All the small things

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Es war der 10. März, als ich meine Kleidung und meine restlichen Sachen von meinem Unit Leiter ausgehändigt bekam. Meine Anwältin wartete geduldig, bis ich mich umgezogen hatte, betrachtete mich im Anschluss jedoch ausgesprochen kritisch. Ich zog verlegen die Schultern hoch. Die roten Blutflecken auf dem senfgelben Pullover waren immer noch gut sichtbar, außerdem roch er furchtbar.

„Hm, daran müssen wir arbeiten", meinte Ms. Garcia, „aber zuerst bringen wir dich zur Notfallpraxis, dass sich jemand deinen Bauch anschaut."

Als wir ins Freie traten, atmete ich tief ein und die kalte Luft in meiner Lunge trieb mir die Tränen in die Augen. Es war zwar Anfang März, doch der Winter war noch ein letztes Mal zurückgekehrt, bäumte sich ein letztes Mal gegen den beginnenden Frühling auf. Ein starker Wind wehte mir die Haare ins Gesicht und es war so kalt, dass meine Finger kribbelten.

Ich beeilte mich ins bereitstehende Auto, einen silbernen Volvo, einzusteigen und hielt vor Glück seufzend meine steifen Hände in den warmen Luftstrom, der mir aus der Heizung ins Gesicht blies. Ms. Garcia fuhr selber, doch im hinteren Teil des Autos saß ein Mann im Anzug, der allerdings überhaupt nicht wie ein typischer Anzugträger aussah. An der Seite seiner Stiernackens schlängelte sich ein weißes Kabel bis hoch zu seinem Ohr und er hatte auf der linken Seite eine Ausbeulung in Jackett.

Mit einem leicht verunsicherten Blick zu meiner Anwältin deutete ich mit dem Daumen nach hinten. „Ms. Garcia, da... äh?"

Sie wandte nur kurz den Kopf, den Mann schien sie selbstverständlich hinzunehmen. „Ach, Sicherheitsdienst. Ist nur zu deinem Schutz."

Ein skeptisches „Aha" entwich mir, doch ich stellte keine weiteren Fragen, auch wenn der Gedanke in meinem Kopf rumspukte, ob ab jetzt wohl immer eine persönliche Sicherheitsfachkraft in meinem Schatten lauern würde.

Wir kamen bei der Notfallpraxis an, dadurch dass schon Samstag war, war es die einzige Praxis, die noch geöffnet hatte. Ich hatte erwartet, dass Ms. Garcia mit reinkommen würde, weiterhin auf mich auf mich aufpassen würde, doch sie meinte, sie müsse weiter. Meine private Fachkraft würde mich begleiten.

Der Mann hatte bist jetzt noch kein Wort gesagt und wenn ich ehrlich war, musste ich sagen, dass ich etwas eingeschüchtert von ihm war. Als er nun hinter mir aus dem Auto ausstieg, stellte ich fest, dass er mich um weit mehr als einen Kopf überragte und etwa doppelt so breit wie ich war. Ein Teil meines Kopfes, der wohl zu wenig beschäftigt war, spielte mit dem Gedanken, ob er mit dieser Menge an Muskeln wohl überhaupt schnell rennen konnte, oder ob ich es wohl, natürlich rein hypothetisch, schaffen würde, ihm davonzulaufen.

Ms. Garcia winkte noch einmal und fuhr davon, mein Begleiter und ich steuerten auf den Eingang der Praxis zu. Als wir etwa eine halbe Stunde wieder heraustraten, meine Verletzung frisch gereinigt und verbunden und ein Antibiotikum in der Hand, hatte er immer noch kein Wort gesagt, ganz zu schweigen davon, sich vorzustellen.

Er deutete mir, zu warten, ging ein paar Schritte weiter und telefonierte ein paar Minuten. Dann kam er zurück und stellte sich neben mich, den Mund so fest geschlossen, als würde er nie reden. Ein paar Sekunden hielt ich die Stille aus und starrte verlegen vor mich hin.

