20 Dezember 2015 (2)

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LINC

Ich stehe hier in der Kälte vor Livs Wohnung und komme mir vor, als wäre ich wieder ein Teenager. Verdammt, ich bin so nervös wie schon lange nicht mehr. Eigentlich sollte ich es gewohnt sein, denn in meinem Beruf muss ich mit meinen Ideen so manchen bärbeißigen und sturen Kunden überzeugen. 

Davon, dass sein altes Konzept weder bahnbrechend noch lukrativ für potenzielle Kunden ist, oder davon, dass meine Ansichten vielleicht unkonventionell, aber trotzdem im Trend liegen. Aber heute auf die Frau zu warten, die mich ein ganzes Jahr gesucht und schließlich gefunden hat, ist dann doch um einiges aufregender und irgendwie auch beängstigend. Nicht, dass Liv mir Angst machen würde, im Gegenteil.

Sie ist die sanfteste Frau, der ich jemals begegnet bin, ihre Stärke beeindruckt mich, genau wie die Tatsache, dass sie ausgerechnet mich auserkoren hat.

Unruhig wippe ich mit den Füssen, auf und ab. Mit der Hand streiche ich mir übers Gesicht. Ich trage unter meinem beigen Mantel ein Hemd und eine Anzugshose. Normalerweise laufe ich legerer herum, auch wenn ich mit Kunden rede, denn das gehört zu meinem Konzept. 

Ich bin jung, gehe mit dem Trend und weiß was ich will. Und heute ist es mit dieser großartigen Frau ins Kino und anschließend etwas trinken zu gehen. Aufgeregt schaue ich auf meine Uhr, noch zehn Minuten bis zu unserer verabredeten Zeit.

Wie früh war ich denn bitte schon hier? Ich habe nicht auf die Uhr geschaut, aber so wie die Kälte mir bereits in die Knochen steigt, stehe ich sicher schon mehr als zwanzig Minuten hier.

Ich klingle nicht, weil ich sie nicht stressen möchte. Sie soll genügend Zeit haben und schließlich ist es ihr gutes Recht zu spät zu kommen. Nicht, dass ich ein Macho wäre, der die Frau an den Herd Regel stur verfolgen würde, aber ich finde, dass man eine Frau behandeln sollte, wie es sich gehört.

Vielleicht hat die konservative Erziehung meiner Mutter doch gefruchtet, auch wenn ich in meinem Job in die moderne Zeit fliehe, so mag ich die Verhaltensformen der guten alten Zeiten dennoch sehr. Sie hat etwas Verlässliches, etwas das für Wohlstand und Sicherheit steht. Und daran ist doch nichts schlecht, oder?

Ihre Wohnung liegt in einer ruhigen Seitenstraße, dennoch fahren einige Autos an mir vorbei, deren Schweinwerfer die sonst dunkle Nacht künstlich erhellen. Ich atme tief ein, spüre wie sich wie meine Lunge mit Sauerstoff füllt und als ich ausatme, glimmt dieser Schimmer der Hoffnung wieder auf.

Denn seitdem ich sie das erste Mal gesehen und gerettet habe, habe ich mir gewünscht sie näher kennen zu lernen. Genau wie sie, habe ich mich nach ihr erkundigt, aber es war fast so als wäre sie bloß ein Geist. Ein Gebilde meiner Fantasie, dass durch zu viel Einsamkeit entstanden ist. 

Ich war trunken nach ihr und als ich sie dann wieder gesehen, in meinen Armen gehalten und geküsst habe, war es um mich geschehen. Ich blickte in ihre Augen und mein Herz schien im gleichen Takt wie ihres zu schlagen. Stark und unerschütterlich. Ewiglich.

„Warten Sie auf jemand bestimmtest?", unterbricht eine krächzende Stimme meinen Gedankengang. Blinzelnd gelange ich zurück in die Wirklichkeit und richte meinen Blick auf eine ältere Dame, deren Pekinese an meinem Bein schnuppert.

„Da könnten Sie recht haben, Ma'am", antworte ich und lächle. Sie runzelt die sonst schon ziemlich gefurchte Stirn und bedenkt mich mit einem strengen Blick. Und ich weiß genau was diese Musterung soll, die wurde schon so oft an mir vollzogen, dass ich es gar nicht mehr zählen kann.

Die Frau ist mindestens schon achtzig Jahre alt und sie ist weiß, ich will ich keinen Rassismus unterstellen, aber ich kenne diesen abschätzigen Blick nur zu gut. Aber ich stehe da drüber, ich bin mehr als nur meine Hautfarbe. So verdammt viel mehr.

Everytime I see youWhere stories live. Discover now