[07] Nachrichten

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NARAMI SCHWIEG NACH DEM ZUSAMMENTREFFEN mit dem Minister eine ganze Weile und beobachtete Tarun aufmerksam. Er schien über etwas nachzudenken und sie hatte das Gefühl, dass es nicht allein mit dem Auftauchen des Vogels zu tun hatte.

»Tarun?«, traute sich die weiße Tigerin schließlich, ihren Freund anzusprechen. »Du bist kein Welpe mehr. Du bist großgewachsen, kräftig und mutig«, begann sie zu sprechen und spürte bei diesen Worten eine wohlige Wärme in ihre Wangen aufsteigen. »Weshalb sind deine Eltern derart besorgt um dich? Ist es, weil du der Kronprinz bist, oder gibt es neben Shiva noch andere Gefahren in diesem Reich?«

Tarun drehte sich schmunzelnd zu seiner Freundin um. »Du hast einen scharfen Verstand, Narami«, antwortete er ihr und hielt kurz inne, bevor er weitersprach. »Tatsächlich habe ich mir diese Frage eben selbst gestellt. Meine Mutter war schon immer übermäßig besorgt um meinen Bruder und mich. Ich hatte immer das Gefühl, dass es da etwas gibt, dass ihr keine Ruhe lässt, aber ich habe sie nie direkt darauf angesprochen. Auch bin ich nicht sicher, ob sie selbst weiß, wovor sie Angst hat. Mein Vater weiß es, falls es da etwas gibt. Dessen bin ich mir sicher. Jedoch hat auch er mir nie etwas erzählt und traut mir weitaus mehr zu, als Mutter.«

Als Tarun bemerkte, dass sich Naramis Blick verdunkelte, begann er aufmunternd zu lachen und stupste sie mit seiner Vorderpfote an. »Keine Angst. Ich habe jeden Winkel des Königreichs mindestens einmal durchstreift. Wenn es hier etwas Gefährlicheres als Shiva geben würde, dann wäre es mir längst über den Weg gelaufen und wie du siehst, bin ich noch in einem Stück.«

»Hm, aber als du mich gesehen hast, bist du ins Zweifeln geraten, habe ich recht?«

Naramis Anmerkung machte Tarun sprachlos. Er würde es nie zugeben, aber der vermeintliche Geist in der Höhle hatte ihn wirklich für einen Augenblick denken lassen, dass es das war, vor dem Veda solche Angst hatte.

»Beeilen wir uns, damit wir mein Zuhause erreichen, bevor es dunkel wird«, lenkte Tarun vom Thema ab und nahm an Geschwindigkeit zu. Narami folgte ihm mit einem Lächeln im Gesicht.

Mittlerweile war Garuda, der alte Brahminenweih zum Königsplatz zurückgekehrt. Mit einem unüberhörbaren und eindringlichen »piiii-jääh« kündigte er seine Rückkehr an. Taruns Vater Devesh kam ihm entgegen und versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen, welch bittere Nachrichten er über seinen Sohn zu empfangen glaubte. Der Minister salutierte kurz vor einem König und berichtete ihm sodann von seinen Erlebnissen.

»Wie bitte?!« Devesh erschrak.

Königin Veda wurde ebenfalls auf die Rückkehr des Greifvogels aufmerksam und gesellte sich zu ihrem Gemahl, in dessen Gesicht der Schreck über die empfangene Nachricht deutlich zu erkennen war. »Weshalb schreist du so? Gibt es Neuigkeiten von unserem Sohn? Ist er sicher? Geht es ihm gut Devesh!«, rief sie dem alten Tiger erschrocken zu.

»Er lebt«, beruhigte der König seine Gemahlin, ohne den Blick von Garuda abzuwenden.

»Das ist wundervoll!«, rief Veda und strahlte ihren Mann an. Dieser bewegte nicht einen Muskel. Da muss irgendetwas passiert sein, dachte sie. »Wenn es ihm gut geht, warum bist du dann so schockiert? Was hat dir der Minister erzählt?« Die Königin hatte keine Ruhe und hakte weiter nach.

»Unser Sohn ist nicht allein. Ein anderer Tiger ist bei ihm – eine Tigerin«, antwortete der König und zog die Stirn kraus.

»Aber das ist doch großartig!«, die alte Tigerdame richtete sich auf und schlug mit ihrem Schwanz in der Luft hin und her. »Tarun sollte eine Partnerin und zukünftige Herrscherin finden. Das war der Grund, warum du ihn losgeschickt hast. Weshalb bist du dann besorgt, Devesh?« Die Königin merkte, dass ihr Mann ihr etwas verschwieg, und sah zu dem Greifvogel rauf.

Auch Devesh wandte sich erneut dem Minister zu. »Bist du dir ganz sicher, dass es so ist, Garuda?«, fragte er ihn skeptisch.

»Ja, mein König«, antwortete der Vogel. »Es war weiß wie der Schnee in den fernen Bergen im Nordosten, Eure Majestät.«

»Was ist weiß? Wovon spricht er?« Veda verstand gar nichts mehr. »Sagt mir doch, was los ist!« Die Tigerin scharrte auf dem Boden herum und blickte abwechselnd zu ihrem Gatten und den Minister.

Endlich schenkte der König seiner Gemahlin wieder seine Aufmerksamkeit. »Sie hat weißes Fell.« Die Antwort war kurz und knapp, doch die Königin verstand trotzdem sofort, was ihr Mann damit gemeint hatte.

»Die Tigerin hat weißes Fell? Das ist nicht möglich! Es gibt keine weißen Tiger.« Veda schüttelte ihren Kopf.

»Allerdings, meine Herrin«, sprach Garuda. »Ihr wisst, welch zuverlässigen Blick wir Greifvögel haben und ich habe die Tigerin mit meinen eigenen Augen gesehen und vermag Euch zu versichern – ihr Fell ist weiß.«

Die Königin gab sich mit der Aussage zufrieden. Warum sollte sich der Minister dermaßen geirrt haben? Umso gespannter war sie auf die Wiederkehr ihres Sohnes und sie freute sich, seine neue Freundin kennenzulernen, deren Fell weiß wie Schnee sein soll.

»Eine weiße Königin neben einem weisen König. Das Volk wird jubeln, wenn es davon erfährt.« Sie wandte sich zuversichtlich ihrem Gemahl zu, doch dieser zog wieder eine ernste Miene.

»Wir warten erst einmal ab, was es mit dieser Tigerin auf sich hat, ehe wir in Euphorie verfallen und Land und Tiere verrückt machen«, knurrte er und verschwand im dichten Gebüsch.

Veda machte sich nichts aus seinem Verhalten, sie kannte Devesh mit den Jahren gut genug. Er konnte Gefühle nicht zeigen, wenn Untertanen oder Angestellte zugegen waren. Sie folgte ihm nicht, um ihn nach seiner Meinung zu fragen. Stattdessen bereitete sie alles für einen herzlichen Empfang vor, denn das Mädchen sollte sofort wissen, dass sie willkommen war.

Tarun und der Fluch der NagasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt