Ghosts of Eleo

By FraeuleinJung

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"Abigail du kannst sehen", so hatte Abbys Großmutter es einige Stunden vor ihrem Tod ausgedrückt. Seit dem A... More

1.Kapitel
3.Kapitel
4.Kapitel
5.Kapitel
6.Kapitel
7.Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10.Kapitel
11. Kapitel
12.Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
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16.Kapitel
17.Kapitel
18. Kapitel
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21.Kapitel
22.Kapitel
23.Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
Epilog

2.Kapitel

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By FraeuleinJung

How i felt uncomfortable as fuck.

Alles in Ordnung? Die Frage hallte in meinem Kopf nach. Ich wollte mich aufrichten, wieder auf meinen eigenen Füßen stehen. Doch ich konnte mich nicht von Anblick der Augen des Fremden lösen.

Graue Augen. Sturmgrau. Gerade so als würde der Sturm wirklich in ihnen toben, als würden sich die silber - graue Farben unaufhörlich bewegen, herumwirbeln und ständig neue Schattierungen und Muster bilden. Augen wie ich sie sah, wenn ich im Geister-Blick-Modus (wie Scott es liebevoll nannte) meinen kleinen Bruder Danny oder mich selbst im Spiegel betrachtete.

Mit einem Hauch Verwirrung schob der Fremde mich vorsichtig von sich.

"Alles klar bei dir?", wiederholte er sich. Seine Stimme war dunkel und rau, was mir einen Schauer über den Rücken laufen ließ. Ob aus Sympathie oder Angst, wusste ich damals nicht.

Mit einem Mal kehrte ein Teil meiner Besinnung wieder und mir wurde klar, was ich hier gerade tat. Ich rappelte mich auf, ließ von dem Jungen ab und lehnte mich gegen die Mauer des Hauses, vor dem wir standen.

"Nein äh ich meine ja, natürlich", ich schüttelte leicht meinen Kopf. Kniff die Augen zusammen, um den Geister-Modus abzulegen. Trotzdem zitterte ich immer noch und vor meinem inneren Auge vermischten sich die sonderbaren Augen mit dem Bild von Henry Flemming.

Keiner von uns hatte Henry im Krankenhaus gesehen, doch es war klar, dass er nach seinem Motorradunfall übel zugerichtet hatte sein müssen. Trotzdem hatte die riesige Wunde, die sich von seinem linken Ohr bis über den Hals zog, mehr als überrascht. Genauso wie der mehr als deformierte Arm und die blutdurchtränkte Hose.

"Ich hab nur...", nuschelte ich undeutlich und zwang mich, mich zu fokussieren, zu konzentrieren. Doch als ich die Augen kurz verstohlen öffnete, um prüfend auf meine Hände zu spähen, sah ich, dass von ihnen immer noch das fahle, silbrige Licht ausging.

Es war als würde ich den Blick des Fremden auf meiner Haut spüren, trotz der zusammen gekniffenen Augen. Verdammt, ich machte mich hier gerade wirklich unglaublich zum Deppen!

Gut Abby, Ruhe bewahren, in Gedanken bis zehn zählen und die Möglichkeiten überdenken.

Möglichkeit eins: Wegrennen, so wie vorhin-

Das fiel prinzipiell schon einmal weg.

Möglichkeit zwei: Zu lügen mir sei einfach nur schlecht, war da schon besser.

Allerdings, wenn der Junge vor mir auch nur eine leise Ahnung davon hatte, wer er war und wer oder was demnach ich war, fiel diese Lüge auch raus.

Also blieb mir nur Möglichkeit drei: Cool bleiben und auf ein Wunder hoffen, wie ein Erdbeben oder einen Tsunami (Ja genau, ein Tsunami in Howth), das mir ein bizarres Gespräch ersparen würde.

Oh, ich hasste diese Alternative. So sehr, dass ich beinahe erwog, doch Möglichkeit eins in Betracht zu ziehen.

