Everytime I see you

Oktober 2016

Nach unserer Aussprache und dem heißen Versöhnungssex - der nicht zu verachten, aber nicht immer von Vorteil ist – haben wir wieder in den Verliebtsein-Modus gefunden, in dem wir davor schon waren. Und es läuft toll. 

Der Herbst ist eingezogen und somit haben sich die Einlieferungen in den Notaufnahmen nicht viel verändert, nur, was aber nicht bedeutet, dass es weniger zu tun gibt. Es ist gerade einmal elf Uhr und ich habe schon sieben Patienten behandelt. 

Zwei Frakturen eingegipst, einen alkoholisierten Teenager aufgepäppelt – und mich nebenbei von ihm einsauen lassen, drei Platzwunden gesäubert und bei der Naht assistiert, bei einem Unfallopfer dafür gesorgt, dass die Medikamente verabreicht werden. 

Geschafft, aber lächelnd setze ich mich auf Maggies Stuhl und tippe meine Berichte in das System ein. Sie hat heute frei und das ist fast eine Sensation, denn sie ist immer da. Egal, zu welcher Uhrzeit, Maggie leitet mit fester Hand die Notaufnahme. 

Aber zur Hochzeit ihrer Schwester musste sie wohl oder übel einen freien Tag beantragen und somit hat Sandy die Aufsicht, was eigentlich ziemlich gut klappt. Aber sie ist auch keine Anfängerin mehr, sondern macht den Job schon seit zehn Jahren.

Nachdem ich fertig bin, nehme ich die Handcreme und nutze die kurze Pause, um mich um meine ausgetrockneten Hände zu kümmern. Durch das ganze Handschuhe tragen und die Hände desinfizieren ist alles sehr angegriffen und reisst ein, wenn man sich nicht darum kümmert. Wenn meine Mutter meine Finger sehen würde, bekäme sie wahrscheinlich einen Herzinfarkt. 

Sie meint stets, dass die Hände einer Frau das Aushängeschild der Persönlichkeit seien. Und das stimmt auch, keiner möchte von jemandem behandelt werden, der raue, rissige Stellen hat und in meinem Beruf geht das ebenfalls nicht. Deshalb muss man sich darum kümmern, auch, wenn einem die Zeit dazu fehlt. Ich sehe wie Dr Melendez aus einem der Traumaräume kommt und sich die Handschuhe auszieht. 

Er sieht müde aus, denke ich betrübt, als er sich an eine der Schwestern wendet. Sie ist neu hier, ein Ersatz für Noreen, die im Mutterschutz ist und erst in ein paar Monaten wiederkommt. Ich sollte mich in den nächsten Tagen bei ihr melden und fragen, wie es ihr so geht. Wir sind zwar nicht befreundet, aber ich finde das trotzdem wichtig, dass man sich um andere kümmert. Auch wenn es nur ein kurzer Anruf ist, denn spontan vorbeizugehen ist immer ein Unterfangen für sich. 

Ich habe da schon die eine oder andere schlechte Erfahrung gesammelt, aber Noreen ist sehr nett und hätte sicher nichts dagegen. Mein Blick fällt wieder auf Gabriel, der sich die Laborergebnisse seines Patienten ansieht und dann den Blick hebt. 

Als sie sich kreuzen halte ich den Atem an, was total bescheuert ist, aber ich kann nicht anders. In seinen braunen Tiefen sehe ich etwas, was ich nicht richtig deuten kann. Ist es schuld, Reue, oder doch etwas komplett anderes? 

Bevor ich mir weiter darüber Gedanken machen kann, kommt er auf mich zu. Am liebsten würde ich mich beschäftigt geben, doch was würde das bringen? Irgendwann müssen wir reden, wir können uns nicht weiter aus dem Weg gehen. Und ganz ehrlich? Es ist nicht seine schuld, dass ich Linc das mit der Weiterbildung nicht gesagt habe Das ist mein Fehler und das sollte sich nicht auf Gabriels und meine Beziehung – die rein beruflicher Natur ist – auswirken.

„Hey", sage ich deshalb, als er das Tablett auf den Tresen legt und mich ansieht. Fast wie ein treuer Hund denke ich und muss beinahe Schmunzeln, aber ich kann es mir noch verkneifen. Sonst würde er fragen, was so witzig sei und ich müsste ihm erklären, dass er mich gerade, wie ein süßer, knuffiger Welpe angeschaut hat.

„Hi", erwidert er und sieht mich weiterhin an. Ich drehe den Verschluss der Tube zu und stelle sie wieder an ihren Ort, ehe ich mich Gabriel zuwende. Er sieht so aus, als würde er mir etwas sagen wollen, doch er schweigt weiterhin, aber nicht, ohne den Blick von mir zu wenden. Was mich dann doch irgendwann etwas unsicher werden lässt, also ergreife ich das Wort als Erste.