50 - Dex

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DEX

Es ist fast Abend, als wir schließlich in der Pension ankommen, in der wir die nächsten vier Tage zusammen verbringen sollen. Nach Ace' Zusammenbruch ist es erstaunlich still im Bus geworden und diese Stille hat bis jetzt angehalten.

Es scheint, als hätte jeder Angst gehabt, mit nur einem gesagten Wort, einem Lachen oder nur einem Husten etwas Neues in Ace auslösen zu können, sodass wir alle lieber den Rest der Fahrt geschwiegen und uns bemüht unauffällig von Zeit zu Zeit nach hinten umgedreht haben, um zu sehen, wie es unserem Depri-Boy so geht.

Dass Ace einige Probleme hat, ist den meisten von uns bereits klar gewesen, seit er komplett in schwarz und nur mit einer Kamera in der Hand in unseren Literaturkurs geschlichen ist. Ich meine, wer vergisst denn direkt am ersten Schultag sein Material und legt so viel Wert darauf, möglichst unsichtbar zu sein? Da kann doch nicht alles rund im Hirn laufen.

Trotzdem kam sein Ausbruch unerwartet. Wir alle haben uns so sehr daran gewöhnt, dass Ace eigentlich nicht anwesend ist, obwohl er sich direkt neben uns befindet, dass uns sein vorheriger Nervenzusammenbruch wahrscheinlich genauso sehr überrascht hat wie ihn selbst. Ich habe noch nie einen Kerl so am Boden zerschmettert gesehen, und auch wenn ich weiß, dass die fehlende Kamera nur der Auslöser und nicht der Grund gewesen ist, musste ich im ersten Moment schmunzeln. Der eine bekommt Panik, weil er beim Sex kein Kondom benutzt hat, und Ace hyperventiliert, wenn seine Kamera nicht bei ihm ist.

Allein dieser Gedanke hat mich so sehr verschreckt, dass ich mich schon um ihn kümmern wollte, als Nimy mir zuvorkam und mich angesehen hat, als wäre ich im Begriff gewesen, noch einmal auf Ace zu treten, obwohl er doch schon am Boden lag. Da ist mir bewusst geworden, dass ich tun kann, was ich will - es sehen sowieso alle nur den Dex in mir, der sein cooles Image hat und sich vor jeglichen Gefühlen schützt, dem alles egal ist und der sich einen Scheiß um das Wohlbefinden anderer kümmert. Niemand erkennt den Dexter, der ich versuche seit Phils Unfall zu sein.

Wieso soll man sich anstrengen, ein besserer Mensch zu sein, wenn es ja doch keinen interessiert? Wenn nicht einmal jemand merkt, dass man so sehr versucht, die beste Version von sich selbst zu werden?

***

Ich bin gerade auf dem Weg zu dem kleinen, schief eingerahmten Fenster in diesem noch kleineren, mit einem viel, viel zu kleinen Bett eingerichteten Zimmer, um meine - heute wohlverdiente - Zigarette zu rauchen und den ganzen Scheiß, der mir im Kopf herumschwirrt, aus mir herauszupusten, als es an der Tür klopft. Seufzend stecke ich mein Feuerzeug in die weiten Taschen meiner schlabbrigen Jogginghose und reiße genervt die Tür auf. Für heute sollte ich doch genug Drama gehabt haben, oder?

Mein Leben ist jedoch wie immer selbstverständlicherweise anderer Meinung, denn es antwortet mit einem überglücklichen „Nein!". Vor meiner Zimmertür steht nämlich niemand geringeres als Clementine Beckett.

„Was willst du denn hier?", stöhne ich genervter als beabsichtigt und erwarte eine fiese Bemerkung ihrerseits, mit der sie mich wieder auf 180 bringt. Wem machst du etwas vor, Dex - du liebst es, wenn sie dich auf 180 bringt.

Doch bevor ich meiner inneren Stimme widersprechen kann, hat Clem sich bereits ohne ein Wort umgedreht und läuft in so schnellen Schritten den Flur entlang, dass ich mich frage, ob sie an ihren kleinen Füßen nicht möglicherweise die Siebenmeilenstiefel trägt. Bevor ich überhaupt anfangen kann, darüber nachzudenken, was ich gerade tue, laufe ich ihr schon hinterher.

„Clem, jetzt warte doch!" Die kleine Hexe denkt aber gar nicht daran, das zu tun, was ich ihr sage. Wann hat sie das auch jemals getan? Es scheint, als macht sie immer genau das Gegenteil von dem, was ich will. „Du bist wirklich zum Verrücktwerden, Clementine!"

FeuerwerkDonde viven las historias. Descúbrelo ahora