„Äh, und Sie sind?", fragte ich dann doch. Sein Blick huschte einmal zu mir, als sei er überrascht, dass ich sprechen konnte, dann richtete er sich wieder nach vorn, stur auf die andere Straßenseite. Frustriert stöhnte ich auf.

„Ach, kommen Sie schon! Reden Sie mit mir, ich bin aus dem Knast draußen", fast war es mir peinlich, dass ich ihn so anbettelte. Seine gewaltiger Brustkorb hob und senkte sich, als er geräuschlos seufzte, doch er wandte sich zu mir um.

„Sie können mich Walker nennen", meinte er kurzangebunden, „und wenn wir beide Glück haben, müssen wir uns nicht lange gegenseitig aushalten."

Etwas brüskiert von seiner Unhöflichkeit hielt ich den Mund, bis ein schwarzes Auto vor uns hielt. Der Fahrer trug ebenfalls Anzug, war ein ganzes Stück schlaksiger als meine persönliche Fachkraft, allerdings genauso mundfaul.

Ich hätte gern gefragt, ob wir jetzt endlich zu meinen Geschwistern fuhren, doch angesichts dieser schweigenden Mauer ließ ich mich lieber tief in den Sitz sinken und starrte aus dem Fenster.

Wir fuhren eine ganze Weile bis wir in einen Vorort von Philadelphia kamen. Ich richtete mich ein bisschen auf.

„Wo fahren wir hin?", fragte ich nun, was ich mir die ganzen letzten Minuten über verkniffen hatte. Die schweigende Mauer ließ keine Antwort zu. Genervt seufzte ich auf und ließ mich wieder zurückfallen. Anscheinend musste ich abwarten.

Immerhin musste ich nicht mehr lange warten, denn kurz nach meiner Frage hielten wir vor einem kleinen Häuschen, inmitten eines Gartens und dichten Hecken. Es war das unauffälligste Haus, dass ich jemals gesehen hatte und gleichzeitig zog ich tief die Luft ein, als mir klar wurde, dass sie uns in einem Haus unterbrachten, ein Haus ganz für uns allein.

Nun hielt mich kaum noch etwas im Auto und bevor mich Walker oder der Chauffeur aufhalten konnten, war ich aus dem Auto gesprungen und hielt auf das Haus zu. Bevor ich die drei Stufen zu der Haustür hochlaufen konnte, wurde plötzlich die Tür aufgerissen und ein kleiner Blitz stürmte auf mich zu.

„Liz! Liz! Liz!", skandierte der kleine Blitz dabei und sprang mir in die Arme, wo ich feststellte, dass der Blitz aus meiner kleinen Schwester Lily bestand.

„Oh Lily, was habe ich dich vermisst", murmelte ich in ihr wildes lockiges Haar und knuddelte sie fest.

Ich ließ sie erst wieder los, als ich die Anwesenheit von Walker hinter mir spürte. Lily starrte zu dem großen Mann auf und griff unwillkürlich nach meiner Hand. Ich lächelte bemüht zuversichtlich auf sie herunter und drückte ihre zarte Hand fest und, so hoffte ich, beruhigend.

„Lily, das ist Walker. Er beschützt uns", versuchte ich, ihr zu erklären. Sie nickte einmal ernst, dann wandte sie sich wieder zu mir.

„Kommst du mit rein? Die anderen warten bestimmt schon auf dich."

Ich blickte zu dem Häuschen und tatsächlich warteten meine Geschwister nicht drinnen auf mich. Tyler stand mit Finn auf dem Arm in der Tür, Marc in seinem Rücken. Ein breites Grinsen stahl sich auf mein Gesicht und ganz langsam sickerte die Erkenntnis in mein Gehirn, dass ich wirklich nicht mehr im Gefängnis saß.

Dark as midnightWhere stories live. Discover now