Cell Nr. 3-3-62

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Der grobe, weiße Stoff kratzte auf meiner Haut, als ich mich nach dem Duschen wieder in meinen Sport BH zwängte. Etwas, woran ich mich noch nicht gewöhnt hatte. Müde sah ich in den Spiegel. Meine Haare hingen nass herab und klebten an meinen Schläfen.

Es war mein zweiter Tag hier und mein Freiheitsdrang wurde immer größer. Die Tage liefen nach einem strikten Muster ab. Morgens gab es von sechs bis sieben Uhr Frühstück, Mittagessen von elf bis zwölf und Abendessen von fünf bis sechs Uhr. Es wurde mehrmals am Tag und in der Nacht durchgezählt, nachts musstest du einfach nur zeigen, dass du noch in deiner Zelle warst und noch lebtest, aber tagsüber musstest du dich zusammen mit den anderen aufstellen. Noch etwas, was ich hier nicht mochte.

Ich war in einem Bereich untergebracht in dem es nur Frauen gab, die wie ich auf ihren Prozess warteten, aber es gab in diesem städtischen Gefängnis von Philadelphia auch Bereiche für Männer und eine Standardbesetzung von inhaftierten Frauen. Ich teilte mir meine Zelle mit einer etwa zwanzigjährigen Latina, die nur gebrochenes Englisch sprach und der einige Zähne fehlten. Mein Schulspanisch war leider auch nicht das Beste und so hatten wir noch nicht viel miteinander geredet.

Ich hatte bereits zweimal Besuch von meiner Pflichtverteidigerin gehabt, was mir ein bisschen Mut gemacht hatte. Sie war noch sehr jung für meinen Geschmack, vielleicht gerade einmal Anfang dreißig, doch sie gab sich kämpferisch und meinte, wir würden auf Notwehr plädieren.

Ich hatte schon mit Marc telefoniert und ihn und Mary auf meine Liste für Besucher gesetzt, die allerdings noch überprüft werden musste. Da ich hier nur in Untersuchungshaft war, durfte ich außer meiner Anwältin nur von Familienmitgliedern besucht werden. Vielleicht würde ich heute endlich Bescheid bekommen, dass Marc und Mary mich besuchen durften. Ich hatte nicht gewollt, dass mich Tyler und die Kleinen im Gefängnis sahen, deswegen hatte ich für sie gar nicht erst angefragt.

Ich trocknete mir die Haare mit dem Handtuch ab und wickelte es mir dann um den Kopf, sodass ich aussah wie eine ägyptische Pharaonin. Nur mit Unterwäsche bekleidet tapste ich wieder zu meiner Zelle mit der Nummer 3-3-62. Die Tür war offen und Lorena lag auf ihrem bereits gemachten Bett. Sie hatte das Untere belegt und mir unter einigen Schwierigkeiten erklärt, dass sie Angst hatte, aus dem Oberen rauszufallen. Da ich nett sein wollte, hatte ich das Obere genommen, aber ich konnte ihre Angst verstehen. Das Stockbett hatte keinerlei Geländer, weswegen ich an die Wand gepresst schlief, sorgsam darauf bedacht, nicht zu nah an die Kante zu rollen.

Ich nickte Lorena zu, die mich jedoch gar nicht beachtete, da sie die Kopfhörer ihres MP3-Players in den Ohren hatte und den Blick fest auf das Display gerichtet hielt. Seufzend öffnete ich meine Spindtür und betrachtete die Auswahl. Ich konnte mich zwischen fünf Hosen mit exakt demselben Beigeton, fünf braunen T-Shirts und fünf beigen Pullis entscheiden. Was für eine farbliche Explosion... Ich traute mich an etwas Gewagtes und zog eine beige Hose und einen beigen Pulli an. Etwas bestürzt über meinen überhand nehmenden Sarkasmus schüttelte ich den Kopf. Wenn ich noch viel länger hier drin war, würde ich mich noch zu der Gang der Misanthropen gesellen...

Ich zog am Handtuch und ließ es von meinem Kopf gleiten, schüttelte die Haare aus, fuhr mir kurz mit den Fingern hindurch, um die gröbsten Knoten zu entfernen und band sie dann am Hinterkopf zusammen. Sie waren immer noch leicht feucht, aber ich hatte keine Lust, nochmal in den Waschraum zu gehen und mich für zwanzig Minuten unter einen dieser elendigen Haartrockner zu stellen. Meinem Gefühl nach wurden die an der frischen Luft mindestens genau so schnell wieder trocken. Ein Kontrollblick in den Spiegel ließ mich unwillkürlich aufstöhnen. Ich hatte blaue Ringe unter den Augen und meine feuchten Haare kräuselten sich.

Dann zuckte ich mit den Schultern. Wem wollte ich hier schon gefallen? Der Gedanke versetzte mir einen Stich. Ich wollte es mir nicht eingestehen, doch ich vermisste Ryan. Trotz seines Verrats, trotz seiner Folter vermisste ich es, wie er mich umarmt hatte, wie er mir die Haare aus dem Gesicht strich, wie er mich ansah und automatisch anfing zu lächeln. Gleichzeitig wurde ich jedesmal so unglaublich wütend, wenn ich an ihn dachte. Er hatte mich verraten! Er hätte Mary den Hounds ohne weiteres auf dem Silbertablett serviert, ganz zu schweigen von Marc und auch die Erinnerungen an die Nacht in dem Keller der Hounds ließen mich einfach nicht los. Und dann war da noch dieses überwältigende Gefühl des Schuldbewusstseins, gemischt mit der erschreckenden Erkenntnis, dass ich einen Menschen getötet hatte. Immer wieder wachte ich in der Nacht auf, weil ich geträumt hatte, ich würde seinen Vater erneut erschießen, aber immer, wenn er auf dem Boden aufschlug, war es auf einmal Ryan, der meine Kugel in der Brust hatte.

Energisch schüttelte ich die Gedanken ab, hängte das nasse Handtuch über die Spindtür und beschloss, mal wegen meiner Besuchserlaubnis nachzufragen. Ich rief Lorena noch einen Gruß zu, dann verschwand ich aus unserer Zelle. Kurz blickte ich auf meine Armbanduhr, die meine Anwältin mir besorgt hatte. Es war kurz vor Acht Uhr. Ich hatte noch genug Zeit, in den Verwaltungstrakt zu gehen und zu fragen, bevor die Zehn-Uhr-Zählung anstand.

Auf dem Weg zum Verwaltungstrakt unterdrückte ich wiederholt mein Gähnen. Diese nächtlichen Zählungen machten mich fertig. Die um Mitternacht war noch in Ordnung, aber die gegen vier und fünf Uhr morgens waren einfach nur Folter, auch wenn ich nur mein Gesicht zeigen musste, konnte ich danach ewig nicht mehr einschlafen. Lorena hatte zwar gemeint, da würde man sich mit der Zeit dran gewöhnen, trotzdem fand ich es furchtbar.

Im Unit Secretary wurde mir jedoch gesagt, dass der Unit Manager gerade nicht da war. Ich wollte mich schon enttäuscht abwenden und wieder gehen, als die schon etwas ältere Sekretärin mich nochmal zurückrief.

„Das hätte ich fast vergessen", meinte sie und zog ein Blatt aus einem Stapel. „Mr. Williams hat einen Zettel für dich dagelassen." Kurz überflog sie das Blatt, dann nickte sie und sah wieder auf. „Deine Vorschlägen den Besuch betreffend wurden überprüft und bestätigt. Du kannst sie anrufen, sie dürfen dich jetzt besuchen." Ich konnte mich gerade so zurückhalten, keinen Freudenschrei auszustoßen. Stattdessen lächelte ich die Sekretärin, Mrs. Pembroke konnte ich auf ihrem Schildchen lesen, besonders breit an.

„Vielen Dank", meinte ich. „Müssen sie irgendetwas beachten, wenn sie kommen?"

„Oh, sie sollten sich ordentlich anziehen und, natürlich, keine Waffen oder ähnliches mitbringen. Sie können dir allerdings Fotos oder einen MP3-Player mitbringen. Das müssen sie beim Eingang abgeben, es wird dann überprüft und später dir übermittelt."

Ich nickte. „Okay, vielen Dank. Bis dann", verabschiedete ich mich und beeilte mich, das nächste Telefon zu finden. Ich wählte Marcs Nummer aus dem Gedächtnis und konnte ein fröhliches Lächeln nicht unterdrücken, als er sich meldete.

„Gute Nachrichten, du kannst mich endlich besuchen..."


So, das wars mal wieder. Ich hoffe, es gefällt euch. Was haltet ihr von dem Gefängnis? Voten und kommentieren nicht vergessen ;)

Dark as midnightWhere stories live. Discover now