28 - Noah

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NOAH

„Können wir reden?"

Ich fühle die Nervosität in mir brodeln als wäre ich ein Vulkan, der kurz vor dem Ausbruch steht. Müsste man mich mit wenigen Worten beschreiben, wäre „friedvoll" wohl einer der ersten Ausdrücke. Gefolgt von „verständnisvoll" – zumindest versuche ich, das zu sein, so gut es geht. Dass ich mir nun in den Kopf gesetzt habe, mich ausgerechnet gegen Clem zu behaupten, ist einfach nur verrückt.

Aber es ist definitiv notwendig.

„Klar, Rotschopf", antwortet sie so unbekümmert, als hätte sie ihr Wortgefecht mit Maya bereits vergessen. Wir haben soeben den Film zu Ende gesehen und Maya ist aufs Klo verschwunden. Ich muss ausnutzen, dass ich mit Clem unter vier Augen bin, denn Maya würde das hier sicher nicht so gern mitanhören.

„Wegen vorhin", beginne ich zögernd. „Musste das sein? Für dich ist es vielleicht schwer vorstellbar, dass Maya sich nicht so sieht, wie sie ist – für mich ist es das ja auch. Aber ein bisschen mehr... Einfühlungsvermögen wäre nicht verkehrt gewesen..." Mein Herz hämmert wie verrückt. Ich will nichts ins Rollen bringen, keine Lawine auslösen, keinen Graben zwischen Clem und mir aufreißen. Wir kennen einander schon ewig. Ich war auf jeder ihrer Geburtstagsfeiern, seit wir beide vier Jahre alt sind.

Sie zuckt erst einmal nur mit den Schultern, aber ich erkenne in ihrem Gesicht, wie unwohl sie sich fühlt. Clem schafft es vielleicht, nach außen hin stets dieses taffe, selbstbewusste Mädchen zu sein, aber ich glaube, dass sie genau so sehr mit sich selbst zu kämpfen hat wie die meisten Jugendlichen. Es ist schon etwas paradox, dass man in dieser Phase, die mit Selbstzweifeln vollgestopft ist, herausfinden soll, wer man selbst eigentlich ist. Eigentlich halte ich es für unmöglich, eine Antwort darauf zu finden – und ich bin mir sicher, dass Clem ihre Antwort auch noch sucht.

Meine Stimme ist nur noch ein leises Zischen, als ich hinzufüge: „Du bist nicht blöd, Clem. Ich weiß, dass du Magersucht ernst nimmst. Oder... dass du es ernst nehmen könntest. Also, das solltest du! Aber du hast dich heute mal wieder aufgeführt wie eine ziemliche..." Ich stocke.

Überrascht zieht sie die Augenbrauen hoch. „Wie eine was?", fordert sie mich dann heraus und ich glaube sogar, dass sich ein kleines Lächeln auf ihren Lippen versteckt.

„Bitch."

„Oh-ho-ho! Sie mal einer an!", jubelt sie. „Noah, Noah, Noah... wenn deine Mutter wüsste, was für Wörter du in den Mund nimmst."

Meine Geduld schrumpft. Kann sie mich nicht einmal ernst nehmen? Wieso versteckt sie sich hinter solchen Sprüchen?

„Das war kein Scherz."

„Das hoffe ich. Sonst wär's ein ziemlich schlechter."

„Verdammt, Clem", stöhne ich auf. Ich will ja Verständnis zeigen... aber was soll das? Was geht bloß in ihrem Kopf vor? „Hör mir endlich zu. Das ist mein voller Ernst. Kannst du endlich mal mit dem blödsinnigen Kinderkram aufhören und Maya nicht andauernd fertig machen? Sie ist meine Freundin. Und ich dachte, wir wären Freunde. Wenn du unbedingt willst, dass sie sich scheiße fühlt, dann willst du wohl auch, dass es mir genauso geht." Ich schüttele den Kopf. „Das ist so bescheuert."

Sie sagt nichts und ihr Blick fliegt durch den Raum, vorbei an mir, hinaus aus dem Fenster. Aber da ist wieder dieser Schleier aus Unsicherheit. Ich weiß nicht, ob er nur mir auffällt oder ob sie ihn vor mir absichtlich nicht allzu gut verbirgt, aber sie kommt mir fast hilflos vor.

Das ist der Grund, wieso du so was nie auf die Reihe kriegst. Jetzt hast du auch noch Mitleid mit ihr. Schluss damit.

„Clem... Du. Bist. Eine. Bitch. Manchmal frage ich mich echt, wieso wir noch befreundet sind."

FeuerwerkWhere stories live. Discover now