Kapitel 31

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Es gab verschiedene Möglichkeiten, wie man mit einer Trennung oder Beziehungspause umgehen konnte. Ich hätte zum Beispiel die Möglichkeit wütend zu werden, auf alles und jeden und mich damit wie ein pubertierender Teenager zu verhalten. Ich könnte in ein depressives Loch fallen und monatelang in meinem Zimmer sitzen, aus dem Fenster starren und mein Leben an mir vorbeiziehen lassen, wie Bella es in Twilight getan hatte. Ich konnte mich aber auch verdammt nochmal zusammenreißen und etwas mit der Zeit anstellen. Es waren die letzten Wochen dieses Schuljahres und wir hatten wahnsinnig viel Klausuren auf einmal. Natürlich fand ich das beschissen, wer mochte es bitte schon, so gut wie jeden Tag irgendeine Klausur zu schreiben? Aber anstatt aus Liebeskummer und Selbstmitleid nicht zu lernen, machte ich genau das Gegenteil, bereitete mich gut auf die Klausuren vor und fand nebenbei die Balance für mein Leben. Wenn ich nicht lernte oder mich mit meinen Freunden traf, bereiteten mein Dad und ich unseren Urlaub vor. Wir flogen jedes Jahr direkt am letzten Schultag irgendwo hin, dieses Mal hatten wir uns als Ziel die Karibik ausgesucht. Meine Eltern würden mich am letzten Schultag von der Schule abholen, wir würden zum Flughafen fahren und dann würde ich die nächsten zwei Wochen hoffentlich keine Sorgen haben. Allgemein waren meine Sommerferien komplett durchgeplant, denn sobald ich aus der Karibik zurückkommen würde, würde ich für eine Woche zu meinen Großeltern fahren und dann noch für zwei Wochen mit Phillipp und Erik in die Berge fahren. Mir war also dementsprechend klar, dass ich Jonah allerhöchstens in der letzten Ferienwoche sehen konnte. Davor nicht wirklich.

Seufzend lief ich durch die Schule. Die Wochen waren nur so an mir vorbeigezogen, es war jetzt Mittwoch, der vorletzte Schultag. Unsere Schule hatte dabei die nervige Angewohnheit, an diesem vorletzten Schultag so ein dämliches Schulfest zu veranstalten, bei dem wir erst nachmittags in die Schule gehen, dafür aber von zwei bis fünf pflichtmäßig in der Schule bleiben mussten. Meine Freunde waren gerade irgendwo draußen bei den anderen Schülern, aber mir war das alles temporär zu viel geworden, weswegen ich mich ins größtenteils leere Schulgebäude zurückgezogen hatte. Nach sechs Schulfesten wusste ich inzwischen, welche Gänge man nutzen musste, um wirklich keine Menschenseele mehr zu treffen. Ich schlenderte an einem leeren Klassenzimmer vorbei, dessen Türe nur angelehnt war. Als ich schon fast in den nächsten Gang einbog, hörte ich plötzlich Stimmen aus dem Inneren. Um genau zu sein, hörte ich Jonahs Stimme. Kurz haderte ich mit mir, ob ich nicht lieber weitergehen sollte, schließlich hatten sich Jonah und wer auch immer bei ihm war das leere Klassenzimmer vermutlich ausgesucht, gerade weil es so weit entfernt von allen anderen war, damit sie in Ruhe reden konnten. Allerdings siegte meine Neugierde deutlich, sodass ich mich leise zurück zu dem Klassenzimmer begab. Die Tür war nicht ganz geschlossen, ein kleiner Spalt war offen, durch den ich auch prompt hindurchstarrte. In dem Klassenzimmer befanden sich momentan Jonah und - Dr. Stein? Ich musste zweimal hinsehen, denn mein Biolehrer trug nicht seinen üblichen Laborkittel, sondern ein normales T-Shirt und Shorts, wie die meisten männlichen Lehrer es heute taten. Im Moment schwiegen sie in einer Einträchtigkeit, die niemand zu stören gewagt hätte. Was war nur los bei ihnen? Dann plötzlich regte sich Jonah wieder und sah den anderen Lehrer an. "Danke nochmal. Dass du niemandem etwas gesagt hast, meine ich. Das ist nicht selbstverständlich", meinte Jonah und schockierte mich damit ziemlich. Also hatte Dr. Stein sehr wohl etwas mitbekommen. Hatte sehr wohl mitbekommen, dass die Beziehung von Jonah und mir über ein normales Lehrer-Schüler-Verhältnis weit hinaus ging. Aber warum hatte er nichts gesagt? Meine Gedanken wurden von einem sehr leise sprechenden Dr. Stein unterbrochen. "Schon in Ordnung Jonah... wir hatten ja in den letzten Wochen keine Zeit zu reden... was ist das zwischen dir und dem Jungen?" Okay? Wollte er meinen Namen nicht aussprechen, weil er vermutete, dass ihn jemand abhörte, oder hatte mein eigener Biolehrer etwa meinen Namen vergessen? Rude. Ich vermutete, dass Jonah genau abwägte, was er dem anderen sagen wollte, weswegen es eine längere Stille gab. "Taylor und ich..." Jonah hielt inne und ich hielt den Atem an. Was würde er sagen? "Ich habe eine Grenze überschritten, die ich nicht hätte überschreiten dürfen und ich kann jetzt nicht mehr zurück." Okay. Das war jetzt nicht wirklich das, was ich erwartet hatte. Ich hatte erwartet, dass er mich komplett verleugnen würde, um uns beide zu schützen, aber anscheinen vertraute er Dr. Stein ziemlich. Wieder herrschte Stille im Raum, also schien der liebe Frank zu überlegen. Gefühlt fünf Minuten stand ich da, leicht verkrümmt, um vom Klassenzimmer aus nicht gesehen zu werden und war drauf und dran einfach wieder zu dem anderen zu gehen, da durchbrach Dr. Stein endlich wieder die Stille. "Ich wusste gar nicht, dass du schwul bist", meinte er und brachte Jonah und mich komplett aus der Fassung. Jeder andere Lehrer hätte Jonah jetzt zusammengestaucht, aber Dr. Stein ging gar nicht auf das Offensichtliche ein, sondern machte sich stattdessen über Jonahs Sexualität Gedanken. Ich musste über diese absurde, unpassende Aussage fast lachen und presste mir die Hände auf den Mund, um keinen Laut von mir zu geben. Trotzdem entfloh mir ein leises Geräusch, das sich in der absoluten Stille anhörte wie ein Donnerschlag. Ich erstarrte. Verdammt. Hatten sie mich gehört?

Because of you....Where stories live. Discover now