45 - Maya

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MAYA

Ich überlege jetzt seit ein paar Tagen, was wir tun können, um Phil zu helfen. Keine Ahnung, ob ich überhaupt jemals richtig mit ihm befreundet war, aber er fehlt mir. Und noch viel offensichtlicher ist, dass er Noah fehlt. Es sind drei Tage vergangen, an denen Phil nicht zur Schule gekommen ist. Drei Tage, an denen Dex mit steinerner Miene und angespannten Muskeln Noahs Fragen, ob er irgendetwas von Phil wisse, über sich ergehen lassen hat.

Je länger ich grüble, desto stärker wird der Gedanke, dass wir als Gruppe, wir vom Literaturkurs, gemeinsam etwas tun sollten, um ihn aus diesem Trott zu befreien. Aber wie hilft man einer Person, die sich so offensichtlich nicht helfen lassen will?

Ich glaube fast, ich kann nachvollziehen, was in ihm vorgeht. Zumindest ein bisschen. Vielleicht ist es diese Zerrissenheit zwischen „mir geht es gut, ich will keine Hilfe" und „wenn doch nur irgendjemand dafür sorgen würde, dass all das aufhört, so wehzutun". Ein Kampf zwischen Leugnen und Selbstmitleid.

Während ich mir meinen Schal fast bis zur Nase hochziehe, um gegen den eisigen Wind anzukämpfen, der gewaltsam durch die Straßen fegt, höre ich eine bekannte Stimme und bleibe abrupt stehen.

„Maya, dachte ich es mir doch!"

Ich drehe mich widerwillig um, kann nichts sagen und alles, woran ich denken kann, ist, dass mein Bauch sich gerade in eine Waschmaschine verwandelt. Mein Magen fühlt sich an, als würde er im Schleudergang auf höchster Stufe durchgerüttelt werden.

„Geht es dir gut? Du siehst ganz blass aus." Die Stirn des Mädchens legt sich in besorgte Falten. „Also, versteh mich nicht falsch, du siehst wundervoll aus! Ehrlich. Wow. Ich hab' dich so lange nicht mehr gesehen, ich kann es kaum glauben."

„Mir geht's gut", murmele ich zaghaft. Normalerweise würde es mir leicht fallen, zu lächeln und Smalltalk zu betreiben. Smalltalk ist meistens eine meiner Stärken, wenn es um vier-Augen-Gespräche geht, aber jetzt würde ich eine Menschenmenge definitiv bevorzugen. „Mir ist nur ein bisschen schlecht."

„Oje."

Komischerweise ist Rosalie der einzige Mensch, den ich kenne, der Oje so aufrichtig besorgt sagen kann, dass man sich sogar selbst leid tut. Mein Blick wandert von ihren grünen Augen hinauf zu den dunkel nachgezogenen Augenbrauen und bleibt am Haaransatz kleben. Die blonde Farbe wird bereits ganz deutlich von ihren braunen, natürlichen Haaren verdrängt.

„Irgendwie hast du dich kaum verändert", gebe ich zu. Noch immer fliegt mein Magen durch die Luft und diese ganze Begegnung kommt mir surreal vor. Ich habe mir oft vorgestellt, wie es wohl wäre, Rosalie wieder über den Weg zu laufen, aber ich habe gehofft, es würde nie passieren.

„Du dich aber dafür gewaltig!", lacht sie nun unbekümmert. „Gibst du mir deine Nummer? Vielleicht können wir uns ja mal in irgendeinem Café zusammensetzen und du kannst mich auf den aktuellen Stand bringen, wie die Dinge bei dir so laufen. Ich bin zwar die meiste Zeit über im Internat und du weißt ja, wie das ist, aber an manchen Wochenenden komme ich dann doch gerne nach Beckshill und treffe Freundinnen."

„Ääh."

Ich schließe den Mund wieder, da ich einfach nicht mehr herausbringe. Ist es Zeit, ihr zu verzeihen? Es ist immerhin fünf Jahre her, dass sie mir die Freundschaft gekündigt hat, weil ich dick und hässlich war. Wir waren quasi Kinder. Menschen entwickeln sich weiter, werden erwachsen.

„Erde an Maya?" Rosalie kneift die Augen zu. Das ist neu und sieht aufgesetzt aus, als hätte sie es einstudiert. „Gehen wir einen Kaffee trinken? Wie in alten Zeiten – Rosie und Yaya?"

Wir waren früher nie Kaffee trinken. Wir waren zwölf. – ist alles, was mein Kopf fabriziert.

„Ich fürchte, Yaya kann auf deine Gesellschaft verzichten", sagt Clem und steht plötzlich neben mir.

FeuerwerkWhere stories live. Discover now