Siblings

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Die Busschuhe, die ich vor dem Besucherraum gehen meine leichten Stoffschuhe, die wir im Zellentrakt trugen, tauschen musste, scheuerten abscheulich an den Knöcheln. Doch mein Ärger über die Schuhe verflog, sobald ich in den Raum gelassen wurde und dort, an einem Tisch Marc sitzen sah.

Er hatte sich auf seine Ellbogen gestützt und die Hände grüblerisch vor dem Kinn gefaltet. Es tat unglaublich gut, ihn zu sehen. Mit aller Kraft musste ich mich zurückhalten, nicht auf ihn zu zu rennen und ihm in Arme zu fallen. Aber wir durften nicht rennen und ich wollte vermeiden, von den Wachen zurechtgewiesen oder gar niedergeknüppelt zu werden. Also ging ich, schnell aber kontrolliert, zu Marc.

Er sah auf, als ich näher kam und seine sorgenvoll gerunzelte Stirn glättete sich, als er mich erleichtert anlächelte. Ich lächelte zurück. Er stand auf und schloss mich in eine feste Umarmung. Ich atmete tief seinen vertrauten und in gewisser Weise auch wieder ungewohnten Geruch ein und gab mir Mühe, nicht zu schluchzen. Wir hatten uns gerade einmal zwei Tage lang nicht gesehen, trotzdem fühlte es sich an wie mehrere Wochen.

Nur widerwillig ließ ich ihn schließlich los und setzte mich auf die gegenüberliegende Seite des Tisches. Auch Marc ließ sich wieder auf die Bank sinken. Besorgt sah er mich an.

„Wie geht es dir? Wirst du gut behandelt? Hast du irgendwelche Probleme?", löcherte er mich sogleich mit Fragen. Ich verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen.

„Ist nicht so schlimm hier drinnen. Niemand behandelt mich übermäßig scheiße...", versuchte ich, ihn zu beschwichtigen. Ich beugte mich leicht nach vorn und senkte die Stimme, als ich das Gespräch fortführte.

„Wo wohnt ihr gerade? Ihr seid doch nicht in die Wohnung zurück, oder?"

Marc hatte sich ebenfalls nach vorn gebeugt und schüttelte den Kopf. „Keine Sorge, so blöd bin ich nicht. Das wäre der erste Ort, wo die Hounds nach uns suchen würden..." Ich sah mich unwohl um.

„Kannst du das hier drin bitte nicht aussprechen? Ich weiß nicht genau, ob nicht irgendjemand hier zu ihnen gehört.", bat ich ihn. Er musterte mich scharf, dann nickte er beinahe unsichtbar.

„Wo seid ihr... Nein, sag es mir besser nicht. Sicher ist sicher", meinte ich. „Wie geht es Mary? Ist sie noch im Krankenhaus?" Marc hob eine Augenbraue, natürlich hatte er gemerkt, dass ich das Thema gewechselt hatte.

„Ja, aber inzwischen liegt sie auf einer normalen Station", er schien noch etwas sagen zu wollen, brach jedoch ab. Das wollte ich allerdings nicht zulassen.

„Erzähl mir von ihrer Operation!", verlangte ich, „Erzähl mir von dem Tag." Er runzelte die Stirn, doch er kam meinem Wunsch nach.

„Sie hat fucking viel Blut verloren, hatte sie schon, als die Sanitäter ihr einen Druckverband angelegt haben. Deswegen hat sie schon im Krankenwagen eine Bluttransfusion bekommen. Im Krankenhaus ist sie direkt in den OP gekommen. Aber die haben mich nicht reingelassen. Deswegen habe ich Tyler angerufen und ihm gesagt, er solle mit Finn und Lily ins Krankenhaus kommen. Er hat nachgefragt, welches und war innerhalb einer halben Stunde mit den beiden Kleinen da. Er ist wahnsinnig erwachsen geworden..." Ich nickte langsam mit dem Kopf. Ja, das war er. Das waren wir alle, gezwungenermaßen.

„Sie haben Mary mehrere Stunden lang operiert. Am Ende haben sie gemeint, es hätte Komplikationen gegeben und es wäre knapp gewesen, aber sie würde es vermutlich schaffen." Ich nickte, dass sie es schaffen würde, hatte er mir bereits gesagt, als ich ihn vom Polizeirevier aus angerufen hatte. Das mit den Komplikationen hatte er allerdings verschwiegen.

„Was für Komplikationen? Was ist passiert?", fragte ich nach.

„Willst du das wirklich wissen?", fragte Marc mich ernst und ich nickte entschlossen. Es ging um Mary, ich musste alles wissen. Es war meine Schuld, dass sie im Krankenhaus lag, wenn auch indirekt.

„Also gut, wie du willst. Der Arzt hat gemeint, bei der OP wäre eine Niere angerissen und es hätte innere Blutungen gegeben. Fast hätte sie es nicht geschafft. Sie mussten die Niere rausnehmen..." Meine linke Hand war zum Mund gewandert. Entsetzt starrte ich ihn an.

„Sie hat eine Niere verloren?", flüsterte ich. Innerlich überlegte ich fieberhaft. Wann hatten wir das letzte Mal in Biologie die menschliche Anatomie gehabt? Hatte der Mensch nur eine Niere oder mehrere? Und konnte man überleben, wenn man eine Niere verlor?

„Schau nicht so", Marcs Stimme war auf einmal ruppig geworden. „Sie überlebt das. Man hat zwei Nieren, hat der Arzt gesagt. Man kann ohne weiteres auch mit nur einer Niere überleben." Erleichtert atmete ich auf.

„Wie geht es David?", erkundigte ich mich nach dem zweiten Mitglied meiner Familie, das im Krankenhaus lag.

„Schon etwas besser. Das Loch in der Lunge wächst zu und seine Ärztin hat gemeint, wir könnten ihn vielleicht noch Ende dieser Woche aus dem Krankenhaus mitnehmen."

„Ich weiß nicht, was ich ohne dich machen würde...", meinte ich kopfschüttelnd. „Ich weiß nicht, wie das alles funktionieren sollte." Marc erwiderte meinen Blick schweigend und mit unbeweglicher Miene. Ein paar Sekunden starrten wir uns an. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, geschweige denn, was er dachte.

„Das war alles nicht so geplant", meinte er schließlich. Seine Kiefermuskeln spannten sich an und ich meinte, Verbitterung in seinen Augen sehen zu können.

„Du hattest einen Plan?", fragte ich und versuchte, leise aufzulachen, was jedoch eher schlecht als recht gelang. Irgendwie schlichen sich Tränen in meine Augen und ich versuchte erbittert, sie wegzublinzeln. Ich konnte jetzt nicht einfach heulend zusammenzubrechen. Marc verzog sein Gesicht.

„Liz, bitte, nicht heulen. Du weißt, dass ich damit nicht umgehen kann, verdammt!", fluchte er. „Das wird schon, ok? Wir kriegen das irgendwie auf die Reihe..."

„Das wird schon?", meine Stimme zitterte. Verdammt, ich wollte mich nicht so aufregen, doch ich konnte mich nicht zurückhalten. „Scheiße, ich werde wegen Mordes angeklagt. Wenn ich verurteilt werde, kriege ich wahrscheinlich lebenslänglich! Und während ich hier drin hocke und auf meinen Prozess warte, müssen sich meine Geschwister vor einer kriminellen Organisation versteckt, zu der zu allem Überfluss..." Gerade so konnte ich mich bremsen. Marc wusste nicht, dass Ryan zu den Hounds gehörte. Ich hatte keine Ahnung, wie er reagieren würde, wenn ich es ihm erzählen würde. Wütend ballte ich meine Fäuste. Jeder einzelne Muskel in meinem Körper war angespannt.

„Hey, atme mal tief durch", vorsichtig legte Marc eine Hand auf meine Arm. Im ersten Moment wollte ich ihm meinen Arm entziehen, doch dann spürte ich seine beruhigende Wirkung. Ein paar Sekunden schwiegen wir und meine Atmung verlangsamte sich wieder.

„Okay, ich kümmere mich um unsere Geschwister und du schaust erstmal, dass du hier drin überlebst. Und dann lassen wir alles weitere auf uns zukommen. Wer weiß, vielleicht sieht alles morgen schon ganz anders aus. Ist das ein Deal?", fragte er mich sanft und ich nickte. Ich wusste, dass von ihm keine weiteren Aufmunterungsversuche kommen würden. Er hatte bereits seinen besten Versuch präsentiert.

„Okay, ist ein Deal", antwortete ich und meine Stimme war wieder fest.

Dark as midnightHikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin