it's time to talk

3.1K 116 19
                                    

Mensch zu sein heißt, eine Sammlung von Erinnerungen zu haben, die einem sagen, wer man ist und wie man zu dem geworden ist.
~ Rosecrans Baldwin

D E X T E R

Lächelnd betrachtete ich das Bild von Lexie und mir. Es war mit einer Polaroidkamera aufgenommen worden und für mich war es eins der schönsten, die ich von uns hatte. Lexie war darauf noch ein Baby, gerademal ein knappes halbes Jahr alt. Ich biss mir auf die Lippe und schaute auf, als sich hinter mir jemand räusperte. Überrascht, dass so früh morgens schon jemand hier war, drehte ich mich um. Es war Reid, der mich glücklich anlächelte. "Du bist hier. Als du für die letzten Tage Urlaub genommen hast, haben wir schon gedacht, du verlässt uns." "Keine Sorge, ich habe vor zu bleiben. Deshalb bin ich auch hier. Ich muss mit Hotch reden. Es ist Zeit, die Karten auf den Tisch zu legen." Reids Blick wurde mitfühlend. "Es geht um den Kingston-Fall, nicht wahr? Bist du bereit, ihm deine Geschichte zu erzählen?" Ich atmete tief durch und zuckte dann die Schultern. "Ich weiß es nicht. Eigentlich nicht, eigentlich wollte ich es auch zuerst Morgan erzählen, weil er es am meisten verdient hat, aber jetzt hat die Erhaltung meines Jobs Vorrang. Während der freien Tage hab ich so viel Zeit mit meiner Tochter verbracht, wie selten in den letzten Jahren. Wir stehen uns extrem nah und ich habe erst in den letzten Tagen begriffen, wie sehr ich das vermisst habe. Gemeinsam Filme schauen, Spiele spielen oder einfach schweigen und zusammen auf dem Sofa oder dem Bett liegen. Sie ist dabei sich langsam hier einzuleben und ich kann ihr das jetzt nicht nehmen. Also muss ich meinen Job behalten. Außerdem hatte ich die Hoffnung, dass dieses Familiending, von dem ihr immer sprecht, auch für mich gelten kann und damit auch für die Kleine gilt." Ich beendete meinen Monolog und Reid wollte gerade etwas sagen, als Hotch hinter ihm erschien und uns unterbrach. "Wenn das so ist: In mein Büro." Er verzog dabei keine Miene und ich nickte schnell und folgte ihm. Sein Büro erschien mir heute viel unfreundlicher als bei meinem ersten Besuch hier, aber das war wohl der Situation geschuldet. Hotch setzte sich, ich tat es ihm gleich und atmete tief durch. "Also, ich hör' dir zu und alles, was du hier sagst, bleibt auch hier." Seine Stimme klang weicher als eben und sofort wurde ich sicherer und legte das Bild von Lexie auf meinem Arm vor ihn. Er betrachtete es einen Moment und ich hätte schwören können, dass er leicht lächelte. "Da ist Lexie erst ein knappes halbes Jahr alt und ich bin 20. Wie ich dir schonmal erzählt habe, ist sie nicht meine leibliche Tochter, aber sie ist bei mir, seit sie auf der Welt ist. Ich denke, ich muss früher anfangen. Morgan und ich kennen uns aus der Highschool, wir waren beste Freunde. Zwei Tage nach unserem Abschlussball wurde ich entführt. Hast du schonmal vom Harper-Fall gehört?" Hotch nickte, doch sagte nichts, weshalb ich weitersprach. "Er hat in Chicago jahrelang junge Mädchen entführt und vergewaltigt. Einige sind gestorben, aber er war in erster Linie kein Mörder. Er war lediglich ein Serienvergewaltiger und obwohl es die Grundsteine der BAU schon gab, wurde sie in diese Ermittlungen nie miteinbezogen. Charles Harper hat seine Opfer im Keller seines Hauses festgehalten und immer wieder sexuell missbraucht. Ich war eines dieser Opfer." Hotch schluckte, schwieg aber weiterhin. "Ich wurde vier Jahre lang dort festgehalten, zusammen mit vielen anderen Mädchen, denn immer wieder haben sich welche umgebracht oder so sehr gewehrt, dass er sie zu Tode verprügelt hat. Einige sind verblutet, weil sie Fehlgeburten oder Eileiterschwangerschaften hatten. Charles hat versucht, Schwangerschaften zu vermeiden, hat schwangere Mädchen zum Beispiel in den Bauch