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Lucy:

"Was?" Meine Stimme hört sich empört an. "Es tut mir leid. Mein Vater meinte, dass ich demnächst heiraten muss. Er war in meinem Alter bereits verheiratet und jetzt bin ich der Nächste." Ich schüttle meinen Kopf und zwicke mich in den Arm. Das muss ein Traum sein. Es kann nicht Realität sein. Langsam fange ich mich wieder und sehe im nun in die Augen, die unglücklich aussehen.

"Wer sucht die Braut aus?" "Mein Vater. Aber er wird zuvor Absprache mit mir halten." "Willst du das denn?" Jason sieht mir tief in die Augen und ich fühle mich gefangen darin. "Wenn du es bist, dann ja." Es ist nicht mehr wie ein Hauchen und doch höre ich es. Die wenigen Zentimeter, die uns trennen, überbrückt er. Sanft küsst er mich und alles in mir spielt verrückt. Er streichelt meinen Arm hinauf und es bildet sich eine Gänsehaut. Meine Beine fühlen sich an, als würden sie in nächster Zeit nachgeben, aber Jason hält mich.

So schnell der Kuss begonnen hat, so schnell war er auch vorbei. "Lass uns reingehen." Zu mehr als einem Nicken war ich nicht im Stande. Somit betraten wir den Saal, in dem ausgebig gefeiert wird. Flink verschwinde ich wieder in eine Ecke und hoffe, dass der Abend schnell vergehen wird. Mir war das, um ehrlich zu sein, zu viel. Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Was ist, wenn mich der König wirklich wählt?

Würde ich Ja sagen? Ich weiß es nicht. Es fühlt sich so unreal an. Und ich hatte Angst. Unbändige Angst. Meine Mutter würde mich eigenhändig umbringen, wenn ich ablehnen würde, wenn ich denn ausgewählt werden würde. Und Liam? Ihn würde ich verletzen. Und mich selbst auch. Ich wollte es mir bisher nicht eingestehen, aber ich mag ihn mehr als mir lieb ist. Doch Jason spukt auch in meinem Kopf herum und lässt mich nicht los.

Ein Tippen auf meine Schulter reißt mich aus meinen Gedanken. Liam steht mir gegenüber und sieht mich an. Er lächelt nicht, aber das ist ok. Ich kann ihn verstehen. "Wie geht's dir?" Die Worte kommen einfach aus meinem Mund. Wie solls ihm schon gehen? Schlecht natürlich. Sein Bruder ist in Gefangenschaft und ich stell ihm solch eine unangebrachte Frage. "Es geht. Aber deine Anwesenheit lässt mich wenigstens etwas glücklicher sein." Liam versucht zu lächeln, doch ihm gelingt es nicht wirklich.

"Du siehst übrigens atemberaubend aus und ich glaube alle Frauen in diesem Saal wollen dich am liebsten, mit ihren Blicken erdolchen." Er lacht und auch meinem Mund entflieht ein Lachen. "Danke." Blut schießt mir in den Kopf, weil ich sein Kompliment begreife und mein Herz beginnt schneller zu schlagen. Liam nickt und lächelt. Ein echtes Lächeln liegt auf seinen Lippen und das macht mich verdammt glücklich.

Wir reden nicht mehr. Stattdessen stehen wir hier zusammen und genießen die schweigsamen Minuten zwischen uns. Sanft streichelt er mit seinen Fingerkuppen über meine Hand. Stromstöße durchziehen diese und am liebsten würde ich mich an ihn kuscheln und alle Sorgen vergessen. Jedoch kann ich das nicht. Die Schuld lastet noch immer auf meinen Schultern und ich weiß mir nicht zu helfen. Es ist falsch neben Liam zu stehen und so zu tun, als wäre alles in Ordnung und als hätte ich keine Last zu tragen.

"Es tut mir so leid, Liam." Meine Worte sind nicht mehr als ein Hauchen, aber zu mehr wäre ich gerade nicht im Stande. Er sieht mich an und seine Hand wandert an meine Wange, welcher er sanft streichelt. "Du musst dich für nichts entschuldigen." Ich schüttel meinen Kopf und in meinen Augen stehen Tränen. "Doch. Ich hätte ihm helfen können. Ich hätte einschreiten müssen, damit er fliehen kann. Stattdessen bin ich abgehauen, wie ein Feigling. Wäre ich doch nicht so dumm gewesen. Ich sollte in diesem Kerker sitzen und nicht er. Fynn hat das alles nicht verdient. Nicht er, sondern ich."

"Hör auf so zu denken, Lucy. Du hast nichts falsch gemacht. Jeder hätte so gehandelt-" Bevor er weiterreden kann unterbreche ich ihn: "Genau das ist der springende Punkt. Ich bin nicht jeder. Ich bin die Kriegern. Hab mir das Kämpfen selbst beigebracht. Und doch handelte ich nicht so, wie ich es hätte tun sollen." "Mach dir keine Vorwürfe. Ja, du bist eine Heldin. Auch für mich. Aber auch Helden handeln nicht immer, wie Helden. Du darfst Angst haben und Fehler machen. Jedoch darfst du dich dafür nie schämen."

Liam nimmt mein Gesicht in seine Hände und zwingt mich ihn anzusehen. Sein Blick verrät ihn. Man sieht seine Angst, seine Trauer und die Verletztheit. Und doch ist er so stark, steht hier und redet mir gut zu, obwohl ich das tun sollte. "Verstehst du mich?" Ich nicke, wie von alleine. Auch er nickt und lässt seine Hände sinken. Die Wärme, die mich umgeben hat, war nun durch Kälte ersetzt und mir fehlten sofort seine Berührungen.

"Lass uns tanzen." Liam zog mich mit sich auf die Tanzfläche. Ein langsames Lied spielte. Seine Arme umschlossen mich und ich fühlte mich sofort geborgen. Sanft wiegte er uns hin und her. Ich fühlte mich angekommen. So als würde ich hier hingehören. Als würde ich zu Liam gehören. Sein Duft vernebelte meine Geruchsnerven und doch möchte ich nichts anderes riechen. Ich schmiegte meinen Kopf an seine Brust und hörte seinem Herzen, das in einem schönen Rhythmus hämmerte, zu.

Der Song neigte sich dem Ende zu und die kleine Luftblase, in der ich mich befand, platzte, als ein anderes Musikstück angespielt wurde. Zusammen stellten wir uns wieder in eine Ecke. Kurz darauf wurden die Musiker unterbrochen und der König trat mit Jason nach vorne und sah sich im Raum um. "Ich darf Sie heute herzlich begrüßen und freue mich, dass Sie alle so zahlreich erschienen sind. Heute ist ein besonderer Tag. Mein Sohn-", er klopfte Jason auf die Schulter,"wird heute, mit meiner Hilfe, die schönste Frau, des heutigen Abends erwählen."

Getuschel brach in dem sonst so stillen Raum aus und alle fragten sich, was noch passieren würde. Und ich wusste die Hiopsbotschaft, welche mich immer wieder aufs neue schlucken lässt,bereits. "Sie müssen sich jedoch noch etwas gedulden. Bis dahin wünsche ich noch eine schöne Feier." Die Gäste applaudierten und widmeten sich wieder ihren Gesprächen. Der König schritt währenddessen durch die Reihen und beäugte alle Frauen mit Adlersaugen.

Als er bei mir ankam, sah er zuerst Liam an, haftete seinen Blick jedoch dann auf mich. Er kam mir immer näher und es fühlte sich an, als würde mir etwas die Kehle zuschnüren. Ich konnte nicht atmen, fühlte mich eingeengt und fehl am Platz. Auge um Auge standen wir da. Nervös knetete ich meine Hände und wartete darauf, was er tun würde. "Darf ich bitten?" Seine bedrohlich klingende Stimme ließ mich kurz zusammenzucken, aber ich sammelte mich schnell wieder und trottete ihm hinterher auf die Tanzfläche.

Seine Hände waren eisig kalt und ließen mir das Blut in den Adern gefrieren. Noch immer wartete ich darauf, was er von mir wollte. Doch er wartete und der Tanz zog sich ins Unendliche. "Lucy, Sie sehen heute bezaubernd aus. Jason kann seinen Blick nicht einmal von Ihnen abwenden." Ich nickte und bedankte mich. Sein Kopf senkte sich und hielt an meinem Ohr. Ich spürte seinen Atem und das Ekelgefühl, welches er auslöste, bereitete mir Gänsehaut.

"Jason wird Sie heute mit Sicherheit auswählen. Er hat es sich in den Kopf gesetzt und lässt es sich nicht mehr ausreden. Deshalb empfehle ich Ihnen, dass Sie ihn nicht vor den Kopf stoßen und es akzeptieren. Je früher, desto besser." All das flüsterte er mir zynisch zu und entfernte sich wieder. "Ich erwarte eine Gegenleistung." Man bemerkte das leichte Zittern meiner Stimme und doch hörte ich mich tapfer und stark an.

Mein König runzelte die Stirn und kniff die Augen zusammen. "Die wäre?" "Sie lassen den kleinen Jungen, Fynn, den Ihre Soldaten festgenommen haben, frei. Die Anklage wird fallen gelassen und ich unterwerfe mich Ihnen und werde mich mit Ihrem Sohn vermählen. Zudem wäre es nett, wenn meine Bitte sofort erfüllt werden würde und er noch vor der Verkündung hier auftauchen würde. Gepflegt und gut bekleidet, lässt sich verstehen."

Ein wütendes Schnauben ertönt seinerseits. "Dass Sie sich das trauen." Meine Augen verformen sich zu Schlitzen und angriffslustig sehe ich ihn an. "Erfüllen sie mir meinen Wunsch." Bevor er mir meine ersehnte Antwort gibt, drückt er meine Hand fest und ein Schmerz durchzuckt diese. "In Ordnung. Ich ordne es sofort an." Nachdem der Tanz zu Ende ist, sehen wir uns in die Augen. Purer Hass liegt in unser beider. Spöttisch lächle ich ihn an, mache auf Absatz kehrt und verlasse den Saal, um frische Luft zu schnappen.

Erleichtert atme ich auf. Ich hab's geschafft. Doch der bittere Beigeschmack bleibt. Ich werde Teil der Königsfamilie, die ich mit meinem Leben verabscheue. Aber das Wichtige ist, dass ich ihn gerettet habe. Nur das zählt in diesem Moment.

Die KriegerinWhere stories live. Discover now