Kapitel 1

624 14 3
                                    

Es war ein sonniger Tag, das Wetter geradezu perfekt. Keine Wolke war zu sehen, es war warm, also genau so, wie man sich den perfekten Sommertag vorstellte. Zu einem perfekten Sommertag gehörte natürlich auch das Baden, was auch Amira, meine Schwester, so sah. Sie hatte bereits den ganzen Morgen davon geredet, dass sie unbedingt zum Meer wollte. Es war nur gute 5 Minuten Fußweg von unserem Haus entfernt, sodass wir problemlos hinlaufen konnten, allerdings musste ich sie wohl oder übel begleiten, denn sie war erst zehn und ich konnte sie ja leider nicht allein gehen lassen. Und unsere Eltern arbeiteten natürlich und hatten mir mal wieder den Babysitter-Job aufgedrückt. Meine Schwester war ein unglaubliches Plappermaul, redete wie ein Wasserfall und ließ mich gar nicht zu Wort kommen. Ich hörte ihr nicht wirklich zu, ich hatte besseres zu tun, als mir die neueste Geschichte von Amiras bester Freundin Betty anzuhören. Am Strand angekommen konnte ich sie nicht mehr bremsen und während ich noch unsere Sachen auspackte, rannte Amira bereits ins Wasser. Während ich ihr schnell hinterherkam, damit ihr nichts passierte, stellte ich auch noch fest, dass kaum andere Menschen hier waren. Wir waren beinahe allein am Strand, was ich sehr gut fand, da es mir eindeutig zu peinlich wäre, vor Bekannten mit meiner kleinen Schwester zu spielen. Wir blieben einige Zeit zusammen im Wasser, bevor ich keinen Bock mehr hatte und wieder an unseren Platz zurückkehren wollte. Ich drehte mich erst um, als ich feststellte, dass Amira mir nicht folgte. Tatsächlich stand sie trotzig im Wasser und hatte die Arme verschränkt. "Amira, bitte. Komm raus, wir können doch später nochmal baden gehen", versuchte ich sie zu überzeugen, aber sie schüttelte den Kopf. "Nein! Ich will nicht! Es macht viel mehr Spaß im Wasser zu spielen!  Am Strand ist es total langweilig!" Ich seufzte. Sie war so ein Sturkopf. So wie ich. "Amira, bitte. Ich kann dich nicht allein im Wasser lassen! Mom bringt mich um, wenn sie rauskriegt, dass du allein im Wasser warst!" Erneut schüttelte sie den Kopf. Meine Geduld war langsam, aber sicher am Ende, weswegen ich jetzt doch lauter wurde, was zur Folge hatte, dass sich kleine Tränen in Amiras Augen bildeten. Selbst schuld. "Amira! Ich sag es jetzt noch ein letztes Mal! Komm. Aus. Dem. Wasser." Erneut sah sie mich voller Trotz an, gab aber schließlich nach und machte Anstalten, sich zu mir ins flachere Wasser zu begeben. "Geht doch", murmelte ich leise und drehte mich um, watete zurück an den Strand. Dann geschah alles ganz schnell. Ich hörte noch ihren hellen Schrei, der panische Ruf nach meinem Namen, dann nichts mehr.

Ich konnte mich nicht bewegen. Nichts tun. Nichts sagen. Nicht denken. Es war jedes Mal das gleiche. Ich konnte nichts tun und sie nicht retten. Niemals.

Keuchend wachte ich auf. Ein Traum. Ich brauchte einige Sekunden, um zu realisieren, wo ich war und von was ich wach geworden war. Dann stellte ich meinen Wecker aus und setzte mich auf, um erstmal meine Gedanken zu ordnen. In letzter Zeit kamen diese verfluchten Albträume immer öfter und so langsam war es mir unmöglich, sie zu ignorieren. Ich blickte auf die Uhr meines Weckers, und hatte noch immer Mühe etwas zu erkennen. Zu schläfrig war mein Gehirn, aber entspannender Schlaf war ein Luxus, zu dem ich, seit ein oder zwei Monaten keinen Zugang mehr hatte. Ja, irgendwann in diesem Zeitraum hatten die Träume angefangen. Am Anfang war es noch nicht so schlimm gewesen, aber mit der Zeit, wurden die Träume häufiger, intensiver, realer. Ich durchlebte diesen verhängnisvollen Tag immer und immer wieder, aber davon wusste niemand etwas. Wem sollte ich es denn erzählen? Sie würden mir alle sagen, dass ich schuld war und dass es meine gerechte Strafe war, nachdem, was ich getan hatte. Und das schlimmste war, sie hatten recht. Mit einem Seufzen erhob ich mich von meinem Bett, suchte in dem Verhau, das meinen Kleiderschrank darstellte, Klamotten für den Tag raus und ging in das Badezimmer, das an mein Zimmer angrenzte. Ein eigenes Bad zu haben, war definitiv ein Vorteil, denn so musste ich mich nicht so früh am Morgen der Aufmerksamkeit meiner Mutter aussetzen. Ihre Übervorsichtigkeit war schon süß, zeigte sie mir doch, dass sie mich noch immer liebte. Bei diesem Gedanken musste ich kurz lächeln, aber das verging mir schnell, als sich ein anderer Gedanke in den Vordergrund meines Bewusstseins drängte. Du hast es nicht verdient zu lächeln. Ich wusste das. Alles, was er mir erzählte, war die Wahrheit. Wann immer er mir etwas ins Ohr flüsterte, sank meine Stimmung. Wann immer er da war, waren lachen, lieben, leben nicht möglich. Er hatte keinen Namen, aber er war immer bei mir. Wie eine Schattengestalt, die über meine Schulter schaute und mich bei allem beobachtete, was ich tat und was ich sagte, er  war störend, unerwünscht und doch immer da.

Because of you....Where stories live. Discover now