"Du hast nur?", fragte der Fremde. Gegen die Mauer gelehnt schlug ich die Augen auf. Ein Stein fiel mir vom Herzen. Der Geister-Modus war verschwunden. Gott sei Dank.

"Ich hab nur... egal". Jetzt wo die Panik verschwunden war, wurde mir bewusst wie gut der Junge überhaupt aussah. Kurze dunkle Locken, hohe Wangenknochen und seine Augen waren wohl auch im Normalzustand grau.

Fragend blickte er mich an, sagte aber nichts. Ich fühlte mich unwohl. Diese Situation war bizarrer als alles was ich bereits erlebt hatte ( und es gab eine ganze Menge seltsamer Momente in meinem Leben).

"Ich glaube- ich sollte-", und noch bevor ich erfinden konnte, was ich angeblich tun sollte, hörte ich eine zu vertraute Stimme meinen Namen rufen.

"Abby? Bist du hier?". Rebeccas klare Stimme unterbrach die unangenehme Stille. Ein Wunder war geschehen, in Form von meiner besten Freundin und nicht in der eines Tsunamis (was vermutlich auch besser für uns alle war).

"Abigail Eleo, das hier ist alles andere als lustig.", schrie sie etwas lauter.

"Ich bin hier!", rief ich und musste ein kleines Grinsen unterdrücken. Ich konnte mir ziemlich gut vorstellen, wie sie versucht hatte mir hinter her zu rennen, doch wegen ihrer miesen Kondition nach wenigen Metern aufgegeben hatte.

"Na endlich", schnaufend erschien Rebecca im gelblichen Lichtkegel der Laterne, am anderen Ende der Gasse. Es war als wäre der ganze Alkohol aus ihrem Blut verschwunden, denn sie erschien wirklich sauer.

"Wenn du nicht mindestens einen Geist gesehen hast oder ein Klobold aus der Toilette gekrochen ist, dann werd ich- werd ich", sie stampfte auf mich zu.

Aus den Augenwinkeln blickte ich verstohlen zu dem Fremden, dessen Mundwinkel auf einer Seite hochgezogen war, genauso wie die eine Augenbraue. Ich hasste es, wenn Menschen das konnten. (Wenn ich es versuchte, dann kam lediglich eine Grimasse heraus - sehr zur Unterhaltung aller Umstehenden.)

"Ich hasse es, dir hinter her zu rennen", maulte Rebecca und kam schwer atmend vor mir zum stehen und bemerkte erst jetzt den fremden Jungen, der mir immer noch gegenüber stand und nuneinige Schritte zur Seite trat um Rebecca Platz zu machen.

"Oh", machte sie.

"Hallo", setzte sie dann der Höflichkeit hinzu, würdigte ihn aber keines zweiten Blickes. Sie war vielmehr damit beschäftigt mich grimmig anzustarren.

"Was zur Hölle sollte das?", motzte sie mich an.

"Ich- ähm. Ich hab Henry gesehen", brachte ich nach mehreren schwächlichen Anläufen heraus, wobei ich versuchte so leise wie möglich zu sprechen, da der fremde Junge immer noch da war. Vermutlich hörte er mich aber trotzdem, da er keine drei Schritte von uns entfernt stand.

Ich sah die Überraschung in Rebeccas Gesicht aufblitzen, sie ließ von mir ab: "Gut, später", beschloss sie und wandte sich dem Fremden zu.

"Also, wie auch immer, ich weiß, dass das hier gerade absolut unhöflich ist aber ich glaube Abby und ich sollten verschwinden".

Der Junge warf mir (und zwar wirklich mir und nicht Beccy, obwohl diese mit ihm redete) einen skeptischen Blick zu. Ich nickte leicht, worauf wieder eine seiner Augenbrauen in die Höhe schnellte.

Bestimmt packte Rebecca mich am Arm und zog mich die Gasse entlang. Fort von dem Fremden, der einsam etwas außerhalb des Lichtkegels stand.

Ich konnte es nicht lassen über die Schulter zurück zu spähen und als ich meinen Kopf kurz drehte, kreuzten unsere Blicke sich und schienen sich für Sekunden in einander zu verhaken. Meine Haut kribbelte und irgendwas in meinem Magen zog sich zusammen als Rebecca und ich fortgingen.

Ich kannte noch nicht einmal seinen Namen.

*

"Du hast wen gesehen?", Scotts Brille rutschte ein Stück nach unten, als wir am Sonntagnachmittag im Wintergarten seiner Familie saßen. Der Regen trommelte gegen die Glaswände des Wintergartens und das Dünengras bog sich in der Ferne unter den heftigen Windböen.

Ich wusste nicht mehr genau, wie ich Samstagabend nach Hause gekommen war. Vermutlich war es Rebecca zu verdanken, denn nach meinen Erlebnissen in dem Toilettenwagen und in der Gasse war ich zu aufgelöst gewesen, um noch irgendeinen klaren Gedanken zu fassen.

"Den Geist von Henry Flemming, Scott, wie oft noch?", erwiderte Rebecca zum dritten Mal.

"Aber- Aber. Henry ist tot", brachte Scott zu Stande.

Ich verdreht die Augen: "Scott, alle Geister sind tot. Sie sind das was von manchen Menschen übrig bleibt, wenn sie sterben."

Scott starrte in seine Tasse, in der sich fast nur noch der Bodensatz seines Tees befand.

"Aber irgendwie...", sagte er wie zu sich selbst. Rebecca strich sich eine der hellen Strähnen hinter die Ohren und setzte an etwas zu sagen.

Doch ungeduldig wie ich war, kam ich ihr zuvor:

"Es kommt dir nur so seltsam vor, weil du ihn kanntest und weil die anderen Geister, von denen ich euch erzählt habe, mindestens vor 1998 gestorben sind".

Scott nickte und schob die Brille wieder an ihre gewöhnliche Position.

Rebecca nahm einen Schluck Tee und griff nach einem der Kekse, die Scotts Großmutter gebacken hatte.

"Und was genau hat er gesagt?", hakte sie nach.

Ich zuckte die Schultern und legte meine kalten Hände um die Porzellantasse, die immer noch etwas Wärme abgab: "Meinen Namen. Mehrmals. Also meinen ganzen Namen und dann-", ich schluckte.

"Dann sagte er, er bräuchte meine Hilfe".

Scott kratzte sich am Hinterkopf: "Hat dich bis jetzt, je jemand um Hilfe gebeten?".

Ich schnaubte: "Da wären die nervige Ava Green, der alte Will bei Stock and Hold und diese arrogante Zicke, die manchmal im Park herum spukt. Das war's ".

Ich nahm einen Schluck aus meiner Tasse: "Ava ist zu sehr damit beschäftigt Kaugummi zu kauen und einen Typen namens Zach anzuschmachten, der vermutlich jetzt Mitte dreißig ist. Der Alte Will war vor seinem Tod vermutlich Dement und redet wirres Zeug und diese Parktussi, ist unglaublich zickig und will nicht einsehen, dass sie vor rund vierzig Jahren in einem Tümpel ertrunken ist".

Mit etwas zu viel Nachdruck stellte ich die Tasse auf die zugehörige Untertasse.

Rebecca runzelte die Stirn: "Sind das alle? Ich dachte es gibt viel mehr?"

Wieder zuckte ich mit den Schultern: "Die einzigen mit denen ich je geredet haben. Die wissen, dass ich sie sehen kann. Hin und wieder".

"Hm, ich dachte immer, es gäbe überall Geister", murmelte Rebecca.

Zaghaft schüttelte ich den Kopf: "Nicht unbedingt".

Merkwürdig, dass wir das Gespräch erst jetzt führten, immerhin sah ich Geister seit Acht Jahren und kannte die beiden fast genauso lange.

"Vielleicht, musst du irgendwas für ihn erledigen. Jemanden umbringen damit er erlöst wird", warf Scott vollkommen zusammenhanglos ein.

Er hatte die letzten paar Sekunden nachdenklich auf seine Teeblätter gestarrt und sich aus Rebeccas und meiner Unterhaltung heraus gehalten. Und offenbar war er der Frage nachgegangen, warum Henrys Geist angeblich meine Hilfe brauchte.

"Scott Finnly!", entrüstet sah Rebecca ihn an.

Ich grinste, denn Scott und ich teilten unsere Leidenschaft für Horrorfilme und dubiose Kriminalfälle. Auch wenn er sich mehr dafür interessierte, was genau irgendwo passierte und das ganze nahezu analytisch betrachtete und ich währenddessen einfach nur die Show genoss.

"Genau, ich soll seine Schülerakte bereinigen, damit er ins Paradies kommt", witzelte ich.

Scott lachte auf: "Oder du musst Mrs. Miller um die Ecke bringen und seine Mathenoten rächen".

Scott und ich brachen in Gelächter aus, während Rebecca mit unbeweglicher Miene zwischen uns saß.

"Leute, Stopp!", unterbrach sie uns schließlich, gerade als ich noch einen noch dümmeren Kommentar bringen wollte.

"Das ist absolut nicht witzig", schalt sie uns und warf uns über den Tisch hinweg je einen bösen Blick zu. Ich biss mir auf die Lippe und sah wie auch Scott sich zusammenreißen musste, um nicht wieder laut zu lachen

"Vielleicht braucht Henry ja wirklich Hilfe.", wieder bekamen wir zwei einen bösen Blick von Rebecca ab.

"Vielleicht gibt es einen Grund, warum Geister existieren", mutmaßte sie dann und schwenkte ihre Teereste in der Tasse.

Scott und ich wechselten einen Blick, der eher skeptisch war.

"Oder Abby muss wirklich nur seine Mathenote rächen", flüsterte er so leise, dass Rebecca es eigentlich nicht hören sollte.

"Scott", schnappte sie wütend und legte ihren angeknabberten Keks auf ihren Untersetzer. Sie hatte ihn also doch gehört.

"Euch beiden sollte das ganze etwas näher gehen, immer hin kanntet ihr ihn", der wütende Tonfall verschwand und machte etwas wie Beschämung und Trauer Platz.

Ich senkte meinen Blick und verhakte meine Finger unter dem Tisch miteinander.

Recht hatte sie schon. Aber was hieß den schon kennen?

Jemanden jeden Tag zu sehen, mal auf Feiern gemeinsam anzustoßen, ab und zu mal zu grüßen und noch seltener im Gälisch Unterricht mit im ratlos über den Aufgaben zu sitzen und sich über die Frisur unserer Lehrerin zu mokieren?

Hieß das kennen? Ich wusste nicht, was er am liebsten aß, wusste nichts über ihn und seine Familie. War das Rebeccas Definition von jemanden gekannt zu haben?

"Tut uns Leid", murmelte Scott, doch Rebecca ging nicht weiter darauf ein.

"Ist dir klar, dass er jetzt hier sein könnte und gehört haben könnte, was du gesagt hast? Wie du über ihn gelacht hast?", ihr mahnender Blick bohrte sich in meinen. Haselnuss traf auf hellblau.

"Hat er aber nicht", erwiderte ich stur, obwohl sich ein unbestimmtes Schuldgefühl in mir breit machte.

"Er war nie hier, also kann er gerade auch unmöglich zu hören", sagte ich und starrte auf die Holzmaserung des Tisches. Ich sah ein, dass Rebecca recht hatte. Sich über tote Menschen war wirklich nicht richtig, oder? Über die Toten nichts schlechtes, hatte meine Grandma zusagen gepflegt.

"Kann er nicht?", Scott schob seine Brille mit dem Zeigefinger wieder ein Stück die Nase hinauf, eine unglaublich vertraute Geste.

Ich schüttelte den Kopf: "Danny und ich glauben, dass Geister nur die Orte betreten können, die sie in ihrem echten Leben auch besucht haben".

Scott nickte langsam: "Also, wenn ich jetzt plötzlich sterben würde und als Geist hier auftauchen würde, dann würde ich niemals von dieser Insel herunter kommen?".

Ich nickte, er hatte das Prinzip verstanden: "Du würdest Irland niemals verlassen können."

Er zog eine Grimasse: "Ist ja eklig".

"Egal, auch wenn Henry uns nicht hören könnte, ihr solltet trotzdem nicht über ihn lachen", warf Rebecca ein, die wohl immer noch ein bisschen sauer war.

"Ist okay, Becs, wir haben's verstanden", abwehrend hob Scott die Hände.

"Wir machen keine Witze mehr über tote Menschen", beschwichtigte er Rebecca, die sich sichtlich zu entspannen schien.

"Also gut, was glaubt ihr, könnte Henry wollen?", zufrieden lehnte sie sich in ihrem Sessel zurück und sah von mir, zu Scott und wieder zurück.

"Keine Ahnung", gab ich zu. Ich wusste es wirklich nicht. Ich hatte keine Ahnung, warum und wobei ich Henry helfen sollte. Warum ich überhaupt irgendeinem Geist helfen sollte. Zugegeben, ich wusste auch nicht, warum mein Bruder und ich die Geister sahen aber sonst niemand.

- Niemand außer diesem einen Jungen, dem ich gestern in der Gasse begegnet war. Vielleicht sollte ich... in meinem Kopf entstand eine Idee, von der ich noch nicht sicher war, ob sie mir gefiel.

Plötzlich kam mir wieder in den Sinn, was ich vergessen hatte Scott und Rebecca zu erzählen.

"Themenwechsel, Becs, erinnerst du dich gestern noch an den Typen?"

"Den bei dem Autoscooter?", überrascht zog Rebecca die Augenbrauen hoch.

"Wie kommst du jetzt darauf, Abby?", auch Scott sah für seine Verhältnisse schon etwas verwirrt aus.

"Nicht der. Aber...Ich hab vergessen euch was zu erzählen", gestand ich und strich mit meinen Fingernägeln leicht über die Tischplatte.

"Und das wäre?", Rebecca griff nach ihrem Keks.

"Der Kerl in den ich gestern hineingelaufen bin, als ich vor Henry weggerannt bin und noch voll im... äh Geister-Modus war... der", vollkommen unwillkürlich fingen meine Fingerspitzen an zu zittern. Ich ballte meine Hände unter dem Tisch zu Fäusten.

"Wisst ihr, wenn ich im Geister-Modus in den Spiegel sehe, oder Danny an sehe, dann sehe ich etwas anderes aus als normal. Und das jetzt so auszusprechen klingt so was von dämlich und abgefahren", ich fuhr mir durch die Haare.

"Komm zum Punkt, Abby", ungeduldig klopfte Scott mit den Fingerknöcheln auf die Holzplatte.

"Meine Augen sind nicht blau, sondern silbrig und es ist als würde sich etwas darin bewegen... wie ein Strudel. Bei Danny auch... und manchmal ist da sowas an meinen Händen, wie Nebel", versuchte ich zu erklären.

Ja definitiv, kaum hatte ich es ausgesprochen, wurde mir klar, wie dämlich das in Wirklichkeit klang.

Doch entgegen meiner Befürchtung, erntete ich keine komischen Blicke von meinen Freunden, sondern aufrichtiges Interesse.

"Und was hat das mit dem Kerl in der Gasse zu tun?", wollte Rebecca lediglich wissen. Ich wollte gerade zu einer Erklärung ansetzen als Scott mich unterbrach: "Lass mich raten, der Typ sah da genauso aus, wie du und Danny. Also von den Augen her. Abigail du kannst den Mund auch wieder zu machen. So überraschend ist das ganze nun auch nicht".

Uups. Hastig klappte ich meinen Mund zu.

"Wie kommst du jetzt darauf?", fragte ich und man hörte das Erstaunen, das in meiner Stimme lag, nur zu deutlich.

"Abb's, so dumm bin ich nun doch nicht", grinste Scott und verschränkte die Arme an seinem Hinterkopf.

"Also glaubst du, weil er die gleichen gruseligen Augen hat wie Danny und du, dass er auch Geister sehen kann und dass er... auch weiß, dass du das gleiche kannst?", vermutete Rebecca und spielte mit dem Griff ihrer Teetasse.

Langsam nickte ich, darauf hatte ich hinaus gewollt.

"Wer ist der Typ überhaupt?", fuhr Rebecca fort.

"Weiß nicht, ich hab nicht mit ihm geredet. Aber hab ihn mit Anabel gesehen".

"Stimmt, jetzt wo du's sagst. Ist das der Typ der mit ihr hinter dem Fischbowlestand stand?".

Wieder nickte ich, während Scott auf einen Punkt irgendwo zwischen Rebecca und mir starrte:

"Ich hab keine Ahnung, von wem ihr redet. Aber vielleicht weiß er mehr, als wir, je nachdem was er schon... sagen wir mal... erlebt hat..."

Interessiert beugte Rebecca sich nach vorne und stützte ihre Ellbogen auf dem Tisch ab: "Meinst du, er weiß mehr über die Geister und dann im Endeffekt auch über Henry".

"Möglich", Scott griff nach einem der Kekse in der Mitte des Tisches.

"Oder aber", er lachte halb herzig "Er hat genauso wenig Ahnung wie wir".

Ich schnaubte: "Vermutlich"

"Ich könnte ja mal mit Anabel reden und sie nach dem Jungen fragen".

Ich stöhnte: "Lieber nichts, erinnerst du dich was immer passiert, sobals man Anabel um irgendetwas bittet?"

"Andererseits, hätten wir dann einen Anhaltspunkt, wer er ist", argumentierte Rebecca.

Scott und ich wechselten einen Blick.

"Rebecca lass das lieber mal, sonst wird sie uns den Rest der Secondary School mit Chiasamen Rezepten belästigen", Scott winkte ab und sah wenig begeistert aus.

Rebecca zog seine Schnute: "Och kommt schon, das würde uns bestimmt einige Fragen beantworten".

"Oder wir lassen das ganze erst einmal ruhen und vielleicht erledigt sich alles dann doch von selbst", schlug ich vor. Es konnte auch gut sein, dass wir diese ganze Geister Sache etwas überbewertet, oder?

Und wieder einmal sollte ich später feststellen, dass ich mich gewaltig getäuscht hatte.

*

"Abby? Bist du das?", rief meine Mum aus dem Wohnzimmer, kaum hatte ich die Hautür hinter mir ins Schloss fallen lassen.

"Jaa", rief ich und streifte meine Schuhe ab und stellte sie in das kleine Schuhregal neben der Treppe, die in die erste Etage führte. Meine Jacke schmiss ich in die Nähe der Kleiderhaken über den Schuhen.

Natürlich traf ich nicht und sie rutschte an den anderen Jacken herunter und fiel schließlich auf Schuhe. Ich war drauf und dran einfach daran vorbei zu gehen als ein:

"Heb die Jacke auf", aus dem Wohnzimmer kam. Ich verdrehte die Augen, das war mal wieder typisch. Irgendwie hatte Mum ihre Augen und vor allem Ohren überall.

"Gibt's irgendwas Neues?".

Ich lehnte mich in den Türrahmen zu unserem kleinen Wohnzimmer. Danny saß auf dem Wohnzimmer, einen Comic in der einen und einen Schokoriegel in der anderen Hand. Murphy, unsere Schäferhündin, lag zu seinen Füßen auf dem flauschigen Teppich.

Mum kniete auf dem Boden in der Mitte des kleinen Raumes.

Um sie herum lagen mehrere dicke Kataloge, die durch die Post-its, die in sie geklebt waren doppelt so dick erschienen, wie normal. Dicht bedruckte Listen und Broschüren auf edlem Papier waren um die Kataloge und Mum herum verstreut.

"Ist schon wieder Zeit, neue Bilder zu suchen?", fragte ich und hob eines der Hochglanz Heftchen auf. Die Seiten waren dick und hatten den typischen Geruch von

Mum blickte auf. Einige Strähnen hatten sich aus dem losen Knoten an ihrem Hinterkopf gelöst und umrahmten ihr herzförmiges Gesicht. In dem Versuch eine der Strähnen wieder in den Knoten zu stecken, fummelte sie an ihrem ausgeleierten Haargummi herum: "Wir hatten heute einen Sammler da, der zwei der Himmilton-Gemälde gekauft hat". Bei dem Ausdruck Himmilton-Gemälde leuchteten ihre Augen auf, wie die eines Kindes an Weihnachten.

Mr Himmilton war ein junger Maler, der laut Mum noch wahnsinnigen Erfolg in der Kunstszene haben würde. In gewisser Weise war Mr Himmilton der Schützling von Mum und ihrer Freundin, Cathy, mit welcher sie die Galerie in Dublin leitete.

"Welcher? Das mit den Bäumen?", fragte ich und musste mich noch nicht einmal anstrengen, um halbwegs begeistert zu klingen.

"Das und das mit den roten Wolken", erklärte sie dann.

Ich nickte und fläzte mich neben Danny auf das Sofa.

"Hey Kleiner", ich strubbelte Danny durch die dunklen Haare. Er grinste mich über seinen Comic hinweg an. Das musste wohl als Begrüßung reichen. Murphy blickte träge zu mir auf, blieb aber auf dem Teppich liegen.

"Und hast du schon Ersatz gefunden?", wandte ich mich wieder an Mum. Diese schüttelte den Kopf: "Das was im Moment angeboten wird ist alles irgendwie nicht das Wahre. Ein, dem Impressionismus nachempfundenes Bild, sieht aus wie ein Hamster der in eine Regenrinne gekrochen ist, um darin zu sterben". Sie verzog das Gesicht.

Ich grinste. Zwar konnte Mum den Künstlerfachjargon raushängen lassen, das tat sie allerdings meistens nur vor Kunden, oder wenn ihr ein Werk besonders gut gefiel.

"Musst du noch was für die Schule tun?", blitzschnell wechselte sie das Thema. Ich gab einen zustimmenden Laut von mir.

"Na dann auf, auf. Und du auch Danny". Sie warf meinem kleinen Bruder einen mahnenden Blick zu. Genervt sah er zu mir hinüber, bevor er aufstand, den Comic auf den Glastisch legte und den Raum verließ. Ich wollte ihm gerade folgen als Mum noch einmal von einem der fast unberührten Katalogen aufsah: "Ich hab die Neos gewaschen. Liegen im Korb auf der Treppe und Daniel hat angerufen, das Training morgen findet doch statt, er schafft es rechtzeitig aus der Stadt".

Tatsächlich stand an der Treppe ein Wäschekorb mit mehreren frisch gewaschenen Neoprenanzügen. Seufzend nahm ich ihn mit hoch in mein Zimmer und hängte die Anzüge an die Innenseite meines Kleiderschrankes.

Dabei summte ich die ganze Zeit unmelodisch vor mich her. Hoffentlich hörte mich keiner, denn ich war leider alles andere als ein Goldkehlchen.

Auf meinem Schreibtisch lag mein aufgeschlagenes Hausaufgabenheft, bei dem Anblick der Aufgaben stöhnte ich. Ich ließ mich auf den Schreibtischstuhl plumpsen, griff nach meinem Englischbuch und stutzte. Heraus fiel ein mir ziemlich bekannter Kettenanhänger. Er war rund, etwa so groß wie eine fünfzig Centmünze mit gaelischer Prägung. Ich hatte die Kette von meiner Grandma geerbt.

Wie zur Hölle kam sie in mein Englischbuch? Eigentlich sollte sie in meinem Schmuckkästchen, irgendwo in den Untiefen einer Schublade liegen und nicht hier...

Kopfschüttelnd legte ich die Kette bei Seite und widmete mich Shakespeares Sonett Nummer 18.













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