Kapitel 84

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Damians Sicht

Ja, das war es wirklich.
Hätte ich nicht die falsche Ausfahrt genommen, wären wir nie hier gelandet.
Und ohne den netten Herrn an der Tankstelle auch nicht, der mir von diesem Ort hier erzählt hat. Ich muss zugeben, als wir die lange Straße durch nichts als Bäume gefahren sind, habe ich für einen Moment gedachte der Mann hätte mich verarscht.
>Zu den Zeiten, als ich noch jung war und mit meiner Frau alleine sein wollte, sind wir immer hoch auf den Noori Feld gefahren. Wenn man den Märchen unserer Vorfahren Glauben schenken mag, soll es dort oben nur so vor Magie sprühen>, hatte der Mann erzählt. An so etwas wie Magie habe ich noch nie geglaubt und doch muss ich sagen, dieser Ort hatte etwas magisches. Nicht im sinne von, hier leuchtet alles und kleine Feen treiben ihr Unwesen und es passieren Dinge, die sich nicht erklären lassen.
Wobei letzteres der Grund ist warum ich überhaupt dieses Gespräch mit Leah überhaupt führen wollte.
Nein, viel mehr ist es das Gefühl von Sorglosigkeit, die man hier oben spürt. Die Stadt liegt da unten und ich bin hier oben. Alles was dort unten passiert kann mir in diesem Moment egal sein. Was auch immer auf mich wartet, ist auch noch da wenn ich wieder unten bin, aber jetzt gerade ist es egal und unwichtig.
»Woher kennst du das hier?«
Ihre Stimme riss mich aus meinen Gedanken.
»Bis eben gar nicht«, offenbarte ich und setzte mich auf die Wiese. »Der Mann an der Tankstelle hat mir eben hier von erzählt.«
Für eine kurze Sekunde sah Leah mich überrascht an, dann setzte sie sich neben mich und nahm die Pommes aus der Tüte.

*

»Ich hätte nicht so viel essen sollen«, beklagte sich Leah und ließ sich mit den Händen auf dem Bauch nach hinten auf den Rücken sinken.
Ich sammelte währenddessen unsere Reste ein und stopfte alles zurück in die Tüte, bevor ich mich ebenfalls nach hinten fallen ließ und in den Himmel sah. Die Wolken über uns wurden allmählich dunkel, lange würden wir wohl nicht mehr hier sitzen können.
»Genau so fühle ich mich«, sagte sie und zeigte nach oben. »Wie ein Elefant, der auf dem Rücken liegt und sich nicht mehr bewegen kann.«
Tatsächlich sah eine der Wolken aus wie ein kleiner Elefant. Ein leichter Schlag traf mich am Oberarm.
»Lach ja nicht.«
»Würde ich niemals tun«, erwiderte ich mit einem leichten Grinsen auf den Lippen. »Sonst würde er mich holen und in das Weite des Wolkenreichs ziehen.« Ich zeigte auf eine Wolke, die wie ein Monster mit einem großen Grinsen aussah. Ähnlich wie die Grinsekatze aus Alice im Wunderland. Ihr leises Lachen erklang neben mir. Ich verschränkte die Arme hinter meinem Kopf und hörte Leah zu, wie sie begann eine Geschichte zu den Wolken zu erzählen. Wenn auch nicht ganz wirklich aufmerksam. Ich war viel zu sehr damit beschäftig gegen den Drang in mir zu kämpfen, mich zu ihr umzudrehen, sie anzusehen oder sie an mich heran zu ziehen. Oder einfach nach ihrer Hand zu greifen.
»Und dann kommen die Dinosaurier...«
Ihre Geschichte war äußert ausgefallen und Fantasievoll, aber die Wolke war beim besten Willen kein Dinosaurier.
»Das ist ein Drache«, unterbrach ich sie.
»Was?« Ihre Verwunderung über mein plötzliches einmischen war nicht zu überhören.
»Das ist kein Dinosaurier, sondern ein Drache.«
»Da sind aber keine Flügel«, argumentierte sie.
»Doch wenn du genau hinsiehst, erkennst du die kleinen dunklen Linien, die die Flügel vom Körper abgrenzen.«
Mit verengten Augen sah sie in den Himmel, neigte den Kopf leicht zu Seite und versuchte die dunklen Linien zu erkennen. Zugegeben, die Flügel waren wirklich klein und sahen eher aus wie zwei Ballons. Ich musste lachen.
»Du hast eindeutig zu viel Fantasie, mein Lieber. Ich kann dort beim besten Willen keinen Drachen erkennen.«
Ich pikste ihr in die Seite und ein erschrockenes Quieken erfuhr ihr.
»Sagt das Mädchen, das mir einfach so eine Geschichte über Wolken erzählt? Wer von uns beiden hat nun zu viel Fantasie?«
Meine Fantasien drehten sich gewiss nicht um Wolken, wenn sie neben mir lag.
Angestrengt überlegte sie, was sie darauf kontern konnte, aber ihr schien darauf nichts einzufallen. Sie blieb still. Schmunzelnd sah ich wieder in den Himmel.
Nach einigen Minuten, in denen wir einfach nur stumm nebeneinandergelegen haben, setzte ich mich in den Schneidersitz und sah wieder auf unsere Stadt. Dafür das mein Kopf die letzten Stunden durchgehend etwas zu sagen hatte, war er jetzt gerade in diesem Augenblick verdächtig ruhig. Er war einfach leer. Keine Ängste, keine Sorgen, keine verwirrenden Gedanken.
Im Augenwinkel sah ich, dass auch Leah sich aufsetzte.
»Die Stadt sieht aus wie jede andere und trotzdem denken ihre Bewohner, sie wäre etwas besonderes.«
»Vielleich ist es nicht sie Stadt an sich, die es zu etwas Besonderem macht, sondern die Menschen die dort leben«, wandte Leah ein.
»Ja, vielleicht ... «
Aber mein ganzes Empfinden anhand von ein paar Menschen abhängig zu machen, kommt mir doch etwas seltsam vor. Mich hält hier nichts. Sobald sich die erste Möglichkeit bietet bin ich weg.
Aber ich würde Hailey zurücklassen müssen. Sie hatte ihre Schule und ihre Freunde hier. Ihre Eltern waren hier, sie würde in dieser Stadt aufwachsen.
Ich würde auch Ben und Cole zurücklassen.
Vielleicht hält mich in dieser Stadt doch mehr als ich bisher angenommen hatte.
»Damian...«
Ihre zarte Stimme ließ mich zu ihr umdrehen.
Sie würde ich auch zurücklassen.
Ihre Lippen öffneten sich leicht, schlossen sich aber direkt wieder. Offensichtlich war nun der Moment gekommen, vor dem ich mich bis jetzt gedrückt hatte, obwohl es der Grund ist warum wir überhaupt hier sind. Ich konnte nicht gut mit Worten umgehen, aber ich war ihre eine Erklärung schuldig.
»Am Montag, der Kuss...«, fiel ich direkt mir der Tür ins Haus. Klare und deutliche Formulieren, jeden falls hatte ich mir das in den wenigen Sekunden vor meiner Idee hiervon, vorgenommen. »Es war kein Fehler. Jedenfalls nicht so wie du gerade denkst.«
Ihre Augenbrauen zogen sich leicht zusammen, sie verstand nicht was ich damit sagen wolle.
Da waren wir schon zu zweit, Leah.
»Es ist nicht so, als hätte es mir nicht gefallen, aber der Zeitpunkt ist ungünstig. Unfassbar, das du mich dazu bringst, über Gefühle zu sprechen, nur damit du mich verstehen kannst und nicht denkst, ich sei ein Arsch.«
Wenn die anderen das taten, war das in Ordnung. Es war gut, so hatte ich meine ruhe. Aber sie sollte nicht das schlechte Bild von mir haben.
»Ich mag dich, sehr. Ich weiß nicht genau wo das alles hingeht, aber ich möchte nicht, das du verletzt wirst. Aber früher oder später würdest du verletzt werden, wenn ich dich noch mehr in mein Leben lasse. Gleichzeitig will ich dich aber nicht mehr aus meinen Leben haben. Wenn du bei mir bist habe ich nicht das Gefühl, mich verstellen zu müssen oder jemand zu sein, der ich nicht bin. Ich muss niemand sein, der ich nicht sein möchte. Ich kann einfach ich sein ohne das du mich verurteilst. Ich mag es, wie ich bin, wenn du bei mir bist. Aber mein Leben gerade komplizierter, als du denkst, und es gibt Dinge, die ich dir nicht erzählen kann. Es ist besser, wenn du von diesen Dingen nichts weißt, zu deinem eigenen Schutz.«
Ihr Blick lag aufmerksam auf mir, wartet darauf ob ich noch etwas dazu zusagen habe. Aber, auch wenn ich ihr gerne noch ein paar Sachen sagen würde, schwieg ich. Ihr zu sagen, wie sehr ich sie gerade berühren möchte, wie sehr es mich verrückt macht, wenn sie mich anzieht, würde sie nicht von mir fernhalten. Also behielt ich all das lieber für mich.
»Leon, er meinte, du hättest dir viele Feinde gemacht. Gehört das auch zu diesen Dingen?«
Langsam nickte ich. Ich erinnerte mich an seine Worte vor seinem Haus, als wir Leahs Tasche abgeholt hatte. Woher Leon allerdings wusste, hatte ich bisher noch nicht herausgefunden.
»Du hast dir aber keine Feinde gemacht, weil du jemanden umgebracht hast, oder?«
»Gott, nein. Natürlich habe ich keinen umgebracht!«
Ich stand auf und sah zur Stadt hinab. Dachte sie wirklich ich könnte so etwas getan haben?
»Bist du irgendwelchen kriminellen Banden oder Gangs beigetreten?«
Ich schüttelte den Kopf. Nein, nicht direkt. Jedenfalls nicht so einer wie sie gerade im Kopf hatte.
»Weiß Ben davon?«
Wieder nickte ich.
»Ok.«
Ok? Irritiert drehte ich mich zu ihr um?
»Du wirst deine Gründe haben, warum du mir nichts von diesen Dingen in deinem Leben erzählst, aber wenn du mir sagst, dass du keinen umgebracht hast und Ben davon weiß und ich mir somit weniger Sorgen um dich machen muss, reicht mir das. Auch wenn ich gut auf mich selbst aufpassen kann.«
Nein.
Sie hatte keine Ahnung, wen ich mir als Feind gemacht habe und trotzdem reichte ich diese Antwort.
Nein.
Warum fiel es ihr so leicht, mir einfach zu vertrauen?
Das sollte sie nicht. Das war leichtsinnig. Sie sollte sich mit so einer Antwort nicht zufriedengeben. Sie hätte die Wahrheit verdient.
Aber stattdessen vertraute sie mir einfach.
»Du brauchst dir überhaupt keine Sorgen zu machen.«
Nun stand sie ebenfalls auf, stellte sich vor mich hin und sah zu mir auf.
»Du bist mir aber wichtig, also mache ich mir sorgen um dich. Und wenn du mich in deinem Leben haben willst, werde ich dir bei diesen Dingen helfen, wenn du mich brauchst und lässt.«
Sie ging ein paar Schritte auf die Stadt zu und schlang ihre Arme um sich. Ich überbrückte die letzten Schritte zwischen und stellte mich dicht hinter sie. Einen Moment blieb ich einfach so da stehen und gab meinen Gedanken die kurze Zeit, um sich zu sortieren.
»Ich bin dir also wichtig?«
Zögerlich nickte sie.
»Warum erwartest du vor mir keine Antworten?«
»Das tue ich. Aber ich akzeptiere es, wenn du mir etwas nicht erzählen möchtest. Oder kannst. Wir kennen uns noch nicht lange genug, um so ein großes Vertraue aufgebaut zu haben, das versteh ich. Und ich weiß wie wichtig dir Ben ist und das du ihn nicht absichtlich in große Schwierigkeiten bringen würdest, die ihn vielleicht sein Leben könnten. Und außerdem schätze ich Ben so ein, das er dir den Arsch aufreißen würde, solltest du es doch tun.«
Ein grinsen entstand auf meinen Lippen. »Damit könntest du recht haben.« Das hat er durchaus das ein oder andere mal bereits getan.
»Aber ich vertraue dir, Leah. Ich habe die schon so viel von mir erzählt, nicht mal Cole kennt alles.«
»Soll ich mich jetzt glücklich schätzen?«, sagte sie und in ihrer Stimme war das schmunzeln deutlich herauszuhören.
Ich legte meine Arme um ihren Bauch und zog sie an mich.
»Du sollst wissen, dass du mich nicht mehr so schnell aus deinem Leben bekommst. Du weißt zu viel.«
Hatte ich damit unbewusste eine Entscheidung getroffen?
Den Entschluss gefasst, sie ganz in mein Leben zu lassen?
Die Entscheidung könnte für beide Seiten gefährlich werden. Und trotzdem fühlte sich diese Entscheidung wie eine Befreiung an. Ein Gedanke, der ich wieder Atmen ließ.
Sie schmiegte sich enger a mich und ich schlang meine Arme automatisch enger um sie.
»Gut, dass ich das auch gar nicht möchte.«
»Also würdest du es zulassen, wenn ich dich noch mal küsse?«, hauchte ich ihr ins Ohr.
Ohne zu zögern nickte sie. Lächelnd legte ich meine Lippen auf ihre Schläfe und verharrte dort etwas länger als gewöhnlich.
»Wir sollten uns Zeit lassen und es einfach auf uns zukommen lassen. Ich möchte nicht, dass es krampfhaft zwischen uns wird«, sagte ich. So gut es sich auch in diesem Augenblick anfühlte, noch etwas die Möglichkeit zu geben, mir den Boden unter den Füßen wegzuziehen, konnte ich nicht gebrauchen.
»Aber wir sollten offen und ehrlich miteinander sein. Wenn uns etwas stört, sollten wir darüber reden«, fügte sie hinzu und ich konnte ihr nur zustimmen.
»Am aller wichtigsten ist es, das wir aufhören uns wegen Kleinigkeiten zu streiten. Sonst reißt Cole einem von uns bald den«, ergänzt sie lachend.
»Er würde eher mir den Kopf abreißen, du bist ihm dafür zu wichtig«, antwortete ich.
Es wäre nicht das erste Mal das ich ihretwegen einen Anschiss von Cole bekommen habe. Ich hab aufgehört zu zählen. Er ist deutlich schlimmer als ihr eigentlicher Bruder, der sich in letzter Zeit nicht mehr wirklich dafür zu interessieren scheint, was seine Schwester macht. Ich komme aber auch nicht mehr zu ihm durch.
»Wir einigen uns darauf, das du nicht immer so stur bist und versuchst zu verstehen und nicht wie ein kleines Mädchen trotzig auf deine Meinung beharrst.«
Sie drehte sich zu mir und verpasste mir einen leichten Schlag auf die Brust, ich ließ meine Hände auf ihrem Rücken.
»Ich bin kein trotziges Mädchen. Du könntest deine Wörter einfach besser wählen.«
»Ich kann nicht gut mit Wörtern. Dafür bin ich bei anderen Sachen deutlich geschickter.«
Ihre Augen wanderten von meinen Augen zu meinen Lippen und ein lächeln zeichnete sich auf ihren ab.
»Eine Kombi aus beidem wäre gut.«

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⏰ Letzte Aktualisierung: Apr 20 ⏰

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