Das letzte Mal war ich hier in der siebten Klasse gewesen, allerdings zusammen mit Rebecca.

Ich lehnte mein Rad an dem schmiede eisernem Gartenzaun an und schwang mich mit einem Satz darüber. Der Kiesweg der zur Vortreppe führte knirschte unter meinen Füßen. Alles sah ihr nahezu perfekt aus. In dem Brunnen neben der Treppe befand sich nicht die kleinste Alge, die Buchsbüsche waren perfekt gestutzt und die Blumen streckten sich trotz des enormen Regens immer noch gerade gen Himmel.

Kopfschüttelnd sprang ich die Stufen hoch und betätigte die Klingel, über der ein aufwendig gestaltetes Namensschild hing, auf das in schnörkeliger Schrift der Name Hale geprägt war.

Ich war noch ganz in die Betrachtung des filigranen Schildes vertieft, dass ich kaum bemerkt hatte, das Anabel mir die Tür geöffnet hatte. Erst ein knackendes Geräusch holte mich in die Realität zurück.

"Äh hi Anabel".

Ausdruckslos sah Anabel mich an. "Was gibt's?", begrüßte sie mich desinteressiert und biss Geräuschvoll von einem Cracker ab. (Bestimmt kein normaler Cracker, sondern irgendwas aus Dinkel oder Dreikorn. Also total gesund.)

"Ist Benjamin da?".

Anabel ließ sich Zeit zu antworten. Während sie mich taxierte biss sie ein weiteres Mal von ihrem Cracker ab.

"Du bist nass", sagte sie dann und ein beinahe höhnisches Grinsen umspielte ihre makellos perfekt geschminkten Lippen.

"Ich weiß und stell dir vor erst regnet", schoss ich zurück. "Also ist Benjamin nun da oder nicht?".

"So schon mal gar nicht", erklärte sie spitz und wollte mir schon die Tür zu schlagen als eine weitere Stimme erklang.

"Abby bist du das?".

"Jaaa", rief ich, wobei meine Lippen sich zu einem Lächeln verzogen. Anabel sah aus als hätte sie in eine Zitrone gebissen. Sie gab ein genervtes Geräusch von sich, was fast so unmelodisch klang wie das Geräusch, dass ihr Cracker beim Kauen machte, und verdrehte genervt die Augen. Unterdessen hatte Benjamin sie ein Stück zur Seite geschoben und sich neben sie in den Türrahmen gedrängt.

"Hi Abby", er musterte mich amüsiert. "Willst du reinkommen?".

"Ich dachte das werd ich hier nie gefragt", erwiderte ich an ihn gewandt, worauf er grinste und Anabel schnaubend davon rauschte. Erleichtert trat ich ein. Erst jetzt realisierte ich, wie nass ich wirklich war. Ich sah aus als wäre ich gerade Wegs der Irischen See entstiegen.

"Ist die heute gut gelaunt", kopfschüttelnd sah Benjamin seiner Cousine hinter her.

"Noch ein Stückchen besser und sie würde Feuer spucken", erwiderte ich leise und schlüpfte aus meinen Schuhen.

"Warum bist du überhaupt hier?", Benjamin kratzte sich am Hinterkopf und sah zu wie ich mich aus meiner dünnen Jacke pellte.

"Ich hab da so eine Frage", formulierte ich mein Anliegen sehr vage.

"Und die wäre?".

Prüfend sah ich mich in dem offen gestalteten Eingangsbereich um, Anabel könnte gut und gerne im nächsten Raum stehen und uns belauschen. Also flüsterte ich nur: "Das ist so ein Du-weißt-schon-was-Ding".

Wissend nickte Benjamin und machte eine Bewegung in Richtung Treppe: "Na dann komm mal mit".

Über die schlanke Wendeltreppe kamen wir in den Flur des ersten Stocks. Auch dieser war weitläufig und auffällig hell gestaltet. Das viele Weiß erinnerte mich irgendwie mehr an ein Krankenhaus als an ein gemütliches Wohnhaus. Dabei sah das Haus von außen doch so anheimelnd aus.

"Irgendwie fühl ich mich hier wie auf einem Krankenhausflur", bemerkte ich und musterte die weiße Raufasertapete, an welcher nur ein einziges Bild hing. Es zeigte die vielleicht zehn Jährige Anabel pirouettendrehend auf einer ansonsten leeren Bühne.

"Besser das Krankenhaus als das Wohnzimmer", entgegnete Benjamin fast schon grimmig.

"Warum das?".

"Da starrte dir Anabel in sämtlichen Tutus entgegen und wo kein Bild von ihren Auftritten hängt, da sind irgendwelche Urkunden und Medaillien zu sehen".

Ich verzog das Gesicht: "Ist ja eklig". Wir gingen an einer Tür vorbei, die mit mehreren bunten Stickern beklebt war. In der Mitte hing ein Schild, auf das mit Edding : "Angelina - Keep Out", geschmiert war.

"Muss schwer für Angelina sein", gab ich zu bedenken.

Benjamin zuckte die Schultern: "Leeny und Onkel Peter sind die normalsten in diesem Haus. Ich glaub Tante Molly vergisst manchmal, dass sie noch eine andere Tochter hat".

Benjamin hielt mir eine Tür auf. Ich betrat ein mikroskopisches Zimmer in dem gerade so eine ausgezogene Schlafcouch und zwei kleine Koffer Platz hatten. Auf einem der kleinen Tischchen stapelten sich Schulbücher und über dem Bücherarsenal lagen mehrere Buntstiftzeichnungen verteilt.

"Ähm setzt dich doch", bat er und deutete auf die Schlafcouch. Aus Rücksicht auf die trockenen Laken nahm ich auf den Boden davor Platz. Benjamin setzte sich mir gegenüber und schob nebenbei den rosa Koffer bei Seite aus dem mehrere bunt bedruckte Strumpfhosen ragten. Auf meinen Blick erklärte er: "Die sind von Jamie".

Ich nickte: "Ach echt? Ich dachte du kommst demnächst mit Herzchen-Strumpfhosen zur Schule".

Er verdrehte die Augen, ging aber nicht näher darauf ein: "Also was ist so dringend, dass du mitten im Regen hier her fährst".

"Also erst mal", ich wühlte in meiner Hosentasche.

"Hab ich versucht dich anzurufen. So ein oder zwei Mal-".

"Sorry, hab mein Handy gestern Abend im Haus liegen lassen. Also, was willst du wissen?".

Ich pfriemelte die Kette hervor und legte sie auf den Boden zwischen uns.

"Kannst du mir sagen, ob das Teil irgend eine Bedeutung hat?", erwartungsvoll sah ich zu ihm hoch.

"Ich würde sagen, das ist eine Kette".

Ich verdrehte die Augen: "So weit war ich auch schon. Die Kette ist ein Erbstück meine Grandma und in letzter Zeit taucht sie überall auf, obwohl ich mir ziemlich sicher bin, dass sie in einem Kästchen am Boden meines Kleiderschrankes liegen sollte.".

Ich sah wie etwas wie Erkenntnis in Benjamins Augen aufblitzte.

"Darf ich?"

"Nur zu", antwortete ich und beobachtete wie Benjamin die Hand nach dem Anhänger austreckte. Auch er zuckte bei der Berührung mit dem Silber kurz zurück, als habe er einen Schlag bekommen, schloss danach die Hand aber um den Anhänger und starrte stur darauf.

Okaaaaay... das sah zugegebender Maßen mehr als skurril aus. Ein fast erwachsener, der wie ein paralysiertes Kaninchen auf ein Stückchen Silber starrte.

Die Sekunden verstrichen und nichts geschah. Hatte ich irgendwas erwartet? Vermutlich.

"Also?", setzte ich leise an und fuchtelte mit der Hand vor Benjamins Gesicht herum. Endlich löste er sich aus seiner Starre.

"Konnte deine Grandma Geister sehen?", fragte er anstelle einer Antwort. Ich zuckte mit den Schultern:" Weiß nicht. Ich denke mal. Sie hat mich sozusagen vor ihrem Tod... gewarnt".

"Und die Kette ist ganz bestimmt von ihr?".

Ich nickte: "Ich hab sie die früher tragen sehen. Aber was tut das hier zur Sache?".

"Also wenn das Ding wirklich ein Erbstück deiner Familie ist, das ist es doch, oder?".

Ungeduldig schnaubte ich: "Auf der Rückseite steht sogar der Familienname, von daher sollte die Kette wirklich ein Erbstück sein".

"Dann ist der Anhänger ein Gegenstand mit dem du Geister sozusagen beschwören kannst", erklärte Benjamin sehr leise. Vermutlich aus Angst belauscht zu werden.

"Beschwören?", hakte ich in dem Versuch nach meine Euphorie etwas zu bändigen.

"Beschwören, herrufen, beordern, einladen", vorsichtig legte er den Anhänger wieder zurück auf den Teppich vor uns und deutete mit den Zeigefinger auf die schwache Gravur: "Innleach", las er und sah mich auffordernd an.

"Einladen?", riet ich und vertraute dabei auf mein leider viel zu spärliches Gälisch.

"Genau. der Anhänger gehört zu den Artefakten die in jeder Familie von Generation zu Generation weiter gereicht werden und es uns ermöglichen Geister aus ihrer Zwischenwelt in unsere zu hohlen. Sie praktisch einzuladen".

Mein Herz schlug heftig gegen meine Brust und ich spürte wie sich vor Aufregung ein Hauch rosa in meine Wagen schlich: "Heißt das, angenommen ich müsste Henry sprechen, dann könnte ich ihn hiermit", ich hielt den Anhänger hoch und ignorierte das Ziepen in meinen Fingern.

"Sozusagen herbestellen".

Benjamins nicken ließ mir einen riesigen Stein vom Herzen fallen, von dessen Existenz ich nicht wirklich gewusst hatte.

"Du musst es nur richtig anstellen", fügte er hinzu.

"Also bin ich nicht davon abhängig, darauf zu warten, dass er es irgendwie hier her schafft".

"Genau".

Ich hatte zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Das Rätsel um den Anhänger löste sich und ich hatte eine Möglichkeit gefunden mit Henry zu sprechen.

"Kann es sein, dass du mit Henry reden musst?".

Ich grinste: "Scharf kombiniert, Sherlock."

Er lachte herzlich: "Also ja?".

"Die Aufgabe, sich zu entschuldigen gestaltet sich schwieriger als gedacht. Ich weiß ja nicht, wofür er sich entschuldigen muss. Weiß nicht was er gesagt hat, wofür er um Vergebung bittet. Im Grunde muss er den Brief selbst aufsetzten. Ich kann ihn nur für ihn aufschreiben".

"Du hast es erfasst".

Verwirrt sah ich Benjamin an: "Du wusstest, dass es so wie wir es versucht haben, nicht funktionieren würde".

Betreten schwieg er und erklärte dann: "Ich dachte es wäre besser, du fändest selbst heraus wo bei unserem Job die Prioritäten liegen".

Einen Moment lang wollte ich ihn sauer irgendwas an den Kopf werfen, sah dann aber ein, dass er im Grunde recht hatte.

"Ist schon gut", erwiderte ich und lasse das filigrane Silberkettchen durch meine Finger gleiten. Benjamin lächelte und eine Weile sagte niemand etwas. Manchmal war es mir unangenehm zu schweigen. Besonders mit Menschen, die ich nicht besonders gut oder besonders lange kannte. Aber diesmal war es vollkommen in Ordnung.

Erst die Musik aus dem Nebenzimmer ließ die Stille, die in dem winzigen Gästezimmer herrschte, zerbrechen. Man konnte die papierdünne Wand beinahe wackeln sehen.

Bei dem ersten der hämmernden Beats zuckte ich erschrocken zusammen, was Benjamin wiederum erneut zum Lachen brachte.

"Das ist nicht Anabel, oder?", stimmte ich in sein Gelächter ein.

"Nope - Aber warte kurz, in weniger als drei Sekunden wird entweder Molly oder Anabel sich beschweren".

Und tatsächlich kaum hatte Benjamin davon gesprochen hörte man erst ein: "Leeny, mach das bitte leiser" und als die Musik darauf nur unwesentlich leiser gedreht wurde: "Angelina - mach den Scheiß aus".

Ich verkniff mir ein Grinsen. Ich verstand beide Seiten. Einerseits hörte ich selbst gern Musik und zwar laut. Aber andererseits, wusste ich wie ätzend es war, wenn irgendjemand Musik aufdrehte, die man überhaupt nicht mochte.

"Ich wusste gar nicht, dass Anabel Fäkalsprache benutzt", kam es mir süffisant über die Lippen.

Benjamin verdrehte die Augen: "Scheinheiliges Biest".

"Vor allem was Leeny angeht", er nickte in Richtung der angrenzenden Wand. Die Musik wurde immer leiser und ein fast noch leiseres Seufzen drang zu uns hinüber.

"Tanzt sie auch?", wollte ich wissen.

"Gezwungenermaßen", Benjamin zuckte mit den Schultern.

"Tante Molly schickt sie zwei Mal die Woche zum Ballet. Früher war es nur einmal die Woche und als sie dann mit Hip Hop anfangen wollte, hat sie als Ausgleich darauf bestanden".

"Verrückt", murmelte ich. Das war als würde Mum Danny zum Windsurfen zwingen, nur weil ich mich vor Ewigkeiten dazu entschieden hatte.

"Ich glaub auf Angelinas Meinung wird hier nur sehr wenig Rücksicht genommen ". Die donnernden Tecno Beats von drüben gingen in etwas anderes, lockereres und weniger aggressives.

"Kommt drauf an worum es geht. Wenn Anabel hören will, wie toll sie aussieht, dann reicht ihre Schwester ihr dazu aus".

Ich stutzte: "Und das bekommt sie auch zu hören?". Wenn ich in Angelinas Position wäre, würde ich mir das nicht gefallen lassen.

Benjamin lachte freudlos: "Nicht mehr. Sie hat mittlerweile ihren eigenen Kopf."

"Wenigstens etwas".

*

Erst als es kurz vor vier war beschloss ich, dass es Zeit war zu gehen. Hinter Benjamin lief ich den Flur mit Krankenhausflair entlang. Vor der Tür mit den Stickern lag nun ein paar abgewetzter Spitzenschuhe. Unwillkürlich breitete sich ein bitterer Geschmack auf meiner Zunge aus. Das Mädchen hatte es definitiv nicht leicht. Anabel begegnete ich Gott sei Dank nicht mehr. Vermutlich hätte ich ihr dann noch irgendetwas an den Kopf geschmissen, was sich im Nachhinein als unklug erweisen würde.

Draußen regnete es immer noch. Feiner Nieselregen benetzte Gesicht und Hände. Langsam trottete ich den geschwungenen Kiesweg entlang. Die Tulpen reckten immer noch tapfer ihre Köpfchen in die Höhe, nur die Petunien in den ausladenden Blumenschalen sahen niedergeschlagen aus. Diesmal machte ich mir die Mühe, das altmodische Riegelsystem zu öffnen, welches das Gartentor verschloss. Mein Fahrrad lehnte immer noch an der Stelle an der ich es angelehnt hatte. Um ehrlich zu sein hatte ich auch nicht erwartet, dass es jemand klaute - wer wollte schon ein Fahrrad haben, dass streng genommen nicht mal mir gehörte, sondern offiziell immer noch der leicht angerostete Drahtesel meiner Grandma war.

Im Vergleich zu vorhin, war der Rückweg nahezu ein Spaziergang. Ich beeilte mich nicht sonderlich und so kam es, dass meine Haare, die anfingen sich leicht zu kreuseln und sich das Wasser sich in den gerade getrockneten Stoff der Sweatshirtjacke zog.

Als ich dann schließlich bei uns auf der Vortreppe stand, fühlte ich mich wie ein übergossener Pudel.

Kaum hatte ich den Schlüssel im Schloss gedreht, hörte ich bereits Mum: "Junge Dame!", was mich dazu brachte den Schlüssel schlagartig loszulassen als wäre er eine heiße Kartoffel.

Da Mum mittlerweile weit über vierzig war, konnte ich ausschließen, dass sie ein Selbstgespräch führte und da Danny keinerlei feminine Züge aufwies, musste sie wohl mich meinen. Ich hasste diesen Tonfall. Er signalisierte entweder, dass ich irgendwo Chaos hinter lassen hatte oder, dass ich irgendwas total vergessen hatte.

Gut in meinem Zimmer sah es aus, als wäre ein Tornado durch den Kleiderschrank und über den Schreibtisch gefegt aber normalerweise war der Zustand meines Zimmers nicht der Auslöser für den Tonfall-des-Todes. Und die Küche hatten wir heute Morgen weites gehend aufgeräumt.

Das musste also heißen, ich hatte irgendetwas vergessen. Und da Mum schon angefangen hatte, als ich das Haus noch nicht einmal betreten hatte, musste es etwas - für sie- irre wichtiges sein.

Mir wollte nur nicht einfallen, was es war. Deutlich zögerlicher ergriff ich wieder den Schlüssel, wobei mein Herzschlag sich beschleunigte, je weiter ich den Schlüssel im Schloss drehte. Trotzdem schien es kurzzeitig auszusetzen, als das Schloss ein klackendes Geräusch von sich gab und die Tür aufsprang, einen Schlag auszusetzen.

Aus Reflex kniff ich die Augen zu. Es musste lächerlich aus sehen, wie ich dort stand. Krampfhaft geschlossene Augen, mit krausem Haar und vor Regen schwerer Jacke. Doch Mum sagte nichts. Vor meinem Geistigen Auge sah ich sie vor mir.

Noch gezeichnet von der Nacht. In schlabbrigen Klamotten, ein Vogelnest auf dem Kopf und im Gesicht ein Ausdruck der den Müden und Verkaterten vorbehalten war. Mit verschränkten Armen und dem Todes-Blick (der Trotz des Kater-Gesichts seine Wirkung nicht einbüßte), bereit mir eine Predigt zu halten.

Als ich den Moment, in dem ich die Augen öffnen musste, so lange wie möglich hinaus gezögert hatte, spähte ich vorsichtigen die Richtung in der ich Mum vermutete. Und tatsächlich stand sie dort wo ich sie vermutet hatte, die Arme vor der Brust verschränkt und den Todes-Blick im Gesicht. Allerdings sah sie ansonsten überhaupt nicht so aus, wie ich sie mir vorgestellt hatte. So ganz und gar nicht

Sie trug keine Jogginghose, sondern die neue Jeans und eine weinrote Bluse, die ich noch nie an ihr gesehen hatte. Mehrere Schichten an Foundation und Concealer hatten ihr Kater-Gesicht weggeputzt, ihre Haare flossen in eleganten Wellen ihren Rücken hinunter und der rote Lippenstift sprach seine ganz eigene Sprache.

Trotz ihres Aufzugs, bei dem ich zwei Mal hin sehen musste, fiel mir absolut nicht ein, was ich vergessen hatte. Hatte Mum ein Date? Aber selbst wenn, was hatte ich damit zu tun?

Anstelle einer Begrüßung, sah ich sie abschätzig an und wappnete mich innerlich schon einmal auf die Predigt.

"Junge Dame! Kann es sein, dass du was vergessen hast", begann Mum erneut in eisigem Tonfall.

Scharf sog ich die Luft ein: "Ähhm, so weit war ich auch schon".

Ich schob mich ins Haus und schloss die Tür hinter mir leise.

"Guckst du denn nie auf den Kalender?", Mums Augen wurden gefährlich schmal. Ich presste die Lippen zusammen und schluckte den bissigen Kommentar hinunter.

"Du kennst die Antwort, also was hab ich vergessen?", die Frage klang weniger versöhnlich als ich geplant hatte. Mum schnaubte.

"Tante Caren!", waren die zwei Worte, die sie über die vor Wut zitternden Lippen brachte.

"Tante Caren,...", gab ich vollkommen ahnungslos zurück. Mum fiel es scheinbar wirklich schwer die Beherrschung zu behalten.

"Welcher Tag ist heute?".

"Sams-", endlich war der Groschen gefallen.

Genervt seufze Mum: "Los geh dich fertig machen, so nehm ich dich nicht mit".

Ich ließ die Jacke schwerfällig von meinen Schultern gleiten und hinterließ eine feuchte, erdige Spur auf der Treppe. Mum ermahnte mich nicht einmal, meine Schuhe auszuziehen.

Tante Carens Geburtstagsfeier war mir vollkommen entfallen. Sie war die ältere Schwester meiner Mum.
Während Mum damals mit Dad von Dublin nach Howth gezogen war, war Caren dortgeblieben.
Hatte sich (laut Mum) in ihrem Unternehmen, dass einer der größten Engergiesparlampenvertriebe Europas war, hochgevögelt, pardon herauf gearbeitet.
Einen zehn Jahre älteren Unternehmensberater geheiratet und mit diesem die Zwillinge Olive und Carla gezeugt, die den meisten Teil des Jahres in einem Internat in Schottland verbrachten (und nein, es war nicht Hogwarts, das hatte ich mir bereits versichern lassen und dafür komische Blicke kassiert).

Kurz um, in den Augen meiner Großmutter mütterlicherseits war Mum die Versagerin und Caren die, die den Erfolg hatte und auf dem Heiratsmarkt die bessere Partie gemacht hatte. Dass Mum sich selbstständig gemacht hatte und sich wirklich von unten nach fast oben gearbeitet hatte (wirklich gearbeitet und nichts anderes), ihre große Liebe geheiratet hatte und mit ihr durch mehr als schwere Zeiten gegangen war, zählte für Grandma Victoria nicht. Trotzdem war Mum nicht das schwarze Schaf der Familie, denn dafür gab es immer noch Tante Isabel

Die Geburtstage der Familie Downing stellten für Mum immer auf eine Zerreißprobe der besonderen Art. Denn da war nicht nur unsere Familie, sondern was fast noch schlimmer war als der dauerhaft tadelnde Blick von Grandma Victoria, waren die ganzen schicken und exklusiven Freunde der einzelnen Geburtstagskinder. Alte einflussreiche Damen, berühmte Kriegsveteranen, junge Desinger und erfolgreiche Juristen. Eigentlich hielt sich dort alles auf, was man als die Upperclass Dublins bezeichnen konnte. Und dann waren da noch wir. Die Dorftrottel und die Rebellin.

Etwas ratlos sah ich in meinen Kleiderschrank. Es war egal, was ich anziehen würde, so oder so wäre ich underdressed. Ich könnte in meinem Kommunionskleid auflaufen (mal angenommen es würde noch passen) und würde trotzdem noch für zu schlecht angezogen befunden werden.

Ich griff nach einer Bluse, die noch zu den schickeren Sachen die ich besaß gehörte und nahm den schmal geschnittenen Blazer (ich war stolz auf mich, dass ich überhaupt wusste, dass es Blazer hieß und nicht einfach Jacke). Ich tauschte meine klamme Hose gegen eine, die noch sauber schien und beließ es dabei.

"Mum sagt du sollst dich beeilen", Danny tauchte in der Tür auf. Er hatte seinen schlabbrigen Pullover gegen ein Hemd eingetauscht, das höchste der Gefühle.

"Wann hast du dir das letzte Mal die Haare gekämmt?", wollte ich wissen, während ich selbst mit einigen verhedderten Strähnen kämpfte.

Danny zuckte mit den Schultern und fuhr sich durch die kurz geschnittenen Haare und murmelte: "Nicht nötig, Beauty Queen", in seinen nicht vorhandenen Bart.

Erwachsen wie ich war, streckte ich ihm die Zunge raus und griff in die Kiste mit der Schminke auf meinem Schreibtisch.

"Was genau ist das eigentlich?", fragte Danny und verzog das Gesicht während ich mit der Wimpernzange meine Wimpern malträtierte.

"Eine Wimpernzange".
"Und was macht man damit?".
Belustigt seufzte ich: "Siehst du doch".Auch er grinste: "Genau deswegen frag ich ja. Was ist der Sinn davon?". Theatralisch schüttelte ich den Kopf: "Jungs".

"Danny? Abigail? Seid ihr so weit?", drang es vom Fuße der Treppe hinauf. Mit Blick auf mich erwiderte Danny: "Sofoooooort!", wobei er mir bedeutete schneller zu machen. Zähneknirschend legte ich den Lippenstift weg. Dann könnte ich mich halt nicht wie Mum hinter einer schützenden Schicht Make-up verstecken und müsste die Sarkasmus-Keule schwingen.

"Na endlich", Mum stand schon an der Tür. Die Füße in hohe Schuhe gequetscht und den Mantel über dem Arm.

"Wir sind vermutlich eh schon zu spät", erklärte Danny und schnürte seine Schuhe als habe er alle Zeit der Welt. Ungeduldig schnalzte Mum mit der Zunge. Hastig packte ich meine alten Chucks, nur Mums missbilligender Blick, ließ mich nach anderen, "passenderen" Schuhen greifen, bei denen ich schon in zwei Minuten bereute haben würde sie angezogen zu haben. 

Als Danny und ich dann vor Mum standen, musterte sie uns erneut, fummelte An Dannys Kragen herum, richtete irgendetwas an meinen Haaren, und zubbelte an ihrer eigenen Kette herum. 

"Mum ist gut", wehrte ich sie ab. Sei seufzte: "Na dann, auf in die Schlacht", sagte sie mehr zu sich selbst als zu uns. Mit einer schwungvollen Bewegung öffnete sie die Haustür und ließ uns den Vorrang.

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Okay, ich melde mich auch mal. Das ist schon Kapitel zehn und ich freu mich wirklich über jeden einzelen Leser wie irre. Sollte nur mal gesagt werden. Also Danke :D


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