31 Dezember 2015 (1)

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„Und was soll ich da?", frage ich Carly genervt, lasse mich seufzend auf die Couch nieder und starre aus dem Fenster. Die Feiertage sind fast vorbei, heute ist Silvester und ich habe eigentlich keine Lust zu meinen Eltern zu fahren. 

Denn dort gibt es die jährliche Silverstersause und die besteht aus Champagner und langweiligen Unterhaltungen mit meinen Verwandten, die ich sowieso nicht kenne und auch nicht sonderlich mag.

„Champagner trinken, was sonst", witzelt sie und bringt mich nicht dazu zu lächeln. Im Gegenteil. Mir vergeht die Lust noch mehr und das soll was heißen.

„Nein im Ernst, hab' Spaß und trink dir die Gäste schön", fügt sie hinzu. Wäre sie doch nur hier, denke ich sehnsüchtig und bin neidisch auf das Verhältnis zwischen Carly und ihrer Familie. Das könnte besser nicht sein und erinnert mich stets daran, dass der Großteil meiner Verwandtschaft alle nur eines im Kopf haben. Geld.

Es dreht sich alles nur darum, wer hat den besseren Job, wer hat die größeren Einkünfte und wer fährt den dickeren Wagen. Darauf habe ich keine Lust, punkt!

„Du bist nur so grummelig drauf, weil ein gewisser Mensch sich seit Tagen nicht gemeldet hat", stellt sie fest und trifft damit den Nagel auf den Kopf. Wie ungern ich das zugebe erkenne ich daran, dass ich schweige und einen imaginären Fusel von meiner Strumpfhose pflücke.

„Liv, komm schon, dass wird witzig. Stell dir einfach vor, dass ich bei dir bin und wir trinken zusammen eine ganze Flasche Crémant", macht sie weiter.

„Das hilft alles nichts, Carly. Wie kann er sich nach all dem Trubel um uns einfach nicht mehr melden? Ich verstehe das einfach nicht", bricht es schließlich aus mir heraus. Endlich!

„Ach Süße, bitte frag' dich das nicht ständig. Du hast nichts falsch gemacht, okay? Er hat doch gesagt, dass er etwas Dringendes klären muss, oder?" Ich nicke, obwohl sie es nicht sehen kann, auch wenn es ein rhetorisches Nicken ist, fährt sie fort.

„Also, dann wird er sich melden, sobald es geklärt ist, was auch immer er damit meint. Alles was du heute tun kannst ist dich aufzubrezeln und zu deiner Familie zu fahren. Sie werden dir schon nicht den Kopf abreißen. Also steh auf!", das Letzte ist ein Befehl und ohne, dass ich das will, stehe ich auf und gehe in mein Zimmer. So innig ist unsere Freundschaft.

„Zieh an was du möchtest, am besten nimmst du etwas was deine Mutter nicht zu sehr reizt", sagt sie, als könnte sie meine Gedanken lesen. Und die fragen sich gerade, für was ich mich entscheiden soll.

Ich weiß das Carly das jetzt nicht illoyal gemeint hat, sie will nur nicht, dass es ein totales Desaster wird. Aber das kann ich ihr auch in einem züchtigen Outfit nicht versprechen. Das kommt immer darauf an wie viel Champagner wir intus haben und welche Tischkonversation aufkommt.

„Dann entscheide ich mich für ein grünes Cocktailkleid", sage ich mehr zu mir als zu Carly, die gerade in Bath bei ihren Eltern und glücklich darüber ist. Aber alles jammern hilft nichts, ich muss dadurch.

Und das mit ganz viel Champagner!

„Grün geht immer, kombiniere es aber mit etwas silbrigem. Das erinnert mehr an Silvester", coacht sie mich und so bekomme ich doch noch etwas Freude. Auch wenn es nur solange anhält, bis ich es angezogen und mich zurechtgemacht habe.

„Ich muss los, Süße. Aber wir telefonieren um zwölf noch einmal, ja? Und hab' Spaß, bitte", meint sie liebevoll. Wieder nicke ich, dieses Mal ziemlich trostlos.

„Ja, mal sehen", sage ich und lege auf, atme tief durch und schicke ein Stoßgebet an den lieben Gott, dass er mir beisteht bei all den Aasgeiern um mich herum. Und das meine ich wirklich nett, denn alles andere wäre ja sehr respektlos.

Everytime I see youDonde viven las historias. Descúbrelo ahora