It's gonna be allright

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Im Vergleich zu dem Gespräch mit Marc war es beinahe spielend leicht, Mary zu überreden, ihre Aussage zuzusichern. Ich rief sie nicht mehr am Donnerstag an, da Marc erst am Nachmittag Zeit gehabt hatte, mich zu besuchen und er danach nicht nochmal ins Krankenhaus fuhr.

So hing ich am nächsten Morgen gegen zehn Uhr an der Strippe und knetete schon wieder nervös meine Finger. Ich hatte diesmal nur fünfzehn Minuten Zeit, effektive Überzeugungsarbeit zu leisten, danach würde ich abgewürgt werden.

Als ich nur zehn Minuten später (um Mary zu überreden hatte ich vielleicht gerade einmal drei Minuten gebraucht) wieder auflegte, war ich ehrlich erstaunt. Ich hätte davor nicht gedacht, dass es so leicht sein würde. Natürlich war Mary nicht so ein ausgesprochener Sturkopf wie mein Bruder und sie war eher dran gewöhnt, auf mich zu hören, doch es war so einfach gewesen, dass mich der leise Verdacht beschlich, Marc hätte sie vielleicht doch schon ein bisschen auf meinen Anruf vorbereitet.

Ich war versucht, direkt danach meine Anwältin anzurufen und ihr zu erzählen, dass ich den Deal annehmen würde und auch meine Geschwister aussagen würden, doch die Schlage hinter mir war lang und ich war mir sicher, dass die anderen es nicht tolerieren würden, wenn ich zwei Anrufe hintereinander machen würde.

Als ich beschwingt in meine Zelle zurückkehrte, erwartete mich Post. Ein Brief lag umgedreht auf unserem Tisch, verwundert sah ich zu Lorena.

„Ist für dich", krächzte sie unter ihrer Decke hervor. Ich drehte den Brief um und sah das sie Recht hatte. Noch etwas konnte ich auf den ersten Blick erkennen, nämlich wer diesen Brief geschrieben hatte. Diese ordentliche, geschwungene Schrift würde ich immer wieder erkennen. Ryan. Ohne einen Gedanken an seinen Inhalt zu verschwenden, nahm ich den Brief in beide Hände und zerriss ihn in kleine Stücke, die ich mit ausdrucksloser Miene in unseren Papierkorb warf.

„Da ist aber jemand sauer", merkte Lorena mit leicht belustigtem Unterton an. „Hättest du lesen sollen, der mag dich wirklich...", fügte sie hinzu, als ich schwieg.

Entrüstet drehte ich mich zu ihr um. „Hast du meinen Brief gelesen?"

Sie ließ ein heiseres Kichern hören. „Du wolltest ihn ja offensichtlich nicht lesen. Kann ja nicht schaden, hab ich mir gedacht..." Ich runzelte meine Stirn ob dieser Dreistigkeit, doch eigentlich konnte es mir egal sein. War es auch. Ich wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben, bekräftigte ich mir nochmals, auch wenn mein Blick ungewollt zum Papierkorb schweifte.

Um mich von dem zerstückelten Brief abzulenken, setzte ich mich auf den Hocker und versuchte, Lorena unter ihrer Decke auszumachen. Sie hatte sich in Embryonalhaltung zusammengekrümmt und wirkte unter der Decke so klein wie ein Kind. Ihre Haare lagen wirr und fettig auf dem Kopfkissen und bedeckten ihr halbes Gesicht. Mit einem Anflug von Besorgnis runzelte ich die Stirn.

„Hast du heute schon was gegessen?", fragte ich sie. Lorena schüttelte stumm mit dem Kopf. Ich blickte auf meine Armbanduhr und stellte fest, dass es noch etwa anderthalb Stunden bis zum Mittagessen waren.

„Hast du denn Hunger?", fragte ich weiter, da es nicht so aussah, als ob Lorena sich öffnen würde. Ich erntete wieder nur ein Kopfschütteln. Etwas hilflos zuckte ich mit den Schultern.

„Kann ich dir sonst irgendwie helfen?", es ging ihr offensichtlich nicht gut. Nun hob sie endlich ihren Kopf vom Kissen, auch wenn es nur fünf Zentimeter waren.

„Wenn du nicht zufällig was Crack da hast, nicht", meinte sie ungerührt und fügte ein Grinsen an, bei dem man ihre Zahnlücken zählen konnte. Ich starrte sie fassungslos an und in meinem Kopf fügten sich die Puzzlestücke zusammen. Ihre Zahnlücken, ihre ausgezehrte Gestalt, sie war drogenabhängig. Bedrückt wich ich ihrem Blick aus. Sie ließ ein schrilles Lachen hören, aus dem keinerlei Belustigung sprach.

„Ja, das ist ein ziemlicher Stimmungskiller, was?", fragte sie sarkastisch. Mit einem Stöhnen richtete sie sich etwas weiter auf, sodass sie sich mit dem Rücken an die Wand lehnen konnte. Durchdringend blickte sie mich an.

„Willst du wissen, warum ich hier drin sitze?", fragte sie mit harter Stimme.

„Nur wenn du es mir erzählen möchtest", meinte ich etwas kleinlaut. Ich wollte sie nicht zu irgendetwas drängen. Sie nickte.

„Ich habe einen Supermarkt überfallen", gab sie einigermaßen trocken zu. „Hab zu lange gebraucht, die Bullen standen schon davor, als ich rauskam." Ich beobachtete sie verstohlen aus den Augenwinkeln, unsicher, was ich mit dieser Information anfangen sollte.

„Warum hast du das gemacht?", fragte ich schließlich. Lorena seufzte.

„Ich brauchte das Geld. Für Drogen." Mit einem beschämten Ausdruck in den Augen sah sie zu Seite. Einige Minuten schwiegen wir und jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Irgendwann sah sie mich wieder an, mit etwas mehr Leben in den Augen.

„Was hast du angestellt, dass du hier drin bist?", fragte sie beinahe scherzhaft. Ich fuhr mir mit der Hand durch meine krausen Haare. Eigentlich wollte ich nicht unbedingt darüber reden, doch es war irgendetwas zwischen uns, eine gewisse Offenheit, die mich dazu brachte, doch den Mund zu öffnen.

„Ich habe jemanden erschossen, war Notwehr, er hat meine Schwester bedroht...", meinte ich. „Aber meine Anwältin hat einen Deal für mich ausgehandelt. Wenn ich Glück habe, bin ich morgen schon wieder hier raus", fügte ich hinzu. Ich hatte, während ich gesprochen hatte, auf meine Hände geblickt und als ich nun wieder aufsah, meinte ich einen winzigen Moment lang einen Ausdruck in Lorenas Augen sehen, den ich nicht ganz deuten konnte. Doch so schnell dieser Moment gekommen war, so schnell war er auch schon wieder vorbei und Lorenas Miene hatte ihre übliche Form resigniertes Interesse angenommen.

„Wie schade, dann krieg ich schon wieder jemanden hier rein, den ich nicht kenne", meinte sie nur. Plötzlich schien alle Kraft ihren Körper zu verlassen und mit einem Stöhnen sank sie wieder zur Seite und zog die Decke über sich.

„Lass mich besser allein", krächzte sie, „hab heute einen schlechten Tag."

Ich ließ ihr ihren Willen und streunte den ganzen Tag ohne ein wirkliches Ziel herum. Ich stellte mich nochmals an der Telefonschlange an, nur um bei der Mailbox meiner Anwältin rauszukommen. Doch kurz vor dem Abendessen versuchte ich es nochmals und kam schließlich durch. Ms. Garcia nahm meine Entscheidung beinahe schon euphorisch auf und versprach, am nächsten Tag zu mir zu kommen und die Details mit mir zu besprechen.

Erleichtert legte ich schließlich auf. Nun war es besiegelt und ich konnte mich nicht mehr umentscheiden. Ich fühlte mich, als würde ich ein Licht am Ende des Tunnels sehen, meine Freiheit war zum Greifen nah.

An diesem Abend legte ich mich mit einem guten Gefühl ins Bett. Es dauerte nicht lange, bis ich eingeschlafen war.

Ich schreckte aus dem Schlaf hoch. Eine Hand hatte sich über meinen Mund gelegt. Es war dunkel in der Zelle. Vom Gang schimmerte die diffuse Nachtbeleuchtung herein. Eine dunkle Gestalt hatte sich über mich gebeugt.

„Hey Sweetie", hörte ich eine raue Stimme flüstern. Fieberhaft versuchte ich, mich zu erinnern, wem diese Stimme gehörte. Mit einem Schlag fiel es mir ein und ich zuckte hoch, riss meine Arme nach oben und öffnete den Mund zu einem Schrei. Doch bevor ein Laut meinen Mund verlassen konnte, schoss der schwarze Umriss einer Faust auf mich zu und ich sank zurück in die Dunkelheit.


Dark as midnightUnde poveștirile trăiesc. Descoperă acum