Lexie (3)

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„Eine Mutter tut mehr für ihr Kind, als sie für ihr eigenes Leben tun würde."
~ Gotthold Ephraim Lessing



D E X T E R

"Mama." Entgeistert starre ich Lexie an, die neben mir auf dem Sofa liegt und mich angrinst. In den letzten Monaten hat sie deutlich zugenommen, weshalb durch das Grinsen ihre Pausbäckchen noch mehr hervortreten. Sie streckt ihre kleinen Händchen nach mir aus und grinst weiter. "Mama." "Nein, ich bin nicht deine Mama!", entgegne ich lauter als beabsichtigt, doch Lexie versteht mich nicht. "Mama." "Nein!", schreie ich schon beinahe, was dazu führt, dass die Kleine zu weinen beginnt. Sofort tut es mir Leid, dass ich sie so erschreckt habe und ich nehme sie rasch in den Arm und wiege sie so lange hin und her, bis sie sich beruhigt hat. Dann lege ich mich etwas bequemer hin und lege Lexie auf meinen Bauch, sodass sie ihren Kopf auf meiner Brust ablegen kann. Irgendwann verfalle ich in ein leichtes Dösen, bis die Tür zum Wohnzimmer geöffnet wird und meine Mutter hereinkommt. Als sie mich mit der mittlerweile schlafenden Lexie auf meinem Buch sieht, lächelt sie. "Die Kleine wird wirklich von Tag zu Tag größer." Ich nicke schwach. "Schwerer wird sie auch. Es ist mittlerweile ganz schön anstrengend, sie hochzuheben." "Sie ist ja auch schon über ein Jahre alt, vergiss das nicht." "Wie könnte ich das vergessen", murmle ich und meine Mutter merkt, dass sie einen wunden Punkt getroffen hat, weshalb sie schnell das Thema wechselt. "Hat sie eigentlich schonmal versucht zu laufen?" "Ja, ein paar Mal, aber es klappt noch nicht so ganz. Der Arzt meinte, sie würde sich wahrscheinlich erst etwas später entwickeln, weil sie anfangs unterernährt und in schlechtem Zustand war." "Also wird sie auch erst später anfangen zu sprechen?" Ich schüttle den Kopf. "Das tut sie schon." Die Augen meiner Mutter beginnen zu leuchten. "Oh, wirklich? Was hat sie denn schon gesagt?" Ich schlucke. "Sie hat mich vorhin Mama genannt." "Das ist ja wundervoll." Entgeistert starre ich mein Gegenüber an. "Das ist furchtbar. Es ist falsch. Ruthie ist ihre Mum, nicht ich." Meine Mutter seufzt und schaut mich sanft an. "Ruthie war Lexies Mutter und das wird sie auch immer sein. Sie ist die Person, die Lexie auf die Welt gebracht hat, nachdem sie sie zehn Monate lang ausgetragen hat. Aber du bist jetzt Lexies Mum. Die Frau, die sie großzieht, die ihr die Welt zeigt und ihr alles weitergibt, was sie braucht, um eines Tages selbst eine großartige Frau zu sein." "Ich bin ihre Mum?", wiederhole ich und spüre zum ersten Mal ein seltsames Gefühl von Frieden in meinem Inneren. Seit Lexies Geburt habe ich mich dagegen gewehrt, Ruthies Tod zu akzeptieren und mich als Lexies Mum anzusehen, aber genau das bin ich. Ich bin Lexies Mum. Und dieser Gedanke zaubert mir ein Lächeln aufs Gesicht. Ich schaue meine Tochter sanft an, die in diesem Moment aufwacht und mich verschlafen ansieht, dann erwidert sie mein Lächeln. "Mama."

