CAT - Kapitel 56

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„Was machst du?", fragt Niall und schaut mir über die Schulter und auf sein Tablet, dass ich mir ausgeliehen habe.

„Ich guck was nach."

„Nein, wäre ich mal wieder nicht darauf gekommen. Geht es etwas präziser?", stichelt Niall  und stupst mich liebevoll.

„Ja, sobald ich es präziser weiß, Niall, bist du vermutlich der Erste, der es erfährt."

„Und der zweite ist Crow, nachdem du mich gefragt hast, ob es okay ist, wenn du übers Wochenende mit meinem Auto sämtliche Verkehrsregeln und Geschwindigkeitsbeschränkungen brichst", leiert er mit gelangweilter Stimme vor sich hin. Hat er eine Glaskugel, oder was? Immer wieder weiß er ganz genau, was ich plane. Das ist schon fast unheimlich.

„So in der Art könnte es aussehen", bestätige ich seine Überlegungen und gebe die Entfernung in den Routenplaner ein. Dann sehe ich nach oben und direkt in das Gesicht meines Bruders. Um seine Augen haben sich feine Fältchen gebildet, weil er mich anlächelt.

„Das Problem ist, dass ich Lilly Freitagnachmittag bis drei bespaßen muss. Dann könnte ich fahren. Heißt, aber, dass ich nicht die ganze Strecke schaffe. Und am nächsten Morgen fahren sie dann schon weiter, ich weiß aber nicht wann und wie weit."

Meine Erklärung lässt Niall einen Augenblick sacken und aus dem Lächeln wird ein Stirnrunzeln.

„Dann hast du nur zwei Möglichkeiten. Entweder du fährst am Freitag schon früher und ich hole Lilly, wenn ihre Mum einverstanden ist. Und es Lilly nichts ausmacht, dass ich ein totaler Langweiler bin. Oder du musst C einweihen und fragst, wo du sie am Samstag treffen kannst. Wenn du ihn am Freitag schon treffen würdest, wäre natürlich besser, dann hättet ihr immerhin zwei Nächte zusammen."

„Und du würdest Lilly wirklich abholen? Ist dir das nicht zu viel?", frage ich nocheinmal nach.

„Nein, Lillys Mum müsste sie nur hier abholen. Sie zu Fuß nach Hause zu bringen, das ist zu krass. Das schaffe ich körperlich vermutlich nicht mehr."

Also versuche ich mein Glück und frage Mona, als ich später Lilly zu ihr nach Hause fahre.

„Natürlich fährst du am Freitag, bei der langen Strecke wäre alles andere der blanke Irrsinn. Lilly und Niall machen das schon und wenn er mag, kann er einfach die paar Meter mit ihr zum Spielplatz gehen oder am Teich Enten füttern. Die Stunde, bis ich sie holen kann geht da ganz schnell rum.

Das Debakel, als ich Crow das letzte Mal spontan besuchen wollte, kommt mir auf der langen Fahrt immer wieder in den Sinn und ich frage mich ganz allmählich, ob das eine gute Idee war, einfach drauflos zu fahren.

Inzwischen habe ich dreiviertel der Strecke hinter mir. Es gibt nur einen Weg: immer vorwärts.

Die Halle in der das heutige Konzert stattfindet, ist riesig. Viel größer als irgendeine Location in der Crow mit seiner Band vorher gespielt hat und ich bin schon ein bisschen stolz, dass mein Freund der Sänger der Band ist, die diese Halle heute beinahe füllt. Der Typ an der Kasse meinte, es gäbe nur noch sehr wenige Restkarten und ein Teil der Fans sei schon vor mehreren Stunden gekommen, um Plätze an der Bühne zu sichern.

Krasser Scheiß. Offenbar hat sich über die sozialen Medien sehr schnell herumgesprochen, dass es nach vielen Jahren wieder eine ernstzunehmende Punkrockband gibt.

Dass ich so weit hinten stehe, macht mir nichts aus. Ich bin mir diesmal ziemliche sicher, dass ich die Fünf später aus der Nähe sehen werde und einen von ihnen auch sehr nahe spüren werde.

Die Dunkelhaarige, die ich schon von meinem letzten Konzertbesuch kenne, ich glaube Crow hat sie Alex genannt, nickt mir zu. Sie muss ein Gedächtnis wie ein Pferd haben, oder Crow hat mit ihr über mich geredet?

Wenig später stellt sie sich zu mir. „Na, mal wieder ein Überraschungsbesuch?", fragt sie mich und streckt mir ihre Hand entgegen. „Ich bin Alex."

„Cat", stelle ich mich unnötigerweise vor.

„Soll ich ihm Bescheid sagen? Du kannst sicher auch hinter der Bühne warten", bietet sie mir an, aber ich möchte ihn lieber nicht ablenken. Außerdem will ich sehr gerne sein Konzert live erleben. Auf der richtigen Seite der Bühne.

Alex nickt und verzieht sich, um was auch immer zu tun, das ihr Job ist.

Und ich warte gespannt auf den Beginn des Konzertes, sehe mir dann fasziniert an, wie Crow sich auf der Bühne auslebt. Wie das Publikum mitgeht, die Songs mitsingt und bei seiner Ballade hunderte Feuerzeuge den Saal erhellen und im Takt geschwenkt werden. Ich freue mich so für ihn, dass diese Tour zumindest einen kleinen Teil seiner Träume wahr werden lässt. Der tosende Beifall am Ende des Konzertes, der synchrone Ruf nach einer weiteren Zugabe, lassen sein Gesicht strahlen. Einen Augenblick diskutiert er mit den Jungs, schließlich nicken sie. Offenbar wird es heute eine zweite Zugabe geben.

„Das hier ist für dich, Lilly!"

Dolorous LoveWhere stories live. Discover now