[09] Geheimnisvolle Fremde

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»SSSEIT GEGRÜSSST, JUNGER Prinzzzz.« Die Kobra schwang vor Tarun hin und her und ließ ihren eindringlichen Blick nicht von ihm ab. Sie spürte, dass er Angst hatte. »Fürchtet Euch nicht«, zischelte sie weiter. »Mein Name issst Padma. Ich beobachte Euch ssschon Euer Leben lang.« Tarun wollte etwas zu ihr sagen, da unterbrach sie ihn, als er nur das Maul öffnete. »Natürlich habt Ihr mich nie zzzuvor gesssehen. Ich bin sssehr gessschickt in dem, wasss ich bewirke. Es issst auch nicht wichtig, wasss Ihr ssseht. Denn Ihr traut euren Augen erssst dann, wenn Euer Verssstand nichtsss mehr dagegen tun kann. Oder hättet Ihr geglaubt, dasss esss weissse Tiger gibt, nur, weil Ihr davon geträumt habt? Sssicher nicht. Habe ich recht?«

Taruns Fell sträubte sich, als er hörte, was dieses Kriechtier von sich gab. Wie konnte sie von seinem Traum wissen? »Was redest du da, Schlange? Du bist doch verrückt!«, schrie er sie in seiner Angst an und merkte dabei nicht, wie sich Narami von hinten näherte.

»Mit wem sprichst du, Tarun?«, fragte sie ihn unsicher, denn sie konnte außer ihm niemanden sehen.

»Na, mit dieser seltsamen Kobra hier. Die labert irgendein dummes Zeug, dass sie mich kennt und ich sie nicht und ...«, ehe Tarun den Satz zu Ende erzählen konnte, unterbrach ihn Narami.

»Welche Kobra denn? Ich sehe hier außer dir und mir kein anderes Tier«, sagte sie und sah sich suchend um.

In der Tat. Als Tarun sich erneut zu Padma umdrehte, war diese verschwunden. So schnell, wie sie auftauchte, war sie wieder weg. Tarun verstand die Welt nicht mehr. Was war bloß in letzter Zeit los? So viele unerklärliche Dinge konnte es doch gar nicht geben!

Narami trat besorgt einen Schritt näher. »Du hattest wohl ein wenig zu viel Stress in der letzten Zeit, was? Komm, ruh dich aus, bevor wir weitergehen«, sagte die weiße Tigerin und tigerte zurück zu ihrem Platz.

Tarun blieb nichts anderes übrig, als ihr zu folgen. Wahrscheinlich hatte Narami recht und er sollte sich etwas ausruhen und nicht so viel grübeln. Bisher hatten ihn schließlich auch eher Taten als Gedanken weiter gebracht. Also folgte er Naramis Rat und legte sich in den Schatten, um sich zu erholen.

Als er fast eingeschlafen war, spürte er, wie Narami näher zu ihm heranrückte. In diesem Augenblick war ihm alles andere egal. Der Traum, die Kobra, alles. Jetzt zählte für ihn nur der Moment und den sollte er lieber genießen, so lange es ginge. Denn wer wusste schon, wie sein Vater auf seine Freundin reagieren würde, wenn er ihr blütenweißes Fell sah? Diesen Gedanken verdrängend, legte sich auch Tarun näher an Naramis warmen Körper und friedlich schliefen die beiden jungen Tiger Seite an Seite ein. Am nächsten Tag würden sie ausgeruht das restliche Stück Weg zu Taruns Eltern fortsetzen.

In der Zwischenzeit hatte Königin Veda alles für die Wiederkehr ihres Sohnes und dessen wundersame Begleitung vorbereitet, über die bereits der ganze Dschungel sprach. Sie stand am Waldrand, dort, wo Tarun seine Reise begann, blickte gespannt zum Horizont und schreckte bei jeder kleinen Bewegung auf.

Ihr Mann, König Devesh, versuchte, sie abermals zu beruhigen. »Warte ab, meine Liebe. Die beiden werden gleich da sein. Wenn du Ausschau nach ihnen hältst, wird es umso länger dauern. Komm, wir gehen heim und ...« Der alte Tiger konnte diesen Satz nicht beenden, da unterbrach ihn seine Frau mit einem erfreuten Ruf.

»Tarun! Dort ist Tarun! Er ist wieder da!« Veda ging ihrem Sohn langsam und mit erhobenem Haupt entgegen und hatte ihre Mühe, die königliche Beherrschtheit zu wahren und ihm nicht entgegenzurennen, wie ein verspieltes Kätzchen. Devesh blieb eine Weile sitzen, um sich einen distanzierten ersten Eindruck machen zu können.

»Ich werde mir die Sache zunächst aus sicherer Entfernung ansehen«, dachte er bei sich. Denn die Euphorie seiner Gemahlin konnte er nicht teilen.

Tarun und der Fluch der NagasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt