Kapitel 80

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Nell's Sicht:

Er sah mich aus geweiteten Augen an. "W-was meinst du damit?" hakte er leise nach. Ich schluckte. "Marah ist Sarah's und Manu's Tochter. Sie wollten mal ein Wochenende Entspannung. Deshalb passe ich auf sie auf. Das mit der Hütte war eigentlich nicht geplant, aber Mo hat hier Verwandte, die er besuchen wollte." ratterte ich herunter. Dabei war Mario wahrscheinlich nach dem ersten Satz schon ausgestiegen. "M-manu's Kind? Aber... i-ch dachte du... ihr hättet keinen Kontakt mehr. Außerdem w-war Sarah doch viel weiter als du." stotterte er wieder. Seine Stimme brach immer wieder und sein Blick durchbohrte mich. Ich sah durch sein anliegendes Shirt und an seinem Hals, wie sich seine Muskeln anspannten. Seine Unterlippe zitterte leicht. "Haben wir auch nicht. Aber Sarah sehe ich ab und zu. Die Kleine ist ziemlich spät auf die Welt gekommen, aber trotzdem sehr zierlich." erklärte ich. Er schüttelte leicht den Kopf. "Ich verstehe das nicht. Wenn das nicht unser Kind ist... Was ist dann mit diesem passiert? Du müsstest jetzt hochschwanger sein!" sagte er verwirrt, wenn nicht sogar verzweifelt. Ich brachte die Wahrheit einfach nicht heraus. Ich sah auf Marah hinab, die mittlerweile in meinem Arm eingeschlafen war. "Hast du doch abgetrieben? Oder es zur Adoption freigegeben?" ergänzte er. Ich schüttelte den Kopf. Ich bettete Marah jetzt auf dem kleinen Sofa im Zimmer. Als ich mich wieder aufrichtete legte Mario seine Hände um mein Gesicht und zwang mich, in seine Augen zu sehen, die mich eindringlich musterten. Ich wollte das nicht. Wollte nicht, dass er mich berührte. Die Haare auf meinem gesamten Körper stellten sich auf. Und doch war ich unfähig, etwas zu sagen oder zu tun. "Was dann?" wollte er wissen. Ich hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, bis es aus mir herausbrach. "Ich war nie schwanger." Mario's Augen füllten sich mit Tränen, worauf er mehrmals blinzelte. Mir kam es so vor, als würden sich seine Finger immer fester in meinen Hals bohren. "Ich habe mir kurz nachdem wir uns getrennt haben einen Termin beim Frauenarzt geholt. Aber... Der konnte mir nicht bestätigen, dass ich schwanger bin. Er hat mir Ultraschallbilder gezeigt. Bluttests gemacht. Aber ich war nicht schwanger. Der Test musste falsch gewesen sein." murmelte ich. Tränen überquerten jetzt seine Wangen. Ich verspürte den Drang, sie ihm wegzuwischen, welchen ich sofort versuchte zu unterdrücken. "Wieso hast du mir das nie gesagt?" fragte er kaum hörbar. Ich hob jetzt meine Hände und legte sie auf Mario's, um sie von meinem Gesicht zu lösen. Es fühlte sich komisch an, ihn zu berühren. "Es hätte doch keinen Unterschied gemacht. Deine Reaktion auf ein Kind hat mir gezeigt, wie du wirklich bist. Es wäre immer so gewesen. Ich wollte Kinder mit dir, aber nach dem Unfall hätte das nie funktioniert." sagte ich. "Aber es tut mir doch leid! Ich hatte mich nicht unter Kontrolle. Ich habe das nie gewollt." schluchzte er heftig. "Hättest du dich jemals auf das Baby gefreut?" gab ich grob zurück. Er sagte nichts. Sein Blick klebte auf dem Boden. Die Wut in mir kehrte zurück und ich klammerte mich an ihr fest, bevor ich einknickte. "Ich will dich nicht mehr, Mario. Und ich möchte, dass du aufhörst, mich zu bedrängen." sagte ich ernst. "Wie stellst du dir das vor? Nell, ich werde nie aufhören dich zu lie-..." wollte er erneut beharren, doch ich konnte nicht zulassen, dass er diese Worte immer und immer wieder aussprach. "Hör auf, Mario." Ich wollte gehen, also hob ich Marah in meine Arme und ging mit ihr Richtung Tür, aber Mario stellte sich mir in den Weg. "Hoffnung ist das einzige, was stärker ist als Furcht, hast du das schonmal gehört? Ich lasse dich in Ruhe, spreche dich nicht mehr auf die Vergangenheit an, werde dich nie wieder anfassen, aber die Hoffnung, dass ich all das irgendwann wieder tun darf, bleibt." sagte er und riss sich plötzlich eine Kette vom Hals. Diese legte er vorsichtig auf Marah's kleines Bäuchlein, weil ich meine Hände ja nicht frei hatte. Dann öffnete er die Tür und ließ mich durch. Ich sah ihn noch einmal an und lief dann nach nebenan in mein Zimmer, wo wir auch Marah's Sachen untergebracht hatten. Ich setzte mich auf mein Bett und senkte Marah behutsam auf meinen Schoß, damit ich mit einer Hand die Kette nehmen konnte. Ich starrte den Ring in meiner Hand an, der an der Kette befestigt war. Mein ehemaliger Verlobungsring. Ich wollte ihn wegwerfen. Oder ihn Mario zumindest zurückgeben. Aber ich schaffte es einfach nicht. Letztendlich versteckte ich ihn mitsamt der Kette unter meinem Kopfkissen. Erst jetzt fiel mir auf, dass draußen ein heftiges Gewitter wütete. Das Pfeifen des Sturms schien mich irgendwie zu beruhigen. Irgendwann schlief ich mit Marah auf dem Bauch in meinem Bett ein. Nach einiger Zeit wurde ich geweckt. Mo saß an meiner Bettkante und der heftige Wind toste noch immer vor meinem Fenster.  Es waren wohl nur ein oder zwei Stunden vergangen. "Kommst du zum Abendessen?" fragte Mo, als er sah, dass ich wach war. Ich nickte langsam und wollte mich aufrichten, da Mo Marah wohl neben mich gelegt hatte. "Nell?" sagte Mo noch. "Hmm?" machte ich nur und fuhr mir durch die Haare. "Was ist da zwischen dir und Mario?" wollte er wissen. "Was soll da sein? Du weißt genau, wie es zwischen uns ist, seit wir getrennt sind." antwortete ich genervt. "Nein, das weiß ich nicht. Seit heute Mittag, seit Mario hier ist, bist du anders. Deine Augen leuchten wieder. Ich habe gehört, wie er dir seine Liebe gestanden hat und ich müsste lügen, wenn ich nicht der Meinung wäre, dass du ihn auch liebst." entgegnete er. "Lass das, Mo. Mario und ich sind uns so fremd wie noch nie und das wird auch so bleiben. Ich werde ihn wie einen Bekannten behandeln und ich rate dir, mich nicht von etwas anderem überzeugen zu wollen." zischte ich. Mo runzelte die Stirn. "Willst du mir jetzt auch sagen, dass ich mich verpissen kann, wenn ich das nicht tue?" meinte er gleichgültig, erhob sich und ging zur Tür. "Glaub ja nicht, dass wir nicht wie jeden Abend am Esstisch sitzen werden. Alle zusammen." warf er noch ein und verschwand dann. Da ging es schon wieder los. Kaum war Mario aufgetaucht, bekam ich Probleme. In den ganzen Monaten, in denen Mo zu meinem besten Freund und engstem Vertrauten geworden war, hatte er noch nie so mit mir gesprochen. Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass Marah ruhig schlief, ging ich also in das Esszimmer. Die Jungs saßen schon alle da und starrten in meine Richtung, als sie mich bemerkten. Wortlos setzte ich mich auf den Stuhl neben Felix. "Hey." begrüßte er mich zurückhaltend. Ich brachte nur ein kleines Lächeln zu Stande. Ich spürte während des Essens alle Blicke auf mir, ignorierte diese aber. "Wie wäre es, wenn wir Morgen alle zusammen Ski fahren gehen?" schlug Felix plötzlich vor. Ich sah zu ihm auf. "Es schneit wie verrückt. Außerdem muss jemand auf Marah aufpassen. "Bis Morgen ist dieses Unwetter bestimmt vorrüber und um Marah kann ich mich kümmern." meinte Leo. "Ich kann nicht einmal Skifahren." redete ich mich weiter heraus. "Das dürfte ja wohl das kleinste Problem sein. Die beiden können dir das bestimmt beibringen." mischte sich nun auch Mo ein und würdigte mich eines tadelnden Blickes. Ich warf einen vernichtenden Blick zurück. "Und du?" fragte ich. "Also bitte, ich bin halb Österreicher, natürlich kann ich Skifahren." meinte er abwertend, worauf ich nur die Augen verdrehte. "Bitte, es wird dir sicher Spaß machen." brachte sich schließlich auch Felix wieder ins Gespräch ein. Ich sah ihn an. Sein Blick war fast schon flehend. "Wenn du das lieber willst, kann ich dir auch Snowboarden beibringen." bot er noch an. "Falls du dich daran erinnerst hast du mich vor wenigen Stunden über den Haufen gefahren." erzählte ich. Er musste grinsen. "Ich kann auch langsam fahren." meinte er. "Irgendetwas sagt mir, dass ich diese Aussage nicht ernst nehmen sollte." erwiderte ich. "Das solltest du wirklich nicht." warf Mario lächelnd ein. Als ich ihn ansah, ohne zurückzulächeln wurde sein Gesichtsausdruck wieder ernst. Ich räusperte mich. "Ich geh dann mal schlafen." verkündete ich schnell und erhob mich, um meinen Teller in die Küche zu bringen. Ich hielt den Teller in der Spüle unter den vollen Wasserstrahl. Das Rauschen hypnotisierte mich und ich verweilte kurz so. "Sehr umweltbewusst ist das aber auch nicht." kommentierte Mario plötzlich. Ich wirbelte herum. "Könnte ich mir vielleicht dein Handy leihen? Ich würde gerne meiner Familie Bescheid geben, dass wir heute Nacht hier bleiben." sagte er. "Ja, komm nacher einfach in mein Zimmer." Ich hätte mich für diese Antwort schlagen können. Wieso tat ich das? Er nickte. Ich nahm ihm seinen Teller aus der Hand und wusch ihn ebenfalls ab. Dann ging ich in mein Zimmer. Marah schlief immernoch seelenruhig. Sie war allgemein nicht so das Schrei-Kind, sonst hätte Sarah sie mir auch gar nicht anvertraut. So leise, wie ich konnte, zog ich mich bis auf die Unterwäsche aus und kramte ein langes Shirt hervor, das mir bis zur Mitte des Oberschenkels reichte. Mit dem Shirt in der Hand richtete ich mich auf und drehte mich um. Und da stand Mario. Ich hielt mir das Stück Stoff schützend vor den Körper. "Konntest du nicht klopfen?" fuhr ich ihn direkt an. Er atmete tief durch. "Du hast gesagt, ich soll einfach reinkommen. Nell, ich weiß doch sowieso wie du aussiehst. Wir haben mehrmals miteinander geschlafen, falls du dich erinnerst." "Ich habe aber immernoch sowas wie Privatsphäre. Und der Sex zwischen uns ist Geschichte." entgegnete ich. "Ich wünschte, das wäre er nicht. Es war nämlich immer wunderschön, mit dir zu schlafen." flüsterte er. Ich musste schlucken. "Wolltest du mich nicht damit in Ruhe lassen?" erinnerte ich ihn. "Kann ich jetzt telefonieren?" fragte er einfach. Wortlos nahm ich mein Handy vom Nachttisch und reichte es ihm. Ich wollte ihn allein lassen, doch er hielt mich mit einem Wink zurück. "Bleib da, es ist dein Zimmer." meinte er. Ich setzte mich also wieder auf mein Bett. Er stellte sich mit meinem Handy vor das Fenster. "Ja, hallo Mum. Ich bin's Mario. Wir wurden aufgehalten und stecken jetzt in diesem Unwetter fest ... Wir bleiben über Nacht hier ... Bei Nell. Wir haben sie getroffen." erzählte er, worauf ich mich sofort anspannte. Nur leider spürte das wohl auch Marah, der ich gerade über die Wange gestrichen hatte. Sie begann zu weinen. Mario wirbelte herum. Ich sah ihn entschuldigend an und versuchte, die Kleine wieder zu beruhigen. "Was? Nein, das ist nicht euer Enkel ... Erklär ich euch Morgen ... Ich denke irgendwann am Nachmittag kommen wir zurück." sprach er wieder ins Telefon. Dann legte er auf. Er kam herüber und gab mir mein Handy zurück. "Was hat sie denn?" erkundigte er sich. "Sie vermisst Sarah und Manu wahrscheinlich." erklärte ich. "Darf ich?" fragte er. Ich zuckte mit den Schultern. Also setzte er sich auf mein Bett und streckte die Hand nach Marah aus. Mit dem Zeigefinger streichelte er über ihre zarte Haut. "Stillt Sarah nicht?" wollte er dann wissen. Ich schüttelte den Kopf. "Es gab glaube ich ein paar Probleme, darum ist Marah auch zu spät geboren. Und dann hat das mit der Milchproduktion irgendwie nicht so geklappt." erzählte ich. Er wirkte plötzlich so liebevoll. Wo war der Mario, der auf keinen Fall ein Kind wollte, der es abgetrieben hätte?Nell, was denkst du schon wieder. Er will doch nur einen guten Eindruck hinterlassen. Vielleicht kostet ihn das alles in Wirklichkeit total viel Überwindung."Lässt du mich jetzt bitte allein?" bat ich ihn. Er nickte nur. Dann erhob er sich. Er zögerte noch kurz, als wollte er irgendetwas sagen, verwarf dies aber doch. Ich legte mich jetzt hin und trotz der vielen Gedanken, die in meinem Kopf kreisten, schlief ich bald ein. Am nächsten Morgen wurde ich durch die Sonnenstrahlen, die meine Wangen wärmten wach. Das Gewitter hatte sich verzogen. Das bedeutete aber auch, dass bestimmt gleich... "Guten Morgen, meine wunderschöne beste Freundin. Bereit zum Blamieren?" begrüßte mich Mo, nachdem er schwungvoll die Tür aufgestoßen hatte. "Morgen." murmelte ich und gähnte. Marah lag wach da, gab aber keinen Mucks von sich. Mo, der die Kleine sehr ins Herz geschlossen hatte, nahm sie jetzt auf seinen Arm. "Na du, Prinzessin?" säuselte er. Dann lief er mit ihr nach draußen. Stattdessen tauchte jetzt Felix im Türrahmen auf. Er sah mich fragend an, worauf ich ihn mit einem Wink auffoderte, herein zu kommen. "Ich wollte nur fragen, ob du jetzt lieber Skifahren oder Snowboarden ausprobieren möchtest." meinte er. Ich seufzte. "Wobei kann ich mich mehr blamieren?" witzelte ich. "Wir machen das einfach so, dass du mein Board ausleihen kannst." beschloss er grinsend. "Na gut." murmelte ich. Weil ich dachte, es wäre jetzt alles geklärt, schlug ich die Bettdecke zur Seite und schwang die Beine aus dem Bett. "Nell?" Felix stand immernoch da. "Ja?" "Es würde Mario sehr glücklich machen, wenn du nicht so abweisend zu ihm bist. Seit eurer Trennung war er nie richtig glücklich." sagte Felix traurig.
Mario's Sicht:

Liebe stirbt nicht {Mario Götze u.A.}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt