Kapitel 1

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Damian

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Damian

          10:55 Uhr. Tick. Tack. Tick. Tack. Langsam drehte der Sekundenzeiger seine Runden. Das Ticken jeder vergangenen Sekunde hallte laut im Klassenzimmer. Was würde ich dafür geben, dass die Stunden wie die Sekunden vergehen würden. Es waren nur noch wenige Wochen bis dieses Schuljahr endlich sein Ende fand. Dann konnte endlich mein letztes Jahr an dieser Schule beginnen. Nur noch ein Jahr bevor alles besser werden würde. Davon war ich überzeugt.
Ich richtete meinen Blick von der Uhr über der Tür zu unserem Lehrer nach vorne. Ordentlich lagen zwei Stapel Blätter, ein Locher, ein Tacker, ein Kästchen mit Kreide und Stifte nebeneinander. Mein Blick wanderte wieder zurück zur Uhr. 10:55 Uhr. Ich ließ meinen Kopf in den Nacken fallen und kreiste ihn einmal. Die letzten Wochen vor den Ferien waren einfach nur noch unnötig. Kein Lehrer begann mehr ein neues Thema, manche machten sich nicht einmal mehr die Mühe den Unterricht vorzubereiten. Nein, stattdessen ließen uns die sonst schon unmotivierten Lehrer einen Film nach dem anderen schauen. Ihnen war es auch egal, dass fast keiner dem Film Beachtung schenkte. Einige Schüler fehlten auch komplett. Ich konnte mir keinen weiteren Fehltag mehr leisten, wenn ich nicht noch eine Runde drehen wollte. Erst gestern hatte ich ein Gespräch mit unserem Direktor und einigen Lehrern. Es ging um mein unmögliches Verhalten, das ich an den Tag legte, wie rücksichtslos und respektlos ich sei und dass ich mit meiner Einstellung nichts im Leben erreichen würde. In der letzten Woche wurde sogar extra meinetwegen eine Lehrerversammlung einberufen, an der auch meine Eltern hätten anwesend sein sollen. Dachten sie wirklich, dass es mich interessierte?
          Im Augenwinkel nahm ich einen Schatten hinter mir wahr. Nein, das konnte er vergessen. Ben, der einzig Normale in diesem Raum und auch der beste Freund, den man sich wünschen konnte - die meiste Zeit jedenfalls -, hatte seinen Kopf auf seiner Hand abgestützt und war drauf und dran einzuschlafen. Ich schlug seinen Arm weg, woraufhin sein Kopf fast mit der Tischplatte Bekanntschaft gemacht hätte.
          »Was soll der Scheiß?«
          »Du pennst hier nicht einfach und lässt mich alleine leiden. Wir leiden beide zusammen.«
          »Hast du dich mal umgesehen? Hier schläft jeder. Ok, fast jeder«, erwidert Ben und deutete auf die 18 weiteren Personen im Raum. Ich sah mich um. Die meisten redeten mit ihrem Sitznachbar oder waren versteckt unter dem Tisch an ihrem Handy. Nur vereinzelt gab es welche, die noch wirklich aufmerksam verfolgen, was Mr Fitz vorne erzählte. Aber wozu? Kurz vor den Ferien passierte doch eh nichts mehr. Alle Noten standen fest, alle Klausuren waren geschrieben. Mr Fitz verteilte gerade die Arbeit, die wir vor ein paar Tagen geschrieben hatte.
          »Eh jo, Eaton!«, rief jemand nach mir.
          Ohne mich umzudrehen, antwortete ich: » Nerv' mich nicht.«
          »Du bist heute Abend dabei, oder?«
          Ich gab ihm darauf keine Antwort. Natürlich war ich dabei.
          Mr Fitz stand an einem Tisch in der ersten Reihe und sprach mit dem Mädchen das dort saß. Leah. So glücklich wie sie unseren Lehrer anschaute und dabei von einem Ohr zum anderen lächelte, hatte sie bestimmt wieder die beste Arbeit. Sie war so leise und unscheinbar, nie hörte man etwas von ihr. Ich hatte immer das Gefühl, dass sie mit jedem Mittel versuchte, nicht die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Sie war der Lehrerliebling und so richtig nahm man sie erst wahr, wenn sie mal wieder für ihre Leistung gelobt wurde. Ich kannte zwar ihren Bruder und wir waren seit Jahren in derselben Klasse und trotzdem hatte ich keine Ahnung, wer Leah Cooper war. Ich denke, bis auf die zwei Menschen mit denen sie ständig rumhing, tat das keiner. Aber warum sollte ich es auch wollen? Ich hatte meine Freunde, alle anderen interessieren mich nicht.
          Das fast schon beeindruckende Nicken von Mr Fitz bestätigte meinen Verdacht.
          »Sie können wirklich stolz auf sich sein. Mit Ihrem Zeugnis werden Sie nächstes Jahr alle Universitäten mit offenen Armen empfangen. Haben Sie sich schon überlegt, wo Ihre Reise hingehen soll?«
          Leah schüttelte nur den Kopf, ihr Bein begann leicht auf und ab zu wippen und ihre Fingerspitzen verkrampften sich um das Stück Papier in ihrer Hand.
          »Wenn Sie möchten, können wir uns mal zusammensetzen und uns Gedanken dazu machen«, fuhr Mr Fitz fort.
          Noah, der Junge der neben ihr saß, legte seine Hand auf ihren Rücken.
          »Du musst wirklich aufhören, dich ständig so unter Druck zu setzen. Du wirst dein Ziel auch so erreichen. Es ist dein Traum, du musst einfach nur dran glauben«, sagte er nun.
          »Du weißt wie wichtig es mir ist und warum ich es mache«, erwiderte Leah, ihre Stimme klang entschlossen.
           Ich beschloss nicht weiter zuzuhören, zum einen ging es mich nichts an und zum anderen interessierte es mich auch einfach nicht. Wie kann man so verbissen darauf sein, gute Noten zu haben? Als gäbe es nichts Wichtigeres im Leben als lernen. Für viele war es unklar, warum Noah mit ihr befreundet war. Ich kannte ihn genauso wenig wie sie, außer im Footballtraining hatte ich nicht mit ihm zu tun. Aber er schien eine wichtige Rolle in ihrem Leben zu haben, denn seit ich weiß, waren die beiden befreundet. Wenn man solches als Leben bezeichnen konnte. Denn was war ein Leben ohne Spaß? Ohne etwas, das ein Leben lebenswert machte? Durch die Freundschaft mit ihrem Bruder wusste ich, dass sie das Haus nur selten verließ. Und wenn ich sie mal draußen gesehen hatte, war ich mir sicher, dass sie mal wieder auf dem Weg zur Bibliothek war. Dort verbrachte sie vermutlich die meiste Zeit ihrer Freizeit. Hatte ich sie jemals auf einer Party gesehen? Ich kann mich nicht dran erinnern. Für mich war sie ein großes Fragezeichen, dessen Bedeutung ich einfach nicht verstand.
          Mit leicht zur Seite geneigtem Kopf musterte ich sie. Sie war ein wunderschönes Mädchen, sie brauchte keine 100 Schichten Make-up, um schön auszusehen. Sie hatte eine Ausstrahlung, die den meisten hier fehlte. Aber sie versteckte sich. Versteckte sich hinter der lächerlichen Bezeichnung Nerd, wie viele sie nannten. Hinter einer Brille und den blonden Haaren, die zu einem strengen Pferdeschwanz zusammengebunden waren. Auch ihre Kleidung schrie danach, in der Masse unterzugehen. Zu einem hellen, senffarbenen Pullover, unter dem eine weiße Bluse heraushing, trug sie einen schwarzen Rock, der bis knapp über die Knie ging. Das Einzige, das an ihrem Erscheinungsbild nicht diszipliniert und streng wirkte, waren ihre schwarzen Vans. Ich könnte niemals ihr Leben leben. Allein die Vorstellung, ich würde meine Zeit nur zu Hause verbringen, machte mich wahnsinnig. Nein, das würde ich niemals können.
           Mit einem Seufzen drehte ich meinen Kopf nach hinten zu Ben um. Auch wenn er mein bester Freund war, war er gleichzeitig der größte Idiot, den ich kannte.
          »Du kommst doch heute Abend, oder? Du kannst mich mit denen nicht alleine lassen«, sagte er und zeigte auf die Tische am Ende der Reihe, an denen Elias und Julian saßen.
          Zwei Spinner, die eigentlich ganz in Ordnung waren, auch wenn sie manchmal etwas drüber waren. Aber wer war das nicht? Wie sollte man in dieser Welt klarkommen, wenn man nicht ab und zu aus ihr ausbrach?
          »Ja, aber ich werde nachkommen. Ich muss vorher noch etwas erledigen.«
          »Du musst langsam echt aufhören mit der Scheiße, Damian.«
           Ich verdrehte genervt die Augen, auf seine Moralpredigt hatte ich nun wirklich keine Lust.
          »Ich mein es ernst«, fuhr Ben fort.
          »Nenn mir nur eine Sache, die denselben Zweck erfüllt und ich bin weg. Du weißt, dass es momentan der einzige Weg ist«, erwiderte ich. Ben merkte, dass ich kein Interesse daran hatte auf das Thema näher einzugehen, also wechselte er gekonnt das Thema und begann von einer Party letzte Woche zu erzählen.
           Die Bilder brachten mich zum Lachen. Für Ben endetet der Abend damit, dass er schreiend vor irgendwem weglief, er war aber so betrunken, dass er über einen Stuhl stolperte und schlussendlich im Pool landete.
          »Würden Sie uns an Ihrem Gespräch teilhaben lassen und uns erzählen, was so lustig ist?«, fragte Mr Fitz, der plötzlich neben mir stand und sauer auf uns hinabschaute.
Amüsiert schüttelte ich den Kopf.
         »Ich weiß, das würde Sie brennend interessieren, aber nein, ich werde es nicht mit Ihnen teilen.«
          Mit einem strengen Gesichtsausdruck hielt er mir die Arbeit hin.
          »Irgendwann, Mr Eaton, irgendwann wird auch Ihnen das Lachen vergehen.«
          Ich ignorierte seinen Kommentar, setzte mich stattdessen wieder normal an meinen Platz und sah mir meine Klausur an. Überrascht stellte ich fest, dass es ein Vier geworden ist. Immerhin war es keine sechs. Bereit Ben meine bessere Arbeit zu zeigen, drehte ich mich grinsend zu ihm um. Stolz und mit einem breiten Grinsen hielt er mir seine bereits entgegen. Er hatte eine Drei. Er war tatsächlich besser als ich, normalerweise waren meine Noten besser als seine. Wir klatschen ein und fingen erneut an zu lachen. Wenn man so darüber nachdachte war es kein Grund zum Lachen. Aber wenn man bedachte, dass wir trotz allem, was momentan passierte, eine akzeptable Note geschrieben hatten, war es ein Grund zu Lachen. Für uns war Schule zweitrangig, weil wir mit anderen Dingen zurechtkommen mussten.
          »Mr Eaton! Mr North! Ruhe«, ertönte die Stimme von Mr Fitz auf der anderen Seite des Raumes.
          Mein Grinsen nahm nur langsam ab, als ich mich wieder normal an meinen Tisch setzte.

*

          Die restliche Stunde verging Gott sei Dank schnell. Nachdem jeder seine Klassenarbeit zurückbekommen hatte, wurden die Fehler besprochen. Ich verstand nicht warum man die Fehler anschließend besprechen musste. Sie wurden gemacht und konnten nicht rückgängig gemacht werden. Eine neue Chance wird einem sowieso nicht gegeben. Als es endlich klingelte, packte ich meine paar Sachen zusammen - mehr als das Stück Papier und ein Stift lag nicht auf meinem Tisch - und machte mich auf den Weg zu den Jungs. Wie jeden Tag verbrachten wir die Pause zusammen. Es war die einzige Zeit an der wir uns alle sahen. Ich hatte bereits einen Fuß in der Türschwelle, als jemand in mich hineinrannte.
          »Ich...ahm...also...mir...«, stotterte das Mädchen vor mir. Es war Leah. Mit einem Schritt nach hinten entfernte ich mich von ihr, dennoch richtete sie ihren Blick weiterhin auf den Boden.
          »Kannst du nicht mehr reden? Du sprichst doch sonst auch immer in vollständigen Sätzen«, entgegnete ich mit einem genervten Unterton in meiner Stimme.
           Es war nicht richtig von mir so mit ihr zu sprechen. Es war nichts passiert und selbst wenn, wäre es ein Unfall gewesen. Und trotzdem entschied ich mich dazu, denn das war die einzige Art, die die Leute von mir erwarteten. Ihre Schultern hoben sich und ich konnte sehen, wie sie tief Luft holte, bevor sie endlich zu mir aufsah. Meine Augen trafen direkt ihre und ich glaube es war das erste Mal, das ich ihr direkt in die Augen sah. In wunderschöne Augen. Leah räusperte sich leise.
          »Es tut mir leid. Ich habe dich nicht gesehen, es tut mir wirklich leid.«
          Ihre leise Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Hatte sie wirklich Angst vor mir? Einen momentlang sah ich sie an, ehe ich, ohne ihre eine Antwort zu geben, an ihr vorbeiging. Unabsichtlich stieß ich gegen ihre Schulter, wodurch sie einen Schritt zur Seite stolperte. Als ich zu den Jungs blickte, wusste ich das auch sie es gesehen hatten, allerdings interpretierten sie es total falsch.
           »Damian, du kannst doch dieses arme Mädchen nicht einfach anrempeln. Was ist, wenn jetzt alles in ihrem Köpfchen durcheinandergebracht wurde?«, kam es prompt von Elias, der mir lachend auf die Schulter klopfte.
           Alle lachten über seinen Kommentar, ich verzog nur leicht die Mundwinkel. Ich mochte es nicht, wenn sie über jemanden herzogen. Egal wer es war. Aber anstatt etwas zu sagen, schwieg ich. Immer. Was sollte ich auch schon dazu sagen? Sie waren meine Freunde.
          Gemeinsam gingen wir nach draußen und trafen dort die andern, die hinter der Schule auf uns warteten. Entweder verbrachten wir die Pausen hier oder in der Mensa.
          Nur noch zwei Wochen bis ich diesen Ort für einige Wochen verlassen konnte. Es würden mit die besten Ferien werden, wir hatten schon vor Wochen alles durchgeplant. Genau das, was ich brauchte.
          »Es steht doch noch alles, oder?«, fragte Julian, der heute ziemlich ruhig war.
Er war niemand, der lautschreiend durch die Gegend lief, aber er war sehr gesprächig.
          »Natürlich. Ihr glaubt doch nicht wirklich das ich mir den Spaß entgegen lasse, oder?«, antwortete ich mit einem leichten Lachen.
          Sowohl Julian als auch die anderen hatten ein Funkeln in den Augen bei dem Gedanken an die Ferien.
          »Ihr könnt nicht alles für euch alleine haben«, lachte Ben, der gerade zu uns gestoßen war.
          Sex, Alkohol, noch mehr Alkohol und noch mehr Ablenkung. Für Letzteres war ich mehr als bereit. Ich griff nach der Zigarettenpackung in meiner Jackentasche.
          »Hey Baby.«
          Ich senkte meinen Blick zu der Person, die sich gerade zu uns gestellt und bereits ihre Hände auf meinem Körper verteilt hatte. Es war Alison. Natürlich war sie es. Dort wo ich war, war auch sie. Ich beuge mich zu ihr runter und gab ihr einen flüchtigen Kuss, bevor ich mich wieder aufrecht hinstelle und eine Zigarette anzündete.

DamianWo Geschichten leben. Entdecke jetzt