Give me the Night

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Gehetzt blickte ich zu Mary, dann wirbelte ich herum und rannte los. Mit wenigen Schritten war ich beim Zaun und sprang drüber. Ohne langsamer zu werden, hetzte ich weiter. Hinter mir meinte ich, laute Stimmen zu hören, wurde aber vom nächsten Zaun abgelenkt. Drüberspringen, weiter, nicht langsamer werden! Waren sie hinter mir? Links die Häuser, rechts, vorne und hinten die Zäune. Ein Zaun, der mir über den Kopf reichte, versperrte mir den Weg. Kein Zögern, ich wandte mich nach rechts, sprang über den niedrigeren Zaun in den Garten den gegenüberliegenden Hauses. Wieder nach links wenden, hier war der Zaun zum Glück niedriger. Weiter, nicht anhalten, immer weiter. Jetzt lagen die Häuser zu meiner Rechten. Das Blut rauschte laut in meinen Ohren.

Hinter dem nächsten Zaun erwartete mich ein kläffender Köter. Geifer flog von seinen Lefzen, als er bedrohlich den Kopf schüttelte und auf mich zugerannt kam. Ich keuchte erschrocken auf, erhöhte nochmal mein Tempo und segelte beinahe über den nächsten Zaun.

Stolpernd kam ich in diesem Garten zum Stehen. Schweratmend stützte ich mich auf meine Oberschenkel. Ich hatte mich völlig vorausgabt. Doch die Panik griff schon wieder nach mir. Mit weit aufgerissenen Augen wandte ich mich um. Direkt hinter mir war niemand, keine Sicherheitskräfte. Ich versuchte angestrengt, irgendwelche Geräusche zu hören, waren sie nahe? Aber ich hörte nur das Blut in meinen Ohren rauschen und mein heiserer, keuchender Atem. Ich wusste nicht, was die Sicherheitskräfte beim Safe House noch alles von mir gesehen hatten. Wussten sie, in welche Richtung ich gerannt war? Kurz kam Sorge um Mary auf, doch die schob ich entschlossen beiseite. Das brachte mich jetzt nicht weiter.

In einer Blitzentscheidung entschloss ich, mich aus den Gärten heraus zu wagen. Ich wusste, nicht über wie viele Zäune ich noch springen konnte. Und ich wollte noch so ein unschönes Erlebnis wie das mit dem Hund vermeiden. Zum Glück war ich schneller gewesen.

Meine Oberschenkelmuskeln beklagten sich, als ich mich wieder aufrichtete und in Gang setzte. Entschlossen biss ich die Zähne zusammen. Ich musste weiter! In einen etwas sanfteren Dauerlauf verfallend, lief ich an dem dunklen Haus vorbei und über die Einfahrt auf die Straße.

Kurz fragte ich mich, ob es wohl die richtige Entscheidung gewesen war, als mein Blick auf die Straßenlaternen fiel. Die leere Straße war ziemlich gut beleuchtet, das Risiko, dass mich hier jemand sah, war ungleich größer als in den Gärten. Nach kurzem Ringen mit mir selbst wandte ich mich aber doch wieder nach links und joggte die Straße entlang.

Ich hatte die leichte Hoffnung, dass man mich zumindest auf den ersten Blick für eine Joggerin halten konnte, die zugegebenermaßen zu einer sehr ungewöhnlichen Zeit ihre Runden drehte. Mir war jedoch klar, dass spätestens nach dem zweiten Blick klar werden würde, dass hier irgendwas nicht stimmte. Niemand ging mit Rucksack joggen.

Das Blut rauschte in meinen Ohren durch die Anstrengung vor einigen Minuten, trotzdem versuchte ich, nach jedem verdächtigen Laut zu lauschen. Einige Minuten lang lief ich ungestört und ungesehen durch die Nacht. Langsam rauschte das Blut leiser, meine Atmung verlangsamte sich zumindest ein wenig.

Nur meiner ungebrochenen Aufmerksamkeit war es zu verdanken, dass ich sie so früh hörte. Motorengeräusche! Adrenalin schoss durch meine Adern. Sie suchten die Straßen mit Autos nach mir ab. Ich blieb stehen, sah mich wie wild nach einer Möglichkeit, mich zu verstecken, um. Die Motorengeräusche kamen näher. Die Straße um mich herum war leer, parkende Autos boten zu wenig Schutz. Dunkle Hauseingänge lockten mit falscher Sicherheit, doch zu viele Häuser hatten ein Haustürlicht, das auf Bewegungsmelder reagierte.

Verzweifelt blickte ich die Straßen rauf und runter. Beim Blick runter sah ich die Scheinwerfer, noch klein und schwach, doch sie kamen schnell näher. Ich musste von der Straße runter! Ich fluchte einmal lautlos, dann huschte ich zu einem nahe parkenden Pick-up Truck. Die Einfahrt, in der er stand, stieg zum Haus hin leicht an. Mit fliegenden Fingern streifte ich den Rucksack ab, während ich weiterhin auf die näher kommenden Autos lauschte. Dann robbte ich unter den Pick-up. Den Rucksack fest an mich gepresst, lag ich dort und versuchte so flach wie möglich zu atmen.

Beißender Benzingestank stieg mir in die Nase. Vorsichtig lehnte ich mich nach rechts und linste an meinem Körper vorbei in Richtung Straße. Ich sah nicht besonders viel, lediglich sehr viel Unterseite des Pick-ups und ein paar Meter der Einfahrt. Ich versuchte mich zu beruhigen, dass sie mich so auch von der Straße aus nicht sehen konnten.

Trotzdem starrte ich wie besessen auf die paar Meter Einfahrt, während ich auf die näherkommenden Autos lauschte. Ich hatte Recht gehabt, es war nicht nur eins. Sie fuhren langsam, vermutlich wollten sie mich nicht verpassen, sollte ich mich irgendwo verstecken. Der Aspalt der Einfahrt drückte hart gegen meine Schulterblätter, aber ich bewegte mich nicht. Die Autos fuhren mit tief brummenden Motoren vorbei. Wenn ich die Scheinwerfer richtig gezählt hatte, waren es zwei.

Als Ausläufer des Scheinwerferlichts durch die Einfahrt wanderten, hielt ich die Luft an, doch die Autos fuhren weiter ohne anzuhalten oder auch nur langsamer zu werden. Erst als sie schon lange an mir vorbei waren, erlaubte ich mir ein erleichtertes Aufatmen.

Ich wartete unter dem Auto, bis ich keine Motoren mehr hören konnte. Dann blickte ich auf mein Smartphone, erschreckte mich, weil das Bildschirmlicht so hell war und machte es schnell wieder aus. Langsam und ungeachtet des harten Untergrunds zählte ich bis 300. Weil ich immer noch zu viel Angst hatte, sie könnten zurückkommen, zählte ich noch mal bis 200. Dabei kam ich mir so paranoid vor, dass ich bei 137 aufhörte und mich wispernd ausschimpfte. Sie waren vorbei gefahren und sie waren nicht wieder zurück gekommen.

Trotzdem brauchte ich vermutlich noch einige Minuten, bis ich tatsächlich langsam und umständlich unter dem Pick-up hervorkroch. Einige Sekunden stand ich ganz still und sah mich um. Alles blieb still. Also schulterte ich meinen Rucksack und machte mich langsam wieder auf den Weg. Diesmal ging ich nur langsam zu Fuß, ich hatte das Gefühl, alles Adrenalin und alle Energie für diese Nacht schon verbraucht zu haben.

Ich versteckte mich noch zweimal vor vorbeifahrenden Autos und einmal vor einem Typen, der anscheinend tatsächlich mitten in der Nacht mit seinem Hund joggen ging. Die Nacht war kühl und ich brauchte eine ganze Weile und eine Bushaltestelle mit Stadtplan, bis ich verstand, wo ich mich befand und wie ich wieder in bekannte Gewässer kam.

Aber obwohl die Nachtluft meine Finger kalt werden ließund meine Beine von meiner überstürzten Flucht schmerzen, schaffte ein leisesLächeln es langsam aber sicher auf mein Gesicht. So langsam und sicher, wie einGedanke in mein Bewusstsein sickerte. Zum ersten Mal seit Wochen war ichtatsächlich frei.

Dark as midnightUnde poveștirile trăiesc. Descoperă acum