26 - Nimy

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NIMY

Ist es nicht sonderbar, wie sich das Leben entwickelt? Wie man keine Ahnung hat, was als nächstes passiert. Immer wieder überrascht wird, weil nichts so läuft, wie man es sich vorgestellt hat. Wie kann man also wissen, dass das Leben, das man im Moment lebt, das richtige, das wahre ist?

Ich spüre den rauen, vertrauten Stoff in meinen Händen straff werden und kann Bob gerade so davon abhalten, in den Ententeich zu springen, in dem keine Enten, dafür aber reichlich andere, nicht appetitliche Lebewesen zu finden sind.

„Bob, was soll das denn?!“, schimpfe ich mit ihm und zerre ihn weiter. Sonst gehe ich immer gerne mit ihm seine Runden, doch heute bin ich eh schon nicht gut drauf. Phil redet nicht mehr mit mir und auch Clem ist irgendwie nicht mehr sie selbst.

Mir fehlen meine Freunde, meine wirklichen Freunde. Nicht die Buchcharakter-Freunde. Obwohl mir die manchmal sogar lieber sind, weil sie keine nervigen Fragen stellen und ich mich in ihren Träumen und Visionen verlieren kann. Doch momentan ist mir eher nach jemandem, der mich in den Arm nimmt, mit mir Witze reißt und das Leben erkunden will. Ich habe eine solche Abenteuerlust in mir und weiß nicht, wohin mit ihr.

Früher wäre ich zu Phil gegangen und wir hätten Welteroberungspläne geschmiedet, doch es ist nicht fair, ihn jetzt mit so etwas zu behelligen.

Vielleicht wird er nie wieder die Welt erobern können, drängt sich ein böser Gedanke in den Vordergrund, doch ich stopfe ihn direkt wieder in die hinterste Ecke meines Kopfes. So darf ich nicht denken, ich muss versuchen, Phil aus seinem Schneckenhaus hervorzuholen, in das er sich seit dem Unfall verkrochen hat.

Zum zweiten Mal heute reißt Bob mich aus meinen Gedanken, als er auf einmal anfängt, laut zu bellen wie ein Wahnsinniger.

„Wieso habe ich nur so einen verrückten Hund“, murmele ich genervt und ziehe Bob näher zu mir heran, um ihn zu beruhigen. Mit mäßigem Erfolg, denn er bellt unverändert weiter und beginnt nun auch noch, sich im Kreis zu drehen. „Bob! Jetzt benimm dich endlich!“

Es muss schon ein echtes Spektakel sein, uns anzuschauen. Ein Hund, der total am Rad dreht und aussieht, als würde er seinen eigenen Schwanz fangen wollen und ein Mädchen mit grimmigem Gesicht und abstehenden Haaren, das ihn wütend anbrüllt, als könne er es wirklich verstehen.

„Kein guter Tag heute, was?“, fragt mich ein älterer Herr mitleidig, der sich von Bobs Gebell nicht abschrecken lässt und vorsichtig näher kommt.

„Kein guter Tag“, wiederhole ich erschöpft und würde am liebsten in Tränen ausbrechen. Jetzt reiß dich zusammen, Nimy. Du bist doch sonst keine Heulsuse.

„Weißt du“, beginnt der Herr und legt mir leicht eine Hand auf den Arm, „jeder hat mal einen schlechten Tag. Doch sollte man das nie an anderen Menschen auslassen.“

Es rührt mich, dass er von Bob redet, als wäre er ein Mensch. Denn ob Mensch oder Tier, er hat recht. Nur weil ich genervt von irgendwie allem bin, sollte ich nicht andere Leute dafür verantwortlich machen. Doch das ist so viel leichter, als sich mit seinen Problemen auseinanderzusetzen.

„Ich werde mir Mühe geben“, verspreche ich und lächle den älteren Herrn freundlich an. Wie oft spricht einen heutzutage noch jemand offen und ehrlich auf der Straße an, ohne dass er etwas von einem will? Das ist doch irgendwie ein kleines Wunder. Dein heutiges Wunder, du hast es gefunden.

Das stimmt, ich habe mein außergewöhnliches Ereignis für heute gefunden. Vor einiger Zeit habe ich damit angefangen, alles Schöne oder Ungewöhnliche, das mir am Tag so passiert, auf Zettel zu schreiben und diese in einem Glas aufzubewahren, um es dann an Silvester zu öffnen und das Jahr Revue passieren zu können. An manchen Tagen macht mir dieses Vorhaben unheimlich viel Spaß, aber es ist auch aufwendig. Besonders, wenn man keine Lust hat, etwas zu finden, worüber man sich freuen kann. Und so geht es mir öfter, als man wegen meines sonnigen Wesens meinen könnte.

So in meinen Gedanken versunken merke ich gar nicht, dass Bob aufgehört hat zu bellen und der liebenswürdige, ältere Herr nicht mehr neben mir steht. Hoffentlich denkt er jetzt nicht, ich sei unhöflich, weil ich mich nicht bedankt und verabschiedet habe. Auf der anderen Seite glaube ich, dass er mich verstanden und bemerkt hat, wie sehr ich in meiner eigenen Welt lebe. Das muss echt mal aufhören, Nimy.

Aber wenn es dort eben schöner ist? In deiner eigenen Welt kannst du sein, wer immer du willst. Andere können sein, wer immer du willst und dein Leben kann genauso sein, wie du es dir wünschst. Das ist doch ein Traum, oder? Und deswegen hänge ich so oft Gedanken hinterher und vergesse die Welt um mich herum.

Weil auch Gedanken dir den Weg in eine andere Welt zeigen, die wunderschön, aber auch sehr heimtückisch sein kann. In beiden Fällen ist es aber eine Welt, in der du die reale Welt einfach vergessen und ausblenden kannst. In der nur du bist und das, was du in sie hineinbringst.

In meiner Welt sind das wohl Bob und ich. Und eine schwarze Kamera, die mir nun direkt ins Gesicht lacht und hinter der sich ein Wuschelkopf versteckt - Ace.

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Nimy tut uns leid... ohne Phil und nur mit einer komischen Clem an ihrer Seite :( :')

- liljaxxx & knownastheunknown -

FeuerwerkWhere stories live. Discover now