65 - Maya

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MAYA

Der Notizblock auf meinem Schoß quillt beinahe über. Er ist so alt und abgenutzt, dass einige Seiten nur noch lose an der Metallspirale hängen und dem Herausfallen entgegenzittern. Jedes Blatt, das nicht mehr hält, landet im Müll, da ich die Texte, die ich teilweise geschrieben habe, als ich vierzehn war, mittlerweile grottenschlecht finde. Aber das mit uns ist eine Hassliebe. Irgendwie hänge ich an dieser alten, melodramatischen Pseudopoesie – auch wenn ich mich für sie schäme.

„Und bitte glaub mir, wenn ich sage, dass ich mit dir immer wieder meine Zeit verschwenden will." Ich lese den Satz laut vor und schnaufe dann laut. Das ist noch eine der besseren Zeilen, aber irgendwie kommt es mir für das Literaturfestival heute auch nicht passend vor. Ich habe normalerweise kein Problem damit, vor vielen Leuten zu sprechen. Im Theater gehört das einfach dazu. Aber einen eigenen Text zu präsentieren, sich selbst so verletzlich zu präsentieren, ist eine andere Liga für mich. Schauspielen heißt, sich zu verstecken, Schreiben heißt, alles zu zeigen.

Eine zweite Meinung wäre jetzt genau das richtige, aber ich lümmele ganz alleine auf dem Bett in unserem Zimmer und habe keine Ahnung, wo meine Zimmergenossinnen abgeblieben sind.

„Das ist die schnulzigste Scheiße, die ich je gehört habe, Maya", murmele ich vor mich hin und ahme dabei Clems Stimme nach.

Okay, das hier führt eindeutig zu nichts.

Also springe ich aus dem Bett, lasse den alten Notizblock zurück und öffne die Tür. Ich erhasche gerade noch einen Blick auf einen blonden Hinterkopf, der kurz davor ist, im Zimmer gegenüber zu verschwinden.

„Hey, Eleanor!", schreie ich schnell, vielleicht etwas zu laut. Sie erstarrt.

„Ja?"

„Hast du schon eine Idee, was du heute für einen Text vorträgst? Ich bin irgendwie völlig planlos. Das ist doch alles viel zu offen, ich meine, wir haben kaum Vorgaben bekommen, worüber wir sprechen sollen oder dürfen und welche Art von Text es sein soll oder wie lange", sprudelt es nur so aus mir heraus, während ich nervös mit den Händen in der Luft herumfuchtle. Wenn ich mich mit meinen Texten beschäftige, habe ich oft das Gefühl, durchzudrehen. Vermutlich denkt Eleanor jetzt gerade ähnlich von mir.

Ganz langsam dreht sie sich zu mir um. Im ersten Moment wirkt sie amüsiert – sie zieht sogar die rechte Augenbraue leicht hoch, aber in der nächsten Sekunde lächelt sie wieder nur schüchtern. „Ich hab' schon befürchtet, ich bin die Einzige mit diesem Problem. Außerdem, äh, naja, ich rede nicht so gern allein vor Menschenmengen."

Allein.

„Eleanor, du bist genial! Weißt du was?" Meine Stimme klingt plötzlich ganz piepsig und ich fühle mein Herz vor Freude schneller schlagen. „Okay, nein, weißt du vermutlich nicht. Aber egal, du hast mich gerade auf eine Idee gebracht!"

„Ach ja?" Etwas erschrocken weicht sie vor mir zurück. In meinem kreativen Überschwung hätte ich sie wohl wirklich umarmt, wenn ich nicht wüsste, dass Eleanor kein Fan von Körperkontakt ist.

„Ja! Äh, ich meine Ja." Allmählich fange ich mich wieder und kratze mich verlegen am Hinterkopf, um diese komische Situation zu überspielen. „Ist Palma in eurem Zimmer? Ich würde gerne sofort alle zusammentrommeln und es wäre echt nett, wenn ihr mir dabei helft."

„Ähm. Was genau hast du denn vor?", fragt sie mit rot anlaufenden Wangen. In Gedanken suche ich nach den richtigen Worten, aber das ist gar nicht so leicht.

„Wir schreiben was gemeinsam. Etwas, das sie alle umhaut. Wir... also, keine Ahnung, was genau, aber ich glaube, dass gerade bei uns, gerade jetzt, diese Gruppe noch etwas gemeinsam auf die Beine stellen sollte, bevor wir alle eigene Wege gehen. Als wir in der Bar waren, hab' ich mir vorgestellt, wie das wohl sein wird, wenn wir mit der Schule fertig sind. Wer weiß schon, ob wir es schaffen, uns so noch einmal zusammenzuraufen? Wir haben alle in den letzten Monaten irgendwas mitgemacht – manche mehr und manche weniger. Aber ich fände es schön, wenn wir uns selber bewusst machen, wie wir miteinander gewachsen sind, und wenn wir das denen da draußen auch zeigen." Mir schwirrt der Kopf, als ich endlich den Mund schließe. Eleanor muss es ähnlich gehen, denn sie sagt vorerst kein Wort und schaut mich nur nachdenklich an. „Du fragst dich gerade, welche Drogen ich genommen habe, oder?"

FeuerwerkWhere stories live. Discover now