geschlagen." Ich biss mir auf die Lippe, meine Hand begann zu zittern und meine Stimme wurde kratziger, weil ich die Tränen unterdrückte. "Eines Tages brachte er ein neues Mädchen mit. Sie war erst 16, so alt wie ich bei meiner Entführung, und hieß Ruth. Sie wollte aber nur Ruthie genannt werden und sie war unglaublich mutig. Mutiger als alle, die ich je kennengelernt habe. Charles hatte einen Narren an ihr gefressen und verbrachte oft viele Stunden mit ihr, auch hinter dem Vorhang, wo er seine Fesseln und Peitschen aufbewahrte. Das hatte Folgen. Ruthie wurde schwanger, aber sie wollte das Kind um jeden Preis schützen. Ich konnte irgendwann nicht mehr zählen, wie oft sie ihren Kopf von ihm verprügeln ließ, weil sie ihren Bauch schützte. Und schließlich war es dann soweit und sie bekam Wehen. Charles wollte damit nichts zu tun haben, aber er hat mich zu ihr gelassen, damit ich ihr helfe. Es hat sehr lange gedauert, bestimmt zwei Tage. Und in dem Moment, in dem ihre Tochter das erste Mal schrie-", ich stockte und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht", in dem Moment, in dem ihre Tochter das erste Mal schrie, starb sie. Zuvor hatte ich ihr versprechen müssen, dass falls ihr etwas passieren sollte, ich mich um die Kleine kümmern würde und sie wollte, dass es Lexie heißt, wenn es ein Mädchen wird." Ich stockte, brauchte einen Moment um mich zu sammeln. Mein Blick fiel auf das Polaroidbild und ich richtete mich unwillkürlich auf und straffte die Schultern. "Ich habe mein Leben für Lexie riskiert, habe sie geschützt, habe irgendwie versucht sie zu ernähren. Und dann kamen eines Tages plötzlich Polizisten die Treppe runter und wir wurden befreit. Lexie hat das alles nur knapp überlebt, aber sie ist eine Kämpferin, wie ihre Mutter. Deshalb habe ich ihr auch den Zweitnamen Ruth gegeben, den Namen ihrer Mutter. Das ist der Grund für mein Verhalten, der Grund für meinen Charakter, warum ich so bin wie ich bin. Vier Jahre lang war ich in Charles' Keller gefangen, hatte eigentlich schon psychisch aufgegeben. Aber Lexie brauchte mich, wir haben uns gegenseitig das Leben gerettet. Dieses Mädchen ist das Beste, was mir je passiert ist, sie ist meine Sonne und alles, wofür ich lebe. Und genau dieses Mädchen hat es verdient, dass ich alles für sie gebe und dazu gehört auch, mich meiner Vergangenheit zu stellen und dafür zu sorgen, dass ich meinen Job hier behalte. Deshalb bin ich hier und deshalb habe ich es dir erzählt. Für Lexie. Und für Ruthie." Mit Tränen in den Augen, aber erhobenen Hauptes schaute ich Hotch an und entdeckte ebenfalls Tränen in seinen Augen. Dann stand er einfach auf, kam um seinen Schreibtisch herum und schloss mich in seine Arme. Und ich sackte in seiner Umarmung zusammen und weinte bitterlich.





Das Geheimnis ist gelüftet, vermutlich habt ihr mit sowas in der Art schon gerechnet. Ich habe ehrlich gesagt lang überlegt, ob ich Jess zu einem Vergewaltigungsopfer mache, denn ich persönlich habe ein ziemliches Problem damit, dass es viele Geschichten auf Wattpad und auch von Criminal Minds gibt, wo jemand vergewaltigt wird und es ist nur ein Mal kurz Thema und drei Kapitel später schläft sie mit jemandem aus dem Team. Vergewaltigung ist nichts, was man schnell und leicht verarbeitet und genau deshalb ist diese Geschichte so ausgelegt, dass Jess' Entführung schon 17 Jahre her ist. Ich hoffe ihr versteht, dass ich die jahrelange Gefangenschaft und Vergewaltigung zu einem wichtigen Teil dieser Geschichte machen muss, weil es sonst absolut unrealistisch wäre.

P.S.: Falls jemand von euch schonmal sexuell belästigt oder missbraucht wurde und damit zu kämpfen hat, dann sucht euch bitte Hilfe. Ihr könnt mich auch jederzeit privat anschreiben. Niemand muss mit sowas alleine fertig werden!

Profile Me (Criminal Minds FF)Where stories live. Discover now