Kapitel 7

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PoV Jonah:

Ich beobachtete durch den Rückspiegel, wie Taylor zu seiner Haustüre lief und sich unters Vordach stellte. Ich war einen ziemlichen Umweg gefahren, um Taylor zu sich nach Hause zu bringen, aber das nahm ich für ihn gern in Kauf. Taylor verhielt sich manchmal so anders als andere in seinem Alter, dass ich ab und zu beinahe vergessen konnte, dass er erst 17 war. Er verhielt sich meist viel erwachsener als seine Mitschüler, schrieb immer gute Noten und passte meist sehr gut im Unterricht auf. Aber genau das war die Tatsache, die mich und andere Kollegen darauf gebracht hatten, dass Taylor vielleicht psychische Probleme haben könnte.

Anfang dieses Jahres war Taylor viel lebensfroher gewesen, hatte immer im Unterricht mitgemacht und war quasi der Traumschüler eines jeden Lehrers gewesen, eben der perfekte Schüler. Aber vor einigen Monaten änderte sich sein Verhalten drastisch. Erst langsam, dann immer schneller. Er verschloss sich immer mehr vor anderen und wurde ein stiller Schüler, etwas, dass einfach nicht zu Taylor hatte passen wollen. Aber wie so oft taten die meisten Lehrer dieses Verhalten als pubertäre Phase ab, die nichts Tieferes zu bedeuten hatten. Erst Taylors Sportlehrer hatte eine Beobachtung gemacht, die einfach nicht zu einer einfachen pubertären Phase hatte passen wollen. Taylor hatte in den letzten Monaten erschreckend viel abgenommen, was meinem Kollegen in Sport eben besonders aufgefallen war. Er war damit zu mir gekommen, da ich als Vertrauenslehrer Ansprechpartner für alle war und hatte mich gebeten, mit Taylor zu reden. Das hatte ich dann heute, nachdem Taylor in meinem Unterricht eingeschlafen war endlich in die Tat umsetzen können.

Das Hupen eines anderen Autos hinter mir riss mich aus meinen Gedanken und brachte mich dazu, weiter zu fahren. Ich hatte vorhin an einer roten Ampel gehalten und völlig in Gedanken versunken nicht mitbekommen, dass sie wieder auf grün gesprungen war. Ich beschleunigte und bog dann aus Taylors Wohnviertel ab, um nach Hause zu fahren. Taylor wohnte definitiv in der teureren Gegend der Stadt, in der ein wunderschönes, großes Einfamilienhaus neben dem anderen stand. Anhand der Tatsache, dass auch Taylors Haus extrem groß zu sein schien und noch dazu in bester Lage war, konnte ich daraus nur schließen, dass auch Taylors Eltern ziemlich vermögend sein mussten. Das hätte ich definitiv nicht erwartet, die meisten Schüler, die ich aus dieser Wohngegend kannte, stellten den Reichtum ihrer Eltern doch relativ offen zur Schau, meistens mit teuren Handys und Markenklamotten. Taylor hingegen schien sich ziemlich wenig aus solchen Statussymbolen zu machen. Meine Güte, er war ja wirklich ein bemerkenswerter junger Mann. Ich schüttelte den Kopf, denn ich machte mir viel zu viele Gedanken über ihn, das war ja wirklich nicht mehr normal.

Nach einer weiteren Viertelstunde Fahrt war ich endlich zuhause. Meine Wohnung lag im fünften Stock eines Wohnhauses, war nicht übermäßig groß, aber sehr gemütlich und außerdem relativ billig. Ich stieg aus meinem Wagen aus, schloss ab und öffnete die Tür zum Treppenhaus und begann die Treppen nach oben zu steigen, weil wir leider keinen Aufzug hatten. An meiner Wohnung angekommen kramte ich schnell den Schlüssel aus meiner Tasche und schloss auf. Nachdem ich eingetreten war und die Tür hinter mir mehr oder weniger zugeschlagen hatte, seufzte ich erleichtert auf. Es war ein langer, emotionaler Tag gewesen und zwar nicht nur emotional für Taylor, auch für mich war so ein Gespräch nicht einfach. Ich zog meine Schuhe und Jacke aus und begab mich dann in das Wohnesszimmer meines Apartments, wo ich erstmal meine Tasche neben der großen Schreibtisch fallen ließ und anschließend zum Kühlschrank lief, um nach etwas Essbaren zu suchen. Ich wurde nicht wirklich fündig, weswegen ich mir lediglich Käsebrot machte.

Als ich dann aufgegessen und aufgeräumt hatte, setzte ich mich an meinen Schreibtisch, um dort zu arbeiten und nachzudenken. Hauptsächlich natürlich über Taylor. Dass ausgerechnet er suizidgefährdet sein könnte, daran hatte ich noch nie einen Gedanken verschwendet. Es wäre mir nie in den Sinn gekommen. Aber das Bild, dass ich auf meinem Schreitisch stehen hatte, erinnerte mich daran, dass man unglaublich viel nicht sehen konnte. Dass man nicht in den Kopf anderer sehen konnte. Dass ein wertvolles, junges Leben unglaublich schnell beendet werden konnte. Dass man manchmal machtlos war . Dass es manchmal zu spät war, um jemanden zu retten. Aber für Taylor war es noch lange nicht zu spät, im Gegenteil. Mir war vollkommen klar, dass Taylor mich nach dieser Aktion vermutlich hassen würde, aber das nahm ich gerne in Kauf, wenn ich dafür sein Leben retten konnte. Ich hatte ihm zwar heute Mittag gesagt, dass ich eine Schweigepflicht hatte, aber so ganz stimmte das nicht. War ein Schüler suizidgefährdet, so durfte, nein, musste ich die Eltern informieren. Mit diesem Gedanken griff ich in meine Tasche, zog eine Mappe mit Listen heraus und suchte Taylors Nummer heraus. Ich atmete noch einmal tief durch, bevor ich die Nummer wählte. Es klingelte dreimal bevor das Telefon abgenommen wurde und eine Frau anfing zu sprechen. "O'Harris?" "Guten Tag Mrs. O'Harris, hier ist Jonah Benett, der Chemielehrer ihres Sohnes. Ich muss dringend mit Ihnen und am besten auch mit Ihrem Mann sprechen."

PoV Taylor:

Nachdem Jonah endgültig weg war drehte ich mich um, kramte meinen Schlüssel aus meinem Rucksack und schloss die Tür auf. Im Haus empfing mich eine beinahe geisterhafte Stille. Komisch, um diese Zeit waren eigentlich sowohl meine Mutter als auch Kian zuhause. Tatsächlich vernahm ich leise und gedämpfte Geräusche aus dem Keller. Und kurz darauf kam auch meine Mutter die Treppe herauf. "Hallo mein Schatz! Na, wie war dein Schultag?", fragte sie auch direkt voll mit der Energie, die sie immer an den Tag legte. Ich lächelte müde, konnte ihr einfach nicht die selbe Energie zurückgeben. "Hi Mum. Mein Schultag war ganz okay. Wir haben übrigens Chemie rausbekommen." Sie schaute mich erwartungsvoll an. "Und?" "Ich hab' fünfzehn Punkte", murmelte ich vor mich hin. Es interessierte mich inzwischen nicht mehr sonderlich, 13, 14 und 15 Punkte waren meine Standartnoten. Das Gesicht meiner Mutter hellte sich hingegen noch mehr auf und sie fiel mir überschwänglich um den Hals. "Mensch Taylor, das freut mich für dich! Ich bin stolz auf dich!"

Sie steckte mich mit ihrer guten Laune ein wenig an und löste sich wieder von mir. "Achso, ich wollte dir nur noch sagen, dass ich später noch einkaufen gehe, wenn Kian wieder da ist. Brauchst du irgendetwas?" Ich überlegte kurz, schüttelte dann aber den Kopf. "Nein, mir fällt grade nichts ein." Ein anderer Gedanke drängte sich in den Vordergrund. "Du Mum, wann kommt Dad eigentlich wieder?" Mein Vater war Montag früh morgens zu einer Geschäftsreise aufgebrochen, seitdem hatte ich ihn nicht mehr gesehen. Meine Mutter lächelte wieder. "Er müsste morgen Vormittag zurückkommen." "Oh... okay. Dann geh ich mal hoch in mein Zimmer." Sie sah mich verwirrt und besorgt an. "Willst du nicht noch etwas essen? Du hast doch bestimmt auch nichts gefrühstückt", meinte meine Mutter. Stimmt. Ich war heute morgen nur mit einem Apfel aus dem Haus gegangen und diesen hatte ich auch nicht angerührt. Normale Menschen hatten jetzt wahrscheinlich Hunger.

Ich nicht.

Am Liebsten hätte ich abgelehnt etwas zu essen, aber ich wollte meiner Mutter keine Sorgen bereiten. "Äh... doch klar. Ich esse gerne etwas, was gibt's denn?" "Pfannkuchen." "Cool. Dann geh ich mal und ess was." Meine Mutter nickte nur und ich ging in die Küche wo tatsächlich an dem, meiner Meinung nach viel zu großen, Esstisch ein Teller voll mit frischen Pfannkuchen stand, die ich auch gezwungenermaßen alle aß, wobei ich mich zu jedem einzelnen Bissen zwingen musste. Meine Mutter hatte sich zwischendurch auch zu mir gesetzt und räumte auch das Geschirr wieder weg, als ich alles gegessen hatte. Ich verschwand endlich in meinem Zimmer, wo ich dann auch direkt begann meine Hausaufgaben zu machen. Nach einer gefühlten Ewigkeit in der ich mich mit einem englischen Essay über die Bürgerrechte abquälte, wurde ich von der Türklingel aus meinen Gedanken gerissen.

Da ich im Haus sonst keine Geräusche hörte, ging ich mal davon aus, dass meine Mutter mit etwas anderem beschäftigt war und die Tür nicht öffnen konnte. Also stand ich auf und lief schnell die Treppe herunter, um die Türe aufzumachen. Dort stand mir, schon wieder, Kian gegenüber, der schief lächelte. "Hey, Taylor", begrüßte er mich gut gelaunt. "Hey, Kian. Wenn du jetzt da bist kann meine Mum ja jetzt einkaufen gehen", stellte ich fest. Als er nickte, drehte ich mich um und schrie gefühlt das gesamte Haus zusammen. "MUM! KIAN IST DA!!" Als sie mir nicht antwortet verdrehte ich nur die Augen und trat zur Seite, sodass Kian eintreten lassen konnte. Wir standen kurz in peinlicher Stille nebeneinander, bevor Kian das Wort ergriff. „Du kannst ruhig wieder in dein Zimmer gehen." Ich nickte und ging die Treppe wieder hinauf in mein Zimmer. Ich setzte mich gähnend an meinen Schreibtisch und wollte das Essay fertig schreiben, aber ich war so dermaßen müde, dass ich es schnell wieder aufgab. Mein Gehirn brachte keinen anständigen Satz zusammen, also legte ich mich stattdessen auf mein Bett, scrollte noch ein wenig durch Instagram, bevor mich die Müdigkeit endgültig packte und ich beschloss, mich ein wenig auszuruhen. Nur ein paar Minuten, schoss mir noch durch den Kopf, bevor ich bereits wegdriftete.

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