Awake

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Ich erwachte im Dunkeln und stöhnte genervt auf. Es war bereits das vierte oder fünfte Mal in dieser Nacht, dass ich aufwachte. Frustriert starrte ich an die Decke, doch der Schlaf wollte sich nicht mehr einstellen.

Nachdem ich eingesehen hatte, dass ich nicht mehr einfach so einschlafen würde, schlug ich die Decke zurück und stand auf. Ich hatte eigentlich gedacht, nachdem ich nicht mehr alle paar Stunden geweckt werden würde, könnte ich endlich wieder gut schlafen. Hoffentlich hatte ich mir im Knast keine ernsthaften Schlafprobleme zusätzlich zu den Albträumen geholt.

Auf Zehenspitzen trat ich ans Fenster und blickte hinaus auf die dunkle, nächtliche Straße. Dann fiel mir ein, dass ich gar nicht leise sein musste. Ich hatte ein Zimmer für mich alleine bekommen. Vielleicht, so dachte ich, lag es auch daran, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben allein in meinem Zimmer schlief. Bis dato hatte ich mir immer mein Zimmer mit irgendwem geteilt, so lange ich denken konnte. Zuerst war es Marc gewesen, dann irgendwann Marc und Mary, dann war Marc verschwunden und Lily war in unser Zimmer gekommen. Und außer der letzten Nacht, in der ich praktisch nicht geschlafen hatte, hatte ich auch im Gefängnis nie allein geschlafen.

Auf eine seltsame Art traurig, schlang ich meine Arme um meinen Körper. Draußen lief eine Katze über die Straße und ich musste an den Spruch denken, den meine Mutter früher manchmal gesagt hatte: nachts sind alle Katzen grau. Ich hatte nie so ganz verstanden, was sie damit eigentlich sagen wollte. Jetzt sah ich, dass der Spruch zumindest wortwörtlich stimmte, allerdings nur, bis die Katze unter einer Straßenlaterne hindurchmarschierte und ich sah, dass sie getigert war.

Unwillkürlich dachte ich an den letzten Abend. Nachdem ich reingekommen war, hatte sich mir eine weitere Sicherheitsfachkraft vorgestellt. Sie war eine Frau in den Dreißigern mit asiatischen Wurzeln gewesen, wir sollten sie Mai nennen. Obwohl sie ein ganzes Stück kleiner und schmaler als Walker war, war sofort klar, dass sie nicht nur ein ganzes Stück mehr drauf hatte als er, sondern außerdem diejenige war, die das Sagen hatte.

Das Abendessen war merkwürdig still gewesen. Jeder einzelne von uns war sich der Anwesenheit der Sicherheitsfachkräfte am Tisch bewusst gewesen. Als Finn und Lily im Bett lagen und Tyler sich vor dem Fernseher geparkt hatte, flüchtete ich in mein Zimmer. Marc war mir gefolgt.

„Meinst du, sie können uns beschützen?", hatte er ernst gefragt. Ich hatte mich unterhalb des Fensters auf den Boden gesetzt und lehnte erschöpft den Kopf an die Wand.

„Sie sind vom FBI beauftragt worden. Ich glaube nicht, dass McMahon und Bushner riskieren würden, dass uns etwas passiert. Jedenfalls nicht, bevor wir unsere offizielle Aussage gemacht haben."

Marc runzelte, immer noch besorgt, die Stirn. Dann ließ er sich neben mich sinken. Früher hatte ich immer meinen Kopf an seine Schulter gelehnt, wenn wir so nebeneinander saßen, doch ich wusste nicht, ob ich das noch machen konnte, ob er das noch zulassen würde.

„Es wird nie mehr, wie es mal war, oder?", flüsterte ich in die dunkle Stille, die mich umgab. Es kam keine Antwort zurück, nur Schweigen. Ich rieb mir über die Arme, auf denen sich inzwischen eine Gänsehaut gebildet hatte. Vielleicht sollte ich etwas Wasser trinken und mich dann wieder ins Bett legen. Es konnte nicht gesund sein, mitten in der Nacht am Fenster zu stehen und trübsinnigen Gedanken nachzuhängen.

Meine Zimmertür quietschte verhalten, dann tapste ich die Treppe runter. Drei Schränke musste ich öffnen, bis ich die Gläser endlich fand. Zuhause hätte ich mir im Tiefschlaf etwas zu trinken holen können. Ich trank einige Schlucke, dann schüttete ich den Rest in die Spüle.

Ich hörte eine Diele hinter mir knarzen und bevor ich wusste, was ich tat, war ich herumgewirbelt, die Hände zu Fäusten geballt erhoben.

Walker starrte mich verärgert an. Erleichtert ließ ich meine Arme sinken.

„Walker, was machen Sie hier?", fragte ich, meine Stimme klang außer Atem.

„Ich hatte was gehört und wollte nachschauen", erklärte er brummend. „Vielleicht solltest du wieder ins Bett gehen." Er wandte den Kopf zum Fenster, wachsam, als hätte er etwas gehört oder gesehen, dass seine Aufmerksamkeit erregte. Ich folgte seinem Blick aus dem Fenster, doch alles was ich sah, war ein nächtlicher Garten und die Straßenlaterne auf der anderen Seite der Hecke.

Als könnte jemand diese Idylle nicht ertragen, zerriss plötzlich ein schriller Schrei die Ruhe. Ich zuckte zusammen. Der Schrei war von oben gekommen.

„Lily!", keuchte ich auf, dann sprintete ich los, die Treppe hoch, Walker direkt hinter mir. Ich riss die Tür zu Lilys Zimmer auf und da saß sie, ganz allein in diesem großen Bett, die Wangen tränenüberströmt, die Augen weit aufgerissen. Sie schluchzte haltlos vor sich hin.

„Lily, oh, mein Schatz", redete ich beruhigend auf sie ein, während ich zu ihr eilte, mich auf das Bett setzte und sie auf meinen Schoß zog. „Hey, Sweetie, was ist denn los?", fragte ich sanft und wiegte sie in meinen Armen.

Sie kuschelte sich an mich und brachte zwischen den Schluchzern stockende, unzusammenhängende Wörter heraus. „Hattest du einen Albtraum?", fragte ich nach, weil ich ihre Antwort nicht verstand. Lily nickte und schluchzte erneut auf. Ihre dünnen Ärmchen schlangen sich schutzsuchend um meinen Hals. „Alles wird gut", murmelte ich und streichelte ihr langsam über den Rücken, bemüht, nichts als Ruhe auszustrahlen.

Walker stand in der Tür, sein Gesichtsausdruck schwankte zwischen genervt und erleichtert. Ich hörte Schritte auf dem Flur und im nächsten Moment drängte sich Marc an Walker vorbei in das Zimmer. Er seufzte auf, als er mich und Lily sah und die Falten auf seiner Stirn glätteten sich.

„Es war nur ein Albtraum", erklärte ich, die Stimme immer noch ruhig, doch meine Finger zitterten, als ich über Lilys Haar strich. Marc kam zum Bett und setzte sich nah zu uns.

„Scht, ist schon in Ordnung", murmelte er Lily zu, „was hast du geträumt, Liebes?" Sie hob ihren Kopf von meiner durchnässten Schulter und blickte aus ernsten dunklen Augen auf.

„Von bösen Männern", piepste sie, atmete tief durch und fügte dann hinzu: „Sie wollten Liz holen."

Marcs Blick schwenkte zu mir hoch und mir fiel ein weiteres Mal die Narbe an seiner Augenbraue auf, die er irgendwann in den letzten zwei Jahren bekommen haben musste. Ob sichtbar oder unsichtbar, wir hatten alle unsere Narben davongetragen.


So, hab es endlich geschafft, ein neues Kapitel zu schreiben, nach den Problemen mit meinem alten Laptop und einem Familienfest. Ich hoffe, es gefällt euch. Voten und kommentieren nicht vergessen ;)

Dark as midnightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt