75 - Phil

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Vermutlich kommt das jetzt ziemlich plötzlich. Für uns war es auch ein Schock.

Das hier ist das letzte Kapitel von Feuerwerk. Nächste Woche folgt nur noch der Epilog. Viel Spaß und danke an dieser Stelle schon einmal. 

Wenn ihr irgendwas bemerkt, das wir übersehen haben könnten, etwas, das eurer Meinung nach noch einmal aufgegriffen werden muss, dann sagt uns das bitte. Auch sonst ist Feedback immer gerne gesehen :) Danke. 

- liljaxxx & knownastheunknown -

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PHIL

Vielleicht musste es so kommen. Ja, vielleicht musste ich einen Unfall haben und dabei ein Bein verlieren, damit ich daran wachse und stärker werde. Aber wie herzlos muss das Universum sein, um so etwas geschehen zu lassen?

Quatsch. Absoluter Blödsinn.

„Worüber denkst du nach, Phil?" Doktor Murray lächelt mich freundlich an und es beruhigt mich, dass er immer noch so nett ist und ignoriert, dass ich so viele Sitzungen geschwänzt habe.

„Über das Universum und darüber, ob es irgendeinen Plan für mich hat. Ich meine", beginne ich vage und räuspere mich. „Ich hätte mein Bein nicht verlieren müssen. Das war keine Lektion oder sonst was. Im Endeffekt ist es pures Pech, aber ich werde wohl lernen müssen, damit klarzukommen, auch wenn ich mir mein Leben anders vorgestellt habe." Etwas verlegen starre ich an die Wand. Am liebsten würde ich von meinem Rollstuhl aufspringen und das abstrakte Gemälde zurechtrücken, das hinter Doktor Murray hängt. Wer kommt denn auf die bescheuerte Idee, es so schief hängenzulassen?

„Du sagst also, es war keine Lektion, aber trotzdem wirst du lernen, damit umzugehen?"

Ein kleiner Seufzer entkommt mir. „Eine Lektion ist etwas anderes. Sie wissen schon, was ich meine."

„Tu ich das?" Amüsiert zieht der Psychologe die Augenbrauen hoch und seine dunkle Stirn legt sich in Falten.

„Wenn nicht Sie, wer dann?"

Ein warmes Lachen füllt den Raum. „Ich denke, wir sind für heute fertig. Die Zeit ist leider um."

„Oh, ja, stimmt." Meine Augen wandern zu meinem Handgelenk – die Stunde wäre schon vor acht Minuten vorbei gewesen. Ich schlucke laut. Meine Kehle fühlt sich trocken an und meine Hände schwitzen.

Doktor Murray steht auf und schiebt seine hochgekrempelten Ärmel hinunter. „Du kannst jetzt gehen, wenn du möchtest, Phil."

„Klar." Sag es einfach. Mach schon.

Ich rühre mich nicht von der Stelle. Irgendwie hängt mein Blick an Doktor Murrays Ärmel fest, als wäre er magnetisch. Während der Psychologe sich langsam umdreht und endlich das gottverdammte Bild an der Wand in Ordnung bringt, fragt er wissend: „Oder willst du noch etwas loswerden?"

„Wenn Sie schon so fragen", starte ich. Aber innerlich steigt mein Puls, meine Gedanken rasen und ich muss mich beinahe anstrengen, sie in Worte zu fassen. „Ich hab' mich gefragt, ob Sie mir vielleicht beim nächsten Mal mehr über Prothesen erzählen könnten? Das ist zwar nicht wirklich Ihr Gebiet, aber irgendwie ist es ja auch eine Kopfsache. Sowas sollte schon Hand und Fuß haben."

Überrascht mustern mich seine Augen, aber diesmal lacht er nicht über meinen schlechten Wortwitz. „Natürlich. Ich kann etwas vorbereiten, wenn du willst."

„Das wäre toll. Danke." Mit dieser letzten Antwort setze ich mich endlich in Bewegung, rolle langsam Richtung Ausgang und rufe noch eine Verabschiedung über die Schulter, bevor ich den Raum verlasse.

Den Gedanken mit der Prothese trage ich schon lange in meinem Oberstübchen spazieren, auch wenn sich bis vor kurzem ein großer Teil von mir dagegen gesträubt hat, mir eine Zukunft mit einer Beinattrappe auszumalen. Vielleicht hätte ich in Peter Pan doch für Captain Hook vorsprechen sollen. Dann hätte ich immerhin schon Übung mit so einem Holzbein.

Irgendwie ist es, als würde ich nachgeben. Ich trotze meinem Schicksal nicht, wenn ich mich so sehr anpasse. Ich gebe auf. Aber ist das unbedingt schlecht? Wieso soll ich an etwas festhalten, das nicht wiederkommt? Muss man immer Kämpfen, selbst wenn es einem gut tut, sich zu fügen?

Das hohe Ding-Geräusch des Fahrstuhls holt mich zurück in die Realität und bevor ich wieder auf mein Gedankenkarussell aufspringen kann, fahre ich ins Erdgeschoss. Heute ist ein besonders warmer Tag. Als ich mich nach draußen schiebe und mir die frische Frühlingsluft entgegenkommt, seufze ich laut vor Glück. Die Vögel zwitschern um die Wette, die Sonne liebkost meine Haut und ich ziehe eine Sonnenbrille aus der Seitentasche meines Rollstuhls hervor, um gegen das grelle Licht anzukämpfen.

„Phil?", höre ich im nächsten Moment eine Stimme hinter mir sagen, die die Idylle ruiniert. „Ähm, hi. Ich will ja nicht stören, aber du blockierst die Tür und ich wollte eigentlich jetzt nach Hause gehen."

Ich verrenke meinen Oberkörper, damit ich in Ace' verlegenes Gesicht schauen kann. „Tut mir leid", gebe ich zu und lache leise. Ich rolle zur Seite, Ace tritt neben mich und blinzelt dem Himmel entgegen.

Dann muss ich plötzlich an das letzte Mal denken, als ich Ace' hier im Therapiezentrum getroffen habe. Im Fahrstuhl. Damals habe ich die Welt verflucht und gehofft, eines Morgens einfach nicht mehr aufzuwachen. Und Ace war nur ein komischer Fremder, ganz in schwarz gekleidet, und hatte eine Kamera, die ihm um den Hals baumelte, ganz nah am Herzen.

Heute hält er sie in der Hand, die Schlinge um den Ärmel seiner dunkelgrünen Jacke gewickelt.

„Weißt du noch, als wir einander im Fahrstuhl begegnet sind?", höre ich mich plötzlich fragen, obwohl ich selbst nicht sagen kann, worauf ich damit hinaus will.

„Ja." Seine zweite Hand umfasst nun ebenfalls das Gehäuse der Kamera. „Komisch, wie lange das her ist. Fühlt sich an, als wären es Jahre."

„Stimmt." Ich atme tief durch, dann sehe ich Ace ins Gesicht. „Wie geht's dir?"

Während er meinen Blick erwidert, denkt er über die Frage nach. Er lässt sich Zeit dabei, bevor er mit seiner weichen, samtigen Stimme antwortet:

„Besser."

FeuerwerkWhere stories live. Discover now