new case, old memories (3)

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Wenn ich an die Vergangenheit denke, kommen so viele Erinnerungen zurück.
~ Steven Wright

D E X T E R

"Er hat praktisch keine Abkühlphase mehr, irgendwas stresst ihn, macht ihn hektisch", stellte Rossi fest, während er die Leiche des Mädchens betrachtete. "Vielleicht muss er North Carolina oder Nashville innerhalb der nächsten Tage verlassen und will seinen Sadismus vorher noch so viel wie möglich ausleben", schlug JJ vor. Ein Auto raste an uns vorbei und ich schaute mich um. "Es ist noch nicht ganz dunkel, er ist früher als sonst." "Vielleicht hat er die Nachrichten gesehen und will uns provozieren. Er könnte Spaß daran gefunden haben, dass wir ihn noch nicht geschnappt haben." Ich schnaubte abwertend. "Wahrscheinlich erregt ihn das noch mehr, dieses Adrenalin, dass er eigentlich vorsichtiger werden müsste." Ich biss mir auf die Lippe und wagte einen weiteren Blick auf die Leiche. Unsicher näherte ich mich ihr und hockte mich neben die junge Blondine. Auf ihren Wangen waren noch salzige Spuren zu erkennen, sie war höchstens ein paar Stunden tot. Ich schluckte und vor meinem inneren Auge erschienen alte Bilder, die ich längst verdrängt hatte. Ich spürte meinen Mageninhalt aufsteigen, weshalb ich mich ruckartig erhob und mich einige Meter entfernte, um mich in den Straßengraben zu übergeben. Während mein Essen von heute und gestern mich verließ, spürte ich, wie mir Tränen vom Gesicht tropften und ich zu zittern begann. Als mein Magen leer war, richtete ich mich langsam auf und zupfte ein Taschentuch aus meiner Hosentasche, mit dem ich mir den Mund abwischte. Zum Glück trug ich meine Haare heute in einem Pferdeschwanz, deshalb musste ich nur meinen Mund sauber machen. Zurück blieb ein widerlich saurer Geschmack in meinem Mund und die Scham, weil ich solche Schwäche gezeigt hatte. Eine Hand legte sich auf meinen Rücken und ich zuckte zusammen, wirbelte herum und haute der Person hinter mir eine rein. Entsetzt erkannte ich, dass es Reid war, der sich jetzt vor Schmerz stöhnend das Gesicht hielt. "Oh mein Gott, es tut mir so Leid", stammelte ich und nahm seine Hand von seinem Auge. Mein Faustschlag zeichnete sich bereits jetzt deutlich ab. "Schon okay", winkte der junge Doktor ab und schenkte mir ein aufmunterndes, aber auch besorgtes Lächeln. "Bei dir alles okay?" Ich nickte und versuchte mit meinen Händen mein Gesicht zu trocknen, ohne die Wimperntusche komplett zu verschmieren. Erleichtert bemerkte ich, dass auch das Zittern weniger wurde und atmete tief durch. Reid schaute mich einfühlsam an. "Jeder von uns hat Fälle, die ihm näher gehen, als andere. Wenn du reden willst, bin ich jederzeit für dich da, okay?" Ich nickte und bemühte mich um ein schwaches Lächeln. "Danke Spencer." Es war das erste Mal, dass ich ihn mit seinem Vornamen ansprach.

"Leute, Leute, Leute, ich hab was. Sowohl in Tennesse, als auch in Georgia wurden Leichen gefunden. Im letzten halben Jahr fand man zwei junge Mädchen auf dieselbe Art ermordet an den Seiten zweier Durchfahrtsstraßen. Ein Täter konnte nicht ermittelt werden. Außerdem hab ich nach Überwachungskameras gesucht und welche gefunden. Es gibt zwei Kameras, die den Täter wahrscheinlich aufgenommen haben. Allerdings hab ich es mir noch nicht angeschaut, weil es trotzdem noch echt viel Material ist", informierte Garcia uns. "Schick es nach Nashville, Reid und Dexter sollen es sich ansehen", ordnete Rossi an. Ich zog überrascht die Augenbraue hoch. "Wieso ich?" "Weil du fast genauso schnell lesen kannst wie Reid, also kannst du auch fast genauso viel Filmmaterial in derselben Zeit anschauen." Ich nickte, denn das leuchtete ein. Die nächsten zwei Stunden verbrachte ich mit Reid in einem dunklen Raum, wo jeder von uns vor einem Bildschirm saß und sich die Überwachungsvideos im Zeitraffer ansah. Hochkonzentriert beobachtete ich den Abschnitt, in dem wir hofften, die Ablage der Leiche zu erkennen. Und dann hatte ich Glück. Reflexartig pausierte ich das Video und riss die Augen auf. "Ich hab ihn!", entfuhr es mir und innerhalb weniger Sekunden war Reid auf seinem Stuhl neben mich gerollt. Sein typischer Geruch kribbtelte mir angenehm in der Nase und ich musste mich zusammenreißen, um mich wieder auf das Video zu konzentrieren. "Da. Er hält kurz an, die Tür wird geöffnet und die Leiche wird einfach weggeworfen wie Müll." "Du hast Recht. Das ist unser Täter." Ich packte den Laptop und wir trommelten das Team im Konferenzraum zusammen, dann riefen wir in Quantico an. "Garcia, ich hab dir gerade einen Screenshot vom LKW geschickt. Kannst du bitte das Kennzeichen überprüfen?" "Na logo. Das gute Stück ist auf eine Spedition zugelassen. Die transportieren alles mögliche, auch über die Staatsgrenzen hinweg. Oh Mann, ihre Hauptrouten sind genau die Straßen, wo die fünf Leichen gefunden wurden." "Garcia, wir brauchen die Mitarbeiter der Spedition." "Klar, einen Moment. Es sind insgesamt 110 Angestellte, 78 davon sind Fahrer." "Wie viele Fahrer sind vorbestraft?", ging ich ins Detail. "21." "Unser Verdächtiger ist wegen Gewalttätigkeit vorbestraft. Such' nach Fällen wie Körperverletzung." "Bleiben noch neun Fahrer übrig." "Er ist nicht verheiratet, hat sich aber vielleicht schonmal scheiden lassen." "Da hab ich drei für euch. Zuerst Marty Fisher, war noch nicht verheiratet, vorbestraft wegen der Beteiligung an einer Kneipenschlägerei. Dann hätten wir Daniel Kingston, er hat wegen schwerer Körperverletzung sogar schonmal im Knast gesessen. Außerdem wurde er mal wegen Belästigung angezeigt, und zwar von einer 20 Jährigen. Und der Knaller kommt noch. Eine Woche bevor die erste Leiche in Georgia gefunden wurde, hat seine Frau sich von ihm getrennt. Und seit fünf Tagen ist die Scheidung offiziell." "Das ist unser Täter. Kannst du herausfinden, wo er sich gerade aufhält?" "Ja, die haben all ihre Fahrzeuge mit GPS ausgestattet. Er ist auf dem Weg nach Tennesse. Ich schicke euch seinen momentanen Standpunkt und halte euch auf dem Laufenden." Sofort sprangen wir alle auf und rannten nach draußen zu den SUVs, JJ informierte Officer Sabatino, der sich uns mit vier Polizeiwagen anschloss. Zwei weitere Streifenwagen fuhren in die andere Richtung und würden versuchen, Kingston den Weg abzuschneiden. In halsbrecherischem Tempo heizte ich durch die Straßen Nashvilles und hatte die ganze Zeit das Gesicht dieses Schweins vor Augen. Ich wusste, dass Wut nicht gut war in diesem Job, aber ich konnte es nicht abschalten. Zu sehr erinnerte mich dieser Fall an die schlimmste Zeit meines Lebens, die vor 17 Jahren angefangen hatte. Ich trat noch fester aufs Gas, meine Fingerknöchel traten weiß hervor, weil ich meine Hände immer fester ins Lenkrad krallte. Und plötzlich erschien vor mir der LKW. Ich warf einen Blick auf das ziemlich verdreckte Kennzeichen, aber es gab keinen Zweifel. Wir hatten ihn! Ich sah in der Ferne die Lichter der beiden Streifenwagen in der Dunkelheit leuchten und auf uns zu rasen. Ich biss mir auf die Lippe und beschleunigte erneut. "Dexter, was zum Teufel machst du?", fragte Morgan, während er sich leicht in den Sitz krallte. "Ich stoppe das Arschloch." Mit diesen Worten überholte ich den LKW und driftete so heftig, dass meine Seite zu dem riesigen Fahrzeug zeigte. Mit Schwung öffnete ich die Autotür und richtete meine Waffe auf den sich schnell nähernden LKW. Ich konnte bereits das Gesicht des Fahrers erkennen, der dreckig grinste und nicht daran zu denken schien, anzuhalten. "Dexter, wir müssen hier weg! Er wird nicht anhalten!", rief Morgan gegen den Lärm der Schnellstraße, doch ich ignorierte ihn. Der LKW würde noch höchstens 15 Sekunden brauchen, bis er uns erreicht hatte. "Dexter, steig in den verdammten Wagen ein!", schrie Morgan erneut. "Ich werde ihn nicht entkommen lassen!", entgegnete ich entschlossen. Ich spürte Tränen in meinen Augen, zu sehr hatte ich jemand anderen vor Augen, der ähnlich schreckliches wie Kingston getan hatte. Weiterhin rührte ich mich keinen Millimeter, hinter mir erklangen die Sirenen der beiden Streifenwagen, die unsere Straßensperre jetzt unterstützten. Ich atmete tief durch, der LKW war immer noch kein bisschen langsamer geworden. Ich hörte, wie Morgan die Polizisten anwies, in Deckung zu gehen, dann wurde ich plötzlich ruckartig zur Seite gerissen und wo ich eben noch gestanden hatte, knallte jetzt der LKW in die Autos. Es knirschte hässlich und knallte laut, Funken sprühten und erleuchteten die Nacht, doch ich sprang sofort auf und rannte los. Mit Schwung riss ich die Tür zur Fahrerkabine auf, ein dreckiges Grinsen erwartete mich, zusammen mit einer auf mich gerichteten Waffe. Sein Schuss machte einen lauten Knall, im selben Moment drückte ich ab.

Profile Me (Criminal Minds FF)Where stories live. Discover now