"Mum?" Verwirrt blinzelte ich und wurde von dämmrigem Licht empfangen. Ich sah mich um und stellt fest, dass ich mich in einem Käfig befand. Sofort beschleunigten sich mein Puls und meine Atmung und ich schnappte nach Luft, während die Panik zusehends von mir Besitz ergriff. "Mum!" Ich erstarrte und drehte langsam meinen Kopf in die Richtung, aus der ich die Stimme vernommen hatte. Tränen erfüllten meine Augen, als ich meine Tochter entdeckte, die im Käfig neben mir saß. "Lexie! Du bist hier, oh mein Gott." Ich kroch so schnell ich konnte zu dem Gitter, das mich von meiner Tochter trennte und streckte so viele Finger wie möglich hindurch. Lexie ergriff sie und drückte leicht zu. Ich ließ meinen Blick prüfend über sie gleiten und entdeckte ein blaues Auge und eine aufgeplatzte Lippe. Der Anblick brach mir das Herz. "Er hat dich geschlagen, oder?" "Ja, aber das halte ich aus. Wir haben das doch trainiert, Mum." Ich nickte. Natürlich hatte ich mit ihr besprochen, wie man Schläge aushielt und seine Emotionen unterdrückte, wenn man in Gefahr war, aber dass sie es so gut umsetzen konnte, überraschte und schockierte mich zugleich. "Hat er noch irgendwas anderes mit dir gemacht, außer dich zu schlagen?" Lexie schluckte. "Er hat mich ausgezogen und angefasst. Aber mehr nicht, wirklich nicht. Er hat nicht das gemacht, was er mit dir und Ruthie gemacht hat." Ich atmete erleichtert auf. "Das ist gut, das ist sehr gut. Jetzt werden wir uns einen Plan überlegen, um hier rauszukommen." "Das denke ich nicht", mischte sich eine gehässige dritte Stimme in unser Gespräch ein. Ich sah auf und entdeckte Charles vor meinem Käfig. "War es nicht nett von mir, dich zu ihr zu bringen, Vögelchen?" Ich schluckte, während Charles die Tür meines Käfigs aufschloss und dabei eine Waffe auf mich richtete. Hinter ihm betrat ein anderer Mann den Käfig und bevor ich reagieren konnte, hatte er sich meine Hände geschnappt und um jedes meiner Handgelenke Handschellen gelegt. An diesen zog er mich jetzt hoch und ignorierte mein kurzes Schwanken. Stattdessen zog er mich so ruckartig hinter sich her, dass ich beinahe hinfiel. Gerade rechtzeitig konnte ich mich fangen und mein Gleichgewicht wiederfinden, dann hatten wir bereits unser Ziel erreicht. Vor mir erhob sich ein großes X, welches aus zwei Holzbalken bestand. Ich erinnerte mich nur zu gut daran, wie Charles uns früher daran gefesselt und stundenlang vergewaltigt hatte. Ich ahnte, dass das erneut auf mich zukommen würde, aber dieses Mal galten meine Gedanken nicht mir, sondern Lexie. Während Charles' Helfer mich am X fesselte, sah ich meinen Entführer flehend an. "Bitte nicht vor Lexie. Tu ihr das nicht an. Du hast Ruthie doch geliebt. Das würdest du ihrer Tochter nicht antun!" "Ach Vögelchen, du hast keine Ahnung, was ich tun kann und was nicht." Er nickte seinem Helfer zu, welcher daraufhin den Raum verließ. Ich zog und zerrte an den Fesseln, während meine Arme bereits zu kribbeln begannen, weil meine Hände oberhalb meines Kopfes festgemacht waren und so das ganze Blut aus meinen Händen nach unten floss. Doch es brachte nichts, die Fesseln saßen fest und ich musste hilflos mitansehen, wie Charles auf mich zukam und meine Bluse aufriss. "Sieh gut zu, Lexie. Sieh zu und lerne." "Schau weg, Schatz!", befahl ich meiner Tochter und sofort schloss sie die Augen, doch Charles verpasste mir eine schallende Ohrfeige, woraufhin Lexie die Augen sofort wieder aufriss. "Du siehst zu! Oder willst du, dass ich ihr weh tue?" Sofort schüttelte Lexie den Kopf und ließ ihren Blick nun nicht mehr von mir weichen. "Bitte Charles, tu ihr das nicht an. Sie ist noch ein Kind, sie wird diese Bilder nie wieder loswerden. Du zerstörst gerade ihr Leben." "Oh glaub mir, das ist erst der Anfang." Er grinste mich an und in diesem Moment verstand ich, was er wollte. "Du wirst mich umbringen, nicht wahr? Du willst Rache, weil ich Lexie großgezogen habe und du sie nie zu Gesicht bekommen hast, obwohl du ihr leiblicher Vater bist und ihre Mutter geliebt hast." "Ich bin stolz auf dich, Vögelchen. Du bist wirklich eine gute Profilerin geworden. Nur schade, dass es dir nichts mehr nützen wird." Mit diesen Worten begann er, mich weiter meiner Kleidung zu entledigen und ich schloss die Augen und ertrug es einfach. Für Lexie, der ich meine Schreie nicht zumuten wollte und für Ruthie, der ich versprochen hatte, ihre Tochter vor allem Bösen auf der Welt zu beschützen. Ich hatte versagt. Das Böse in Person hielt uns gefangen und wir hatten keine Chance zu fliehen.

Profile Me (Criminal Minds FF)Where stories live. Discover now