Kapitel 61

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Nell's Sicht:

Manu wollte mich einfach nicht gehen lassen. Ich hatte auch mein Handy nicht, geschweige denn ein Telefon. Ich hatte auch schon eine Schwester gefragt, aber diese meinte, auf der Intensivstation würde das nicht gehen, ich müsse warten, bis ich ein anderes Zimmer bekam. Nach einiger Zeit hatte ich mir dann aber einen Plan überlegt, den ich jetzt in die Tat umsetzen würde. "Manu, kannst du mir was zu trinken holen?" fragte ich ihn. "Klar, bin gleich wieder da." erwiderte er und erhob sich. "Warte noch kurz!" hielt ich ihn auf. Er drehte sich noch einmal um und sah mich fragend an. Ich winkte ihn zu mir und nahm ihn dann in den Arm. "Ich hab dich lieb." sagte ich. Manu erwiderte die Umarmung jetzt und drückte mich fest an sich. "Ich dich auch, Nell." murmelte er. Als er sich von mir löste, zog ich ihm sein Handy aus der Hosentasche und steckte die Hand schnell unter die Bettdecke. Er lächelte mich kurz an und ging zur Tür. "Manu?" hielt ich ihn nochmal auf. "Holst du mir bitte ne heiße Schokolade aus der Cafeteria?" bat ich ihn. Er nickte seufzend und verschwand dann endgültig. Das hatte ich natürlich nur gesagt, damit er länger brauchte. Sobald er um die Ecke bog, zog ich das Handy wieder hervor. Gesperrt. Ich fluchte. Ich tippte 2703 ein. Grinsend schüttelte ich den Kopf. Manu war tatsächlich so dumm, sein eigenes Geburtsdatum als Sperrcode zu verwenden. Ich suchte nach Mario's Nummer. Ewig scrollte ich durch die Kontakte. Das durfte nicht wahr sein. Sie war nicht drin. Dann musste eben Marco hinhalten. Ich schrieb ihm Komm bitte nochmal ins Krankenhaus. Schon hatte ich die Nachricht abgeschickt, da fiel mir ein, dass ich meinen Namen nicht darunter gesetzt hatte. Egal, er würde trotzdem kommen. Hoffte ich zumindest. Ich legte das Handy auf den Nachttisch. Später würde ich Manu einfach einreden, er hätte es selbst dahin gelegt. Irgendwann kam Manu dann zurück. Er drückte mir den dampfenden Becher in die Hand. Ich schielte auf die Uhr. Es war jetzt 10 Minuten her, dass ich Marco die Nachricht geschickt hatte. Vom Camp bis ins Krankenhaus brauchte man etwa 25 Minuten. Nach weiteren 10 Minuten begann ich ein Gespräch. "Weiß Sarah eigentlich, was passiert ist?" "Ja, ich hab es ihr kurz gesagt, hab mich aber danach nur um dich und die WM gekümmert." erzählte er. Ich verzog das Gesicht. "Ruf sie doch mal an. Du weißt, wie schnell ihr langweilig wird. Du kannst deine Ehefrau doch nicht so lange allein lassen." Manu zögerte. "Na los ruf sie an." wiederholte ich mit Nachdruck. "Ok, du hast recht." sagte er schließlich. "Wo ist mein Handy?" fügte er hinzu. Unschuldig sah ich mich um. Dann zeigte ich auf meinen Nachttisch. Manu schöpfte keinen Verdacht und lief mit seinem Handy nach draußen. Wenig später klopfte es tatsächlich an der Tür und wie Marco halt war, trat er direkt darauf in das Zimmer. Er blickte sich um. Dann kratzte er sich am Hinterkopf. "Ähm hi, ist Manu nicht da?" fragte er unsicher. Er sah mich verwirrt an, als ich ihm mit einem Wink zu verstehen gab, die Tür zu schließen und herzukommen. Marco kam langsam näher. Als er vor dem Bett stand, griff ich nach seinen Händen. Er blickte darauf und sah irritiert zu mir auf, als er den Ring an meinem Finger erblickte. "Marco, du musst mich hier raus bringen." überfiel ich ihn direkt. "Moment! Du... du weißt, wer ich bin?" fragte er. "Ja, ich hab mich wieder erinnert, aber du musst mir jetzt hel-..." Weiter kam ich nicht, weil Marco mir um den Hals fiel. Ich erwiderte die Umarmung kurz, drückte ihn dann aber von mir. "Marco, ich muss ganz dringend..." "...zu Mario." vollendete er meinen Satz. "Ja, ich muss mit ihm reden! Was hat er gemacht, nachdem ihr aus dem Krankenhaus raus seid?" fragte ich. Eine Sorgenfalte erschien auf Marco's Stirn. "Er war ziemlich am Boden, wär fast vor ein Auto gelaufen. Er meinte, nichts hat mehr einen Sinn." berichtete Marco. "Willst du damit sagen, er wollte sich umbringen?! WEGEN MIR?!" entgegnete ich geschockt. Marco nickte bedrückt. "Während du im Koma lagst, war er nicht nur einmal kurz davor, alles hinzuschmeißen." Ich war kurz erstarrt, riss mich aber direkt wieder zusammen. "Marco, bring mich hier raus, bitte." wiederholte ich also. Marco lächelte und streichelte meine Wange. "Jetzt bist du wirklich wieder die Alte." meinte er. "Maaarcooo!" drängte ich. "Ja schon gut. Ich lass mir was einfallen." verkündete er. Plötzlich verschwand er ohne ein weiteres Wort. Wenig später tauchte er wieder auf - mit einem Rollstuhl. "Wo hast du den jetzt her?" fragte ich. "Nell, du kennst mich." erwiderte er nur und grinste. Marco zauberte von irgendwo seine Sweat-Jacke her und warf sie mir zu. "Anziehen!" befahl er. "Warum?" fragte ich. "Erstens weil du nur so ein Krankenhaushemdchen anhast und ich nicht glaube, dass du damit raus willst und zweitens damit du dich unter der Kapuze verstecken kannst, damit dich hier niemand erkennt." argumentierte er. Ich war überzeugt und zog mir seine Jacke an. Dann schlug ich die Bettdecke zur Seite und begann, die restlichen Kabel von mir loszumachen und bevor der Monitor Alarm schlagen konnte, schaltete ich ihn aus. Als ich befreit war, schwang ich die mit Schrammen übersäten Beine über die Bettkante. "Hey hey hey, stopp! Nicht bewegen! Wenn dir was passiert, bringt dein Bruder mich um." hielt Marco mich auf. Er kam auf mich zu und forderte mich auf, meine Arme um seinen Nacken zu legen. Dann hob er mich im Brautstyle hoch, trug mich die paar Schritte und setzte mich im Rollstuhl ab. Mein Körper schmerzte wieder, was man mir wohl ansah. "Alles klar bei dir?" fragte Marco. "Geht schon." erwiderte ich und setzte mir die Kapuze auf. Marco öffnete die Tür und schob den Rollstuhl dann hindurch. Gerade war keiner da, also flüchteten wir schnell in Richtung Ausgang. Ein paar Taxis parkten dort. Marco öffnete die hintere Tür eines der Taxis und hob mich dann erneut hoch, um mich im Auto abzusetzen. Ich sagte dem Fahrer er solle kurz warten, während Marco den Rollstuhl zurückbrachte. Dann kam er zurück und setzte sich ebenfalls ins Auto. Als das Taxi losfuhr, griff ich nach Marco's Hand. "Aufgeregt? Wollen wir nur hoffen, dass er sich in der Zwischenzeit nicht erhängt hat." lachte Marco. Geschockt sah ich ihn an, denn ich fand das so gar nicht lustig. Sofort verstummte er. Den Rest der Fahrt, waren wir beide stumm. Als wir ankamen schlug mir mein Herz bis zum Hals. Marco bezahlte das Taxi und hob mich dann zum dritten mal aus dem Auto. Obwohl er ja wegen seinem Fuß selbst eingeschränkt war, trug er mich bis zu den Bungalows. Als wir an unserem Bungalow ankamen, stieß er seitlich die Tür auf. Da waren aber nur Mats, Kevin und Erik (Durm). Alle drei hoben die Köpfe. "Nell?" sagten sie wie im Chor. "Nell, nichts gegen dich, aber kann mir sie irgendjemand abnehmen, ich bin durch." meldete sich Marco zu Wort. Mats erhob sich und kam auf uns zu. Marco warf mich förmlich in seine Arme und seufzte erleichtert auf. Ich dagegen gab nur ein "Autsch." von mir. "Tut mir leid." murmelte Marco. "Wo ist Mario?" lenkte ich wieder auf das eigentliche Thema. "Der hockt am Strand." meinte Kevin. Ich krallte meine Fingernägel in Mats' Shirt. "Kannst du mich bitte zu ihm bringen?" bettelte ich. Schon setzte er sich in Bewegung. "War das eigentlich eine Flucht aus der Klinik?" fragte Mats während dem Laufen. "Ja, so ähnlich, ich erzähl dir das später." wimmelte ich ihn ab. Als wir am Strand ankamen, sah ich schon von Weitem Mario im Sand sitzen. Mats brachte mich noch etwas näher heran. "Mario!" rief ich. Ich sah, dass er den Kopf hob und sich nach hinten umsah. "Lass mich runter!" fuhr ich Mats an und schlug ihm auf die Brust. "Aber..." begann er, doch ich durchschnitt ihm das Wort. "Lass mich sofort runter!" wiederholte ich. Vorsichtig stellte er mich auf die Beine, hielt mich aber trotzdem fest. Doch Mario war mittlerweile schon da und stützte mich mit den Händen an der Taille. Er hatte eindeutig geweint. Seine Augen waren rot und verquollen. Ich konnte mich geradeso auf den Beinen halten und legte meine Hände an seine Wangen. Jetzt weinte auch ich wieder. "Mario, es tut mir so unendlich leid! Ich kann mich wieder erinnern! Es tut mir so so so leid. Dass ich dich geschlagen habe und dich nicht erkannt habe." schluchzte ich. Mario sah mir ungläubig in die Augen. "Du... Aber wie..." stotterte er. Ich nahm eine Hand von seiner Wange und hielt ihm den Ringfinger vor die Nase. "Der hat mich an alles erinnert." erklärte ich und legte meine Hand wieder an seine Wange. "Ich glaub das nicht. Ich hatte die Hoffnung schon au-..." Weiter ließ ich ihn nicht kommen und presste meine Lippen auf seine. Er schien kurz überrascht, erwiderte den Kuss dann aber. Ich schmolz dahin und mein Herzschlag ging so schnell, dass ich mir sicher war, er würde es hören. Meine Beine zitterten. Mario bemerkte das auch und schlang die Arme komplett um meinen Körper. Er hob mich ein Stück vom Boden.
Mario's Sicht:

Ich konnte nicht glauben, dass ich Nell gerade in meinen Armen hielt. Der Teil meines Herzens, der wohl mit ihr im Koma gelegen hatte, erwachte zu neuem Leben. Viel zu schnell löste sie sich von mir. "Wegen unserem Baby..." begann sie. Schlagartig fühlte ich mich schrecklich. "Nell, du hast dich so schwer verletzt..." wollte ich erklären, doch sie unterbrach mich. "Ich weiß es Mario." sagte sie traurig. "Aber... wo-woher?" fragte ich. Manu hatte sie sicher nicht sofort damit belastet. "Ich hab das sofort gespürt. Man fühlt sich so... leer." murmelte sie. Ich küsste ihr die Tränen von den Wangen. "Wir schaffen das." beteuerte ich. Sie nickte traurig und kuschelte sich an meine Brust. "Weißt du, wie seltsam es ist, dich zu küssen, wenn du Marco's Jacke an hast und total nach ihm riechst?" sagte ich. Sie lachte leise. "Warum bist du überhaupt hier? Du kannst kaum stehen." wollte ich wissen. "Ich musste ganz dringend zum tollsten Mann der Welt." flüsterte sie. "Du bist verrückt." flüsterte ich zurück. "Dein tollster Mann der Welt hat es aber gegen Algerien ganz schön verkackt." mischte sich Mats ein. "Algerien? Seid ihr raus?" fragte sie. "Dank mir stehen wir sogar im Halbfinale!" triumphierte Mats. "Oh man, ihr müsst mir alles ganz genau erzählen." meinte Nell. "Aber erst erzählst du mir mal, wie du dazu kommst, einfach aus dem Krankenhaus abzuhauen!" ertönte Manu's Stimme. Nell klappte die Kinnlade nach unten. "Äh..." fing sie an. "Lasst uns erst mal reingehen." warf ich ein und nahm Nell auf die Arme, um sie in unser Bungalow zu tragen, denn wir hatten einiges zu Erzählen und zu klären...

Liebe stirbt nicht {Mario Götze u.A.}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt