Januar 2015

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Zwei Monate sind seitdem ins Land gezogen und es verging kein Tag an dem ich nicht an meinen unbekannten Retter gedacht habe. Sein Gesicht verfolgte mich bis in meine Träume, beherrschte meine komplette Freizeit.

Nur auf der Arbeit konnte ich mich von ihm lossagen. Was sein muss, denn als Krankenschwester muss man konstant da sein, da kann man sich nicht erlauben mit den Gedanken woanders zu sein. Denn, die Fehler passieren einem so schnell und ich weiß, wovon ich rede.

Denn meinen ersten Fehler habe ich noch während der Ausbildung gemacht, einer der mein Leben komplett verändert hat. Damals war es üblich, dass die Schwestern während der Ausbildung einen kompletten Rundgang absolvieren.

Das heißt, man durchläuft jede Station, von der Notaufnahme bis zur Intensivstation und genau dort passierte es: Ich musste einem Patienten eine kleine Menge Kalzium per Infusion verabreichen, doch statt dem gewünschten Mittel erwischte ich die Ampulle mit Kalium und hätte sie ihm fast gegeben.

Somit hätte ich ihn getötet, denn eine solche Dosis hätte bei dem herzkranken Patienten einen Herzstillstand ausgelöst und das wäre meine Schuld gewesen, weil ich in der Hektik die Abkürzungen verwechselt habe.

Seit diesem einen fatalen Fehler achte ich penibel darauf, alle Störfaktoren zu eliminieren die mich beeinflussen oder zu Fehlern führen könnten. Doch dazu gehören die nervigen Ärzte auf den Stationen leider nicht, denn die kann ich nicht ausblenden. Sie sind immer da und machen andauernd Fehler, aber von denen redet ja keiner.

Ein bisschen genervt schiebe ich den Gedanken an den heutigen Tag bei Seite und schließe den Spind in der Umkleide der Frauen.

Ob ich ihn heute endlich wieder sehe?

Mit dieser Frage im Hinterkopf verlasse ich zuerst den Raum und anschließend das Gebäude. Es ist kurz nach sieben und nach meiner Vierzehnstundenschicht will ich nur noch nach Hause. Doch zuerst muss ich mich wie jeden Abend durch die Vielzahl an Passanten drängen, um meinen Bus zu erwischen. Den gleichen wie vor zwei Monaten, vor dem mich dieser unglaublich schöner Typ gerettet hat.

Sein Gesicht vor Augen laufe ich durch den Schnee, den Schal um meinen Hals gewickelt, erkämpfe ich mir den Weg durch den fortwährenden Schneematsch. Das Wetter hat sich von starkem Schneefall bis hin zu Regen immer wieder abgewechselt.

Aber die Temperaturen sind eisig geblieben, so auch heute. Das Thermometer ist nicht über acht Grad minus gestiegen. Ich reibe meine roten Hände aneinander, puste in den Zwischenraum und hoffe, dass ich nicht zulange in der Kälte stehen muss.

Die Haltestelle liegt nur ein paar hundert Meter vom Krankenhaus entfernt und ist wie immer gut besucht. Wie so oft in den letzten Wochen halte ich Ausschau nach dem Mann, der fortan meine Gedanken und sogar meine Träume bestimmt hat. Doch ich habe ihn seitdem nicht wiedergesehen.

Was mache ich nur, wenn heute der Tag ist, an dem ich ihm erneut begegne?

Soll ich mich dann bei ihm bedanken, oder soll ich ihn nach seinem Namen fragen?

Ich komme mir wie ein Teenager vor, der sich in einen Jungen aus der Klasse verschossen hat und sich nicht traut ihn anzusprechen. Nur hat der Teenager den Vorteil, dass er den Namen seines Schwarmes kennt.

Ich hingegen weiß überhaupt nichts über ihn und dennoch ist da noch immer diese Vertrautheit in der Erinnerung, diese Wärme in seinen Augen und in seiner ganzen Ausstrahlung. Noch immer spüre ich wie sich seine Finger auf meinem Arm angefühlt haben. Dieses Prickeln lässt einfach nicht nach.

So etwas habe ich zuvor noch nie erlebt, als würde das alles wieder und wieder passieren. In Endlosschlaufe. Nur hat es nie den Ausgang, den ich mir erträume und das wäre ihn für immer zu behalten. Ich rede von ihm, als wäre er bloß ein Gegenstand, einer der nur mir gehören würde.

Everytime I see youWhere stories live. Discover now