Kapitel 113

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Mario's Sicht:

Ich hatte keine Ahnung was mit Nell los war. Okay, sie hat einen Schlag abbekommen, für den ich mich immernoch verantwortlich machte, aber ihr Verhalten passte so gar nicht. Ich kannte sie mittlerweile einfach zu gut, um zu wissen, dass sie mir den Inhalt des Gesprächs mit ihrem Vater nicht umsonst vorenthielt. Trotzdem ließ ich zu, dass Herr Neuer wenige Tage später herkommen durfte. Aber auch nur, damit Nell nicht allein war, weil ich zum Training musste, was ich gestern schon abgesagt hatte. Und das konnte Nell nunmal gar nicht ab. Gerade lag sie im Bett und schlief, was sie allgemein viel tat, wegen der leichten Gehirnerschütterung. Bevor ich zum Training musste, zauberte ich Nell noch ein Frühstück. Ich schrieb 'Morgen Süße :*' auf einen Zettel, legte ihn dazu und schlich ins Schlafzimmer, um das Tablett dort abzustellen. Gerade als ich wieder verschwinden wollte, gab Nell ein Seufzen von sich. "Oh, Frühstück?" murmelte sie dann verschlafen. Ich ging doch nochmal zum Bett zurück. "Ich geh jetzt zum Training, dein Dad kommt in spätestens 10 Minuten vorbei. Lass sonst niemanden rein, okay?" sagte ich und drückte meine Lippen kurz auf ihre. "Ich bin kein Kind mehr, Mario." beschwerte sie sich. "Oh nein, sonst wäre ich ja ein Pädophiler. Aber auch wenn du kein Kind bist, du bist ein Stalking Opfer, wenn ich dich daran erinnern darf." sagte ich streng. Sie schluckte nur und sah weg. Ich legte meine Hand an ihre Wange. "Komm schon, wir kriegen das hin." munterte ich sie auf. Dann küsste ich sie ein weiteres Mal und verabschiedete mich endgültig. "Ich liebe dich." gab sie mir mit auf den Weg. "Ich liebe dich auch." erwiderte ich. Dann machte ich mich auf den Weg zum Training. Schon auf dem Parkplatz  kam mir Manu entgegen. Na super. "Wo ist Nell? Sag bloß, sie ist allein in deiner Wohnung." sagte er grimmig, mit einem drohenden Unterton. Egal ob ich jetzt log oder die Wahrheit sagte, er wäre sauer. "Euer Vater kommt vorbei." beichtete ich schließlich doch. "Er ist nicht mein Vater." zischte Manu. "Man, was soll ich denn machen?! Marco hat selbst Training." verteidigte ich mich. Manu schlug die Arme über dem Kopf zusammen. "Ich hätte Sarah fragen können?!" meinte er. "Willst du deine Frau und dein Kind auch noch in die Gefahrenzone bringen?!" entgegnete ich aufgebracht. Manu grummelte vor sich hin. "Was ist mit Mo und Leo?! Die zwei Vögel hättest du anrufen können! Oder weißt du was?! Ich regel das jetzt selbst." verkündete Manu und wollte an mir vorbei, doch ich hielt ihn zurück. "Du kannst ihr nicht verbieten, euren Vater zu sehen!" sagte ich nun lauter. Auf einmal packte Manu mich am Kragen. "Er ist nicht mein Vater, kapierst du das nicht?! Er ist ein Mörder! Er hat Mum umgebracht, nicht sie sich selbst!" schrie er mich an und schüttelte mich ordentlich durch. Auf einmal tauchte David auf und schupste uns voneinander weg. "Was macht ihr denn für 'nen Aufstand?! Beruhigt euch!" meinte er. "Es bringt nichts, sich in irgendetwas zu verrennen, Manu! Deine Mutter wurde vergewaltigt, dein Vater hat mit ihrem Tod nichts zu tun!" sagte ich noch und ging dann schnellen Schrittes in die Kabine. Mein Leben war ja schon oft aus den Fugen geraten, seit Nell ein Teil davon war, aber deswegen würde ich sie nie fallen lassen. Ich liebte sie einfach zu sehr. Ich konnte nicht ohne sie leben. Denn sie war mein Leben. Das musste Liebe sein. Wenn man erst an den Partner dachte und dann an sich selbst. Das Training verlief relativ gut, obwohl ich mit meinen Gedanken ganz wo anders war. "Mario, jetzt ignorier mich doch nicht dauernd!" brach auf einmal eine Stimme durch mein Netz aus Gedanken. Ich war gerade auf dem Weg zu meinem Auto, wo mich Lewy jetzt aufhielt. "Die ganze Zeit?" wiederholte ich. "Ähm ja, ich habe heute schon mehrmals versucht dich anzusprechen." lachte er und schüttelte den Kopf über meine Ahnungslosigkeit. "Sorry ich...egal. Was gibt's?" erkundigte ich mich. "David, Thomas, ich und ein paar andere wollen heute Abend noch was trinken gehen, bist du dabei?" wollte er wissen. "Du, sei mir nicht böse, aber das passt mir nicht wirklich in den Kram." lehnte ich ab. "Dein Vertrauen in dich selbst scheint ja gleich Null zu sein." meinte Lewy und hob die Augenbrauen. Ich blickte ihn fragend an. "Na du vetraust überhaupt nicht darauf, dass du bei der Frauenwelt nicht schwach wirst, dabei liebst du Nell doch." erklärte er. "Was?! Ach quatsch. Ich habe keine Angst, ihr fremdzugehen, im Gegenteil. Ich will sie ungern allein lassen. Vor allem nachdem Manu mir schon so die Hölle heiß macht." sagte ich. Lewy nickte verständnisvoll. Er legte mir eine Hand auf die Schulter. "Wir sind alle für euch da. Es wird Zeit, dass ihr eure Beziehung mal sorglos führen könnt. Ihr hättet es echt verdient. Und bring Nell doch einfach nächstes Mal wieder mit. Pep beschützt sie doch wie seine eigene Tochter." schlug er vor. Ich nickte dankbar, verabschiedete mich von ihm und fuhr nach Hause. Als ich meine Wohnung betrat war alles still. Ich zog meine Jacke aus. "Nell? Ich bin wieder da!" rief ich. Keine Antwort. Wenige Augenblicke später kam Herr Neuer aus meinem Schlafzimmer. Er kam auf mich zu und reichte mir die Hand. "Sie braucht jetzt Gesellschaft." meinte er mit gesenkter Stimme. "Wieso? Ist etwas passiert?" fragte ich sofort. "Nunja, um ehrlich zu sein weint sie schon seit Stunden." erklärte er. Ich wurde aufmerksam. "Warum?!" fragte ich schroff. "Ich weiß es nicht, sie stammelt nur irgendwas von Schiebler." erzählte er ratlos, doch ich war schon auf dem Weg ins Schlafzimmer. Ich riss die Tür auf und da saß sie wie ein Häufchen Elend an der Bettkante, den Kopf in die Hände gestützt. Sie erkannte mich wohl an meinen Schritten und hob den Kopf. Ich hielt Inne. Sie sah schrecklich aus. Irgendwie stand Schuld in ihrem Blick. Ich ging die letzten Schritte auf sie zu. Als ich direkt vor ihr stand, erhob sie sich und fiel mir um den Hals. Ich legte die Arme um sie und Nell vergrub das Gesicht an meiner Halsbeuge. Ihr Schluchzen brach mir das Herz. Ich schob sie ein Wenig von mir und hielt ihr Gesicht mit den Händen umfasst. "Nell, was ist los? Warum weinst du?" fragte ich besorgt. "Es ist meine Schuld." wimmerte sie. "Was? Was ist deine Schuld?" wollte ich wissen. "Geh in die Küche und guck aus dem Fenster, dann siehst du es selbst." meinte sie schluchzend. Ich tat was sie sagte, aber ich zog sie dabei mit. Ich blickte suchend aus dem Küchenfenster, konnte aber nichts nervenaufreibendes sehen. "Was soll da sein?" drängte ich aufgebracht. Sie schien sich kaum ans Fenster zu trauen.  "In dem silbernen Mercedes sitzt Schiebler. Schon den ganzen Morgen. Er steht einfach da. Wegen mir beschattet dieser Psycho jetzt auch noch deine Wohnung." klärte sie mich auf. Ich trat näher ans Fenster und als hätte er es bemerkt, stieg Schiebler im selben Moment aus dem besagten silbernen Mercedes und starrte mit einem teuflischen Grinsen direkt zu mir hoch. "Jetzt reicht's. Wenn die Polizei den nicht kalt macht, dann tu ich es eben persönlich." verkündete ich und wollte zur Tür stürmen, doch Nell hielt meinen Ärmel fest. Sie nahm meine Hände. "Bitte Mario... Tu das nicht. Er hat Marco schon beinahe verprügelt. Nicht du auch noch." flehte sie mit schwacher Stimme. "Das ist mir scheißegal! Nochmal entwischt mir dieses Arschloch nicht!" zischte ich, riss mich los und ging zur Tür. Ich hörte ihr plötzlich zittriges Atmen. "Hier in der Küche gibt es jede Menge Messer. Wenn du jetzt diese Tür aufmachst, dann nehm ich eins davon und werde es benutzen. Und dann musst du dich erstmal um deine verblutende Freundin kümmern, ok?" sagte sie gefasst und es klang absolut nicht so, als wäre es ein Scherz. Ich drehte mich langsam zu ihr um, ließ die Hand aber auf der Türklinke ruhen. "Nell, ich will dich doch nur beschützen." sagte ich verzweifelt. "Und ich dich. Bleib hier, Mario." wiederholte sie. Ich zögerte. Mein Blick wechselte zwischen meiner Hand auf der Türklinke und meiner instabilen Freundin. Ich gab ein verzweifeltes Stöhnen von mir und kehrte zu Nell zurück. "Geh da weg." befahl ich und schob sie vom Küchenfenster weg. Ein kurzer Kontrollblick aus dem Augenwinkel verriet mir, dass der Mercedes immernoch dastand. Wir gingen wieder ins Schlafzimmer. Ich schob Nell zum Bett und sie setzte sich. Währenddessen zog ich meine Sporttasche hervor und warf sie Nell vor die Füße. "Wir können nicht hierbleiben, wenn der Typ uns stunden- oder sogar tagelang bewacht. Wir müssen hier raus." erklärte ich. Nell erhob sich und stellte sich zwischen mich und meine Tasche, in die ich eben einen Pulli werfen wollte. "Wenn ich gehe, dann ist es hier uninteressant für ihn." meinte sie. Ich atmete tief durch und schloss meine Arme um ihre Taille. Ich küsste sie sanft und sie erwiderte es. "Ich lass dich nicht alleine. Egal was passiert." versicherte ich ihr dann. "Aber..." setzte sie bereits an, doch ich schnitt ihr das Wort ab. "Kein Aber. Nochmal lass ich nicht zu, dass uns irgendetwas trennt." "Wo willst du denn hin? Zu Marco nach Dortmund, wo dann sofort Gerüchte aufkommen, ob du zum BVB zurückkehrst?" "Marco würde keinen von uns beiden auf der Straße stehen lassen, das weißt du genau. Aber wir gehen zu meinen Eltern." verkündete ich. Sie schüttelte sofort den Kopf. "Nein Mario, ich suche sicherlich keine Unterkunft bei meinen Schwiegereltern." "Wir sind nicht verheiratet, also sind sie auch nicht deine Schwiegereltern. Du gehörst zu mir und ich gehöre zur Familie, also gehen wir dahin."  beschloss ich. Sie wollte erneut wiedersprechen, aber ich drückte meine Lippen auf ihre, um sie zum Schweigen zu bringen. Wenige Stunden später standen wir dann vor der Tür meiner Eltern. Wir hatten mit dem Auto sozusagen ein paar 'Extrarunden' gedreht, damit Schiebler unser Ziel nicht verfolgen konnte. Ich klingelte und wir warteten, bis irgendjemand die Tür öffnete...

Liebe stirbt nicht {Mario Götze u.A.}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt