Kapitel 83

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Leahs Sicht

          »Wir sehen uns«, verabschiedete sich Damian von den anderen und ich folgte ihm zu seinem Auto.
          »Du kommst gar nicht mehr so oft mit deinem Motorrad«, stellte ich fest. »Du auch nicht.« Stimmt.
          Nachdem er seine Sporttasche auf der Rückbank verstaut hatte, öffnete er die Fahrertür und stieg ein. Etwas verwirrt tat ich es ihm gleich. Wollte er nicht mit mir reden?
          »Wo fahren wir hin? Wolltest du nicht reden?«
          »Doch, das wollte ich. Das werden wir auch. Aber ich begehe nicht noch einmal den Fehler und beginne ein Gespräch mit dir im Auto. Beim ersten Mal bist du aus dem Auto gestürmt und beim letzten Mal hast du es völlig falsch verstanden. Wir fahren zu einem ruhigen Ort und werden in Ruhe reden. Ich rede und du hörst zu.«
          »Ich werde trotzdem dazwischenreden, wenn mir etwas nicht passt«, entgegnete ich. Etwas Angst vor dem, was er zu sagen hatte, hatte ich schon. Er setzte den Rückwärtsgang ein und fuhr aus der Parklücke. Während er den ersten Gang einlegte, sah er mich an.
          »Das ist mir bewusst.« Ich meine, ein belustigendes Lächeln erkannt zu haben.
          Zügig lenkte Damian den Wagen durch die Straßen, bis wir auf den Highway fuhren. Nach einem kurzen Blick in die Spiegel drückte er das Gaspedal durch und überholte sofort das erste Auto. Durch das schnelle Beschleunigen wurde ich für einen kurzen Moment in den Sitz gedrückt. »Also wenn du ein Rennen fährst, möchte ich nicht daneben sitzen.« Und das nächste Auto wurde überholt. »Das hier ist doch gar nichts. Ich habe das Pedal nicht einmal ansatzweise durchgedrückt«, sagte er amüsiert. Hatte er nicht? Es fühlte sich aber so an. »Du hast doch nicht etwa Angst, oder?«, fragte er, und ich konnte von der Seite sehen, wie seine Mundwinkel zuckten. Ich verschränkte die Arme vor der Brust. »Natürlich nicht. Aber man muss sein Schicksal ja nicht überstrapazieren.«
          »Wenn das so ist ... «, erwiderte er und ließ den Rest des Satzes in der Luft stehen.
          Wieder ein Blick in den Spiegel, dann fuhr er auf die äußerste Spur und ich konnte förmlich spüren, wie er das Gaspedal nun ganz durchtrat. Mein Körper wurde erneut in den Sitz gedrückt.
          »Dann zeig ich dir mal, was es heißt, das Schicksal herauszufordern.« Die Tachonadel war so weit gedreht, dass ich sie von meinem Platz nur noch erahnen konnte. Über 180km/h. Er war doch verrückt. 200km/h.
          »Ok, es reicht«, sagte ich durch gepresste Lippen, denn langsam machte sich ein eigenartiges Kribbeln in meinem Körper breit. Ein raues Lachen war zu hören. Hohe Geschwindigkeiten war ich zwar durch die Rennen gewohnt, aber dort bin ich gefahren und hatte alleine die Kontrolle über alles.
           »Ich habe verstanden, das du Auto fahren kannst. Du kannst wieder langsamer werden.« Er wurde noch schneller, auch wenn ich es nicht für möglich gehalten habe, dass es überhaupt noch möglich war. Ich glaube, ich hatte jetzt nur eine leise Ahnung davon, wie es sich anfühlte, mit in seinem Wagen zu sitzen, wenn er an einem Rennen teilnahm. Seine Hände umfassten feste das Lenkrad und auch wenn seine Körperhaltung sonst locker wirkte, sah ich in seinem Gesicht wie konzentriert er war. Langsam bekam ich jedoch wirklich Angst. Mein Herz begann schneller zu schlagen und meine Atmung wurde schwerer. Selbst wenn er fahren konnte und alles unter Kontrolle hatte, es muss nur einer einen Fehler machen. Einen klitzekleinen Fehler. Und dieser Fehler würde bei der Geschwindigkeit jeden das Leben kosten. 220km/h.
          »Damian, bitte!« Endlich bremste er ab. Ich löste meine Finger, die sich irgendwann in den Sitz gekrallt hatten. Wieder war ein kurzes Lachen von ihm zu hören. »Komm schon, so schlimm war es jetzt auch nicht. Ich dachte, du hättest keine Angst.« Erneut sah er kurz zu mir. "Im Gegensatz zu dir, hänge ich an meinem Leben." Außer einem Grinsen bekam ich keine Antwort darauf. 

*

          »Das kann doch jetzt nicht wahr sein«, sagte Damian und stieß genervt die Luft aus. Vor uns bildete sich langsam ein Stau und die nächste Abfahrt war erst in 10 Kilometern. »Müssen wir noch weit fahren?«, fragte ich, denn wir fuhren schon seit 20 Minuten auf dem Highway und Damian hatte bisher nicht den Anschein gemacht, diesen bald verlassen zu wollen. »Es ist eigentlich noch ein kleines Stück. Aber ich fahre die nächste Abfahrt ab und wir werden woanders hinfahren.«
         Fünf Minuten später standen wir. Nichts ging mehr. »Ich habe mir das eigentlich anders vorgestellt«, sagte er und setzte sich bequemer in den Sitz. Das Lenkrad hielt er nun nicht mehr fest, seine linke Hand stützte leicht seinen Kopf.
         »Du könntest jetzt reden. Hier kann ich auch nicht weglaufen.« Bevor er darauf antworten konnte, klingelte sein Handy in der Mittelkonsole. Nach einem kurzen Blick drauf nahm er den Anruf per Freisprechanlage an.
          »Hey Mum.«
          Eine freundliche Stimme erklang auf der anderen Seite. »Hey, bist du noch am Autofahren?« »Ja, wir sitzen noch im Auto«, antwortete er.
          »Ist Ben bei dir? Sag ihm liebe Grüße. Ich wollte eigentlich nur wissen, ob du schon mit ihr gesprochen hast.« Damian ließ seinen Kopf leicht nach vorne fallen. »Mum, du bist auf Lautsprecher. Und nein, Ben ist nicht hier. Leah sitzt mit mir im Auto.« Leise wiederholte sie meinen Namen ein paarmal. »Oh«, sagte sie dann, als wäre ihr etwas klar geworden.
          Irritiert sah ich zu Damian. Sie schien meinen Namen zu kennen.
          »Hallo Leah«, sagte sie dann an mich gerichtet. »Habe ich gestört? Soll ich später noch mal anrufen?« »Hallo, nein, nein Sie stören nicht«, antwortete ich an Damians Stelle. »Wir stehen seit ein paar Minuten im Stau, also tut Unterhaltung ganz gut«, fügte ich hinzu.
          »Ich will mal schwer hoffen, das er anständig fährt«, entgegnete seine Mum und ein leichter Hauch von Strenge war zu hören.
          Damian und ich sahen uns grinsend an.
          »Mum, ich fahre immer anständig.«
          »Das hat dein Vater auch immer gesagt, bis ich über seinen Fahrstil fast Hailey bekommen habe«, scherzte sie, wusste aber nicht, was sie damit in ihrem Sohn auslöste. Dieser wendete seinen Kopf ab und sah aus dem Fenster. Das Verhältnis zu seinem Vater musste schlimmer geworden sein. Einen kurzen Moment sah ich Damian von der Seite an, bis mir einfiel, dass seine Mum noch keine Antwort bekommen hatte. »Quatsch, Ihr Sohn ist nicht wie Ihr Mann. Er fährt wirklich gut.« Wenn auch rasant, hätte ich gerne hinten angehangen. Damian machte immer noch nicht den Anschein, etwas erwidern zu wollen, also führte ich das Gespräch mit seiner Mum weiter.
         Ihr zuzuhören hatte etwas Beruhigendes. Sie klang unbeschwert und aufrichtig. In ihrer Stimme spiegelte sich all das wider, was Damian mir bisher über sie erzählt hatte. 

DamianWo Geschichten leben. Entdecke